Gottes Macht und Mozarts Leidenschaft
Die Vesperae solennes de Dominica des frisch gebackenen Hoforganisten zu Salzburg. Von Jörg Handstein
Wolfgang Amadeus Mozart: * 27. Januar 1756 in Salzburg, † 5. Dezember 1791 in Wien. Vesperae solennes de Dominica für Soli, Chor und Orchester C-Dur, KV 321, Entstanden: 1779 in Salzburg, Uraufführung: vermutlich 1779 zu einem hohen Heiligenfest
Die Reise ist auf der ganzen Linie gescheitert. Weder hat ihn ein anderer Hof angestellt, noch konnte er in Paris reüssieren. Seine Mutter ist tot, und die heiß geliebte Aloysia hat ihn abgewiesen. Nun, im Januar 1779, musste er also wieder zurück an den verhassten Salzburger Hof: »Der Erzbischof kan mich gar nicht genug bezahlen für die sclaverey in salzbourg!« Immerhin hatte sein Vater eine Verdreifachung des Jahresgehalts erwirken können: Mozart bekam die Stelle des im Dezember 1777 an einem Schlaganfall verstorbenen Hoforganisten Anton Cajetan Adlgasser. Mozarts Dankbarkeit hielt sich in Grenzen: »Der Erzbischof darf mit mir gar noch nicht den grossen, wie er es gewohnt war, zu spielen anfangen – es ist gar nicht unmöglich, daß ich ihm eine nase drehe!«
Künstlerisch ist Mozart gereift. Mit der großartigen Messe zu Ostern 1779 (später Krönungsmesse genannt) kann er der ganzen Stadt samt Erzbischof zeigen, wer er eigentlich ist: Schöpfer unerhörter Musik und bereits vollendeter Kapellmeister. Als Hoforganist ist sein Diensteifer begrenzt, denn in den folgenden Jahren komponiert er auffällig wenig Kirchenmusik. Neben der Krönungsmesse ragen noch zwei groß angelegte Vespern heraus. Wann genau und wofür die Vesperae solennes de Dominica entstand, ist mehr zu eruieren. Der nicht einmal von Mozart selbst stammende Titel besagt nur, dass das Werk an jedem beliebigen Sonntag erklingen konnte. Und das ist streng genommen nicht einmal korrekt: Aufgrund der mit der bekannteren Vesper KV 339 identischen Texte müsste sie eigentlich ebenso betitelt sein: Vesperae solennes de confessore.
Wie bei »solennen«, also feierlichen Anlässen üblich, wird die Salzburger Sparbesetzung mit Trompeten und Pauken ergänzt – die allerdings nur in den Außensätzen mitspielen. Diesen prächtigen Rahmen aus strahlendem C-Dur füllt Mozart mit Binnensätzen in e-Moll, B-Dur, F-Dur und A-Dur. Innerhalb dieses tonalen Spektrums bekommt jeder Psalm eine andere Farbe, ja wird zu einem stilistisch, formal und charakterlich völlig eigenständigen Musikstück. Selbst den immer gleichbleibenden Textanhang, das »Gloria Patri« komponiert er darin so homogen ein, dass eine musikalisch perfekte Form entsteht. Aber bei aller Geschlossenheit waltet hier auch große Freiheit und Beweglichkeit der Textvertonung. Der Musikgelehrte und Mozartforscher Alfred Einstein schwärmt: »Niemand kennt Mozart, der nicht solche Sätze von ihm kennt.«
Das »Dixit Dominus« offenbart sofort, wie es dem Text gebührt, die Macht und Herrlichkeit des Herrn. Doch in den melodisch freundlicheren Takten liegt auch die helle Festlichkeit eines Opernfinales. Entscheidend für diesen mitreißenden Einstieg sind aber die rhythmische Energie und das Tempo der Stimmungswechsel. Da Mozart für die textreichen Psalmen nur je rund fünf Minuten zur Verfügung stehen (Händel braucht allein für sein Dixit Dominus ca. 30 Minuten), eilt er schnell über die Zeilen hinweg. Die eingesparte Zeit investiert er in die bild- und schlagkräftige Darstellung des Jüngsten Gerichts (»conquassabit capita«) und eine prächtige Reprise über das »Gloria Patri«.
Obwohl das »Confitebor« wiederum den Herrn preist, seine Größe, Güte und Gerechtigkeit, schlägt Mozart hier einen ganz anderen Ton an: eingetrübt nach e-Moll – bei Mozart (man höre die Violinsonate) eine hochernste, todtraurige Tonart. Die Musik verwandelt den Psalm in das Gebet eines leidenden, verängstigten Menschen, der um Erlösung fleht. Viel Gewicht legt Mozart auf Worte »sanctum et terribile« und »timor«, wobei er melodisch das »Dies irae« andeutet und so noch einmal auf den Jüngsten Tag hinweist. Klagende Chromatik, schroffe Kontraste, dissonante Einwürfe wie Aufschreie – der Chor bricht die zarte Lyrik der Solostimme dramatisch auf und macht das innige Gebet zu einer großen Szene.
Auch das »Beatus vir« ist in besonderem Maß von solchen Kontrasten durchzogen, die hier sogar noch dichter, schneller und härter aufeinander folgen. Wieder zerklüften die Chorpartien den Satz, die Solopartien sind eher flüssig und melodisch geführt. Mozart dramatisiert gewissermaßen das Porträt des gottgefälligen Mannes, indem er mehr Unruhe und Erregung als Glaubensgewissheit zum Ausdruck bringt. Alfred Einstein bescheinigt am Beispiel dieses Satzes dem ganzen Werk »eine leidenschaftliche, stürmische Feierlichkeit«, die es von Mozarts früherer, eher liedhafter Kirchenmusik abhebe. Dazu inspirieren ihn natürlich auch die Psalmtexte, die emotionaler und bildhafter sind als das Messordinarium. Der alttestamentliche Gott erscheint fast leibhaftig präsent und auch das Volk Israel tritt plastisch hervor. Diese beiden Ebenen verschränkt Mozart sehr eng und dramatisch: die absolute göttliche Macht und die wechselnden Gefühle der sie preisenden und fürchtenden Menschen. Mozart ist nun nicht mehr bereit, sein Genie zu zügeln und eine glatte, widerspruchsfreie, den Erwartungen gerechte Musik abzuliefern. Gut möglich, dass er damit dem Erzbischof, der natürlich rein funktionale Kirchenmusik erwartet, bereits »eine nase« dreht …
In scharfen stilistischen Kontrast setzt Mozart die letzten beiden Psalmen: Das »Laudate pueri« vertont er als Motette in altehrwürdiger Vokalpolyphonie, zunächst in demonstrativer Strenge als vierstimmigen Kanon, dann freier und harmonisch sehr expressiv. Selbst hier also wird Leidenschaft spürbar, die sich im prächtigen, frei kontrapunktischen Jubel des »Gloria Patri« löst. Das »Laudate Dominum« entpuppt sich dagegen als reinrassige Bravour-Arie mit lyrisch empfindsamen Melodien plus meterlangen Koloraturen. Die konzertierende Orgel simuliert zusätzliche Bläserstimmen, etwa Flöten oder Klarinetten. Auch die hellfarbige Tonart A-Dur hebt diesen Satz, vielleicht ein Glanzstück für den Hofkastraten Francesco Cecarelli, völlig aus seiner Umgebung heraus.
Dem Magnificat schließlich verleiht Mozart den Charakter eines großen, das ganze Werk krönenden Finales. Und er fokussiert seine kompositorischen Mittel nun ganz auf die Verherrlichung dessen, »der mächtig ist, und dessen Namen heilig ist.« Natürlich greift er noch einmal die gängigen Insignien der Macht auf: pompöse Schleifer, Fanfaren, majestätische punktierte Rhythmen. Aber die eigentlichen Kräfte walten im Inneren der Musik: von echtem Leben erfüllt, energetisch treibend und frei beweglich, komplex verästelt und machtvoll gebündelt. Mozart verschmilzt, so bringt es Einstein wieder einmal auf den Punkt, »die Majestät mit der Gesellschaftlichkeit eines symphonischen Allegros zu einem unbegreiflichen Ganzen«.
Geistige und kulinarische Nahrung – was ist eine Vesper?
Zu einer richtigen Vesper gehört reichlich Wurst, gerne auch Käse, dazu Brot oder lieber noch eine Laugenbrezel – befindet man in Schwaben, wo die »Fäschber« noch sehr populär ist. Diese Bezeichnung für eine Brotzeit am späten Nachmittag (oder frühen Abend) bürgerte sich im süddeutschen Sprachraum im 18. Jahrhundert ein, übertragen von dem gleichnamigen Gottesdienst (lat. Vespera = Abend). Mag sein, dass man sich davor noch etwas stärken wollte. Die Vesper gehört zu den klösterlichen Stundengebeten, aber an Sonn- und Feiertagen stand sie auch der Bevölkerung offen. Ihre herausragende Rolle spiegelt sich in der musikalischen Gestaltung, die manchmal sogar die der Messe überbieten konnte. Die in der Liturgie zentralen Psalmen wurden ab dem 16. Jahrhundert kunstvoll vertont, der grandiose Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Marienvesper (Venedig, 1610) von Claudio Monteverdi.
Da man allerdings meist einzelne Psalmen von verschiedenen Komponisten zusammenstellte, sind weit weniger Komplettvertonungen überliefert als im Fall der Messe. Im 18. Jahrhundert umfasste ein Vesperzyklus fünf Psalmen sowie das Magnificat, den Lobgesang Marias. Am meisten vertont wurde die »Bekenner-Vesper« (de confessore), die an Heiligenfesten, aber auch anderen Feiertagen einsetzbar war. In Mozarts Zeiten erlebte die Gattung eine letzte Blüte, »täglich war Amt und Vesper mit Figuralmusik«, berichtet ein Schüler Michael Haydns aus Salzburg. Der Reformkaiser Joseph II. verbot allerdings die üppige Vespermusik, und der Gottesdienst verlor überhaupt seine Bedeutung. Was bleibt, ist die Vesperplatte, heute auch vegan erhältlich.
Zwei Kaiser und drei Krönungen
Mozarts Krönungsmesse – ein Werk und sein Titel. Von Alexander Heinzel
Wolfgang Amadeus Mozart, Missa (»Krönungsmesse«) für Soli, Chor und Orchester C-Dur, KV 317; Entstehungszeit: am 23. März 1779 in Salzburg vollendet. Uraufführung: vermutlich am 4. oder 5. April 1779 im Salzburger Dom.
Politisch unruhige Zeiten waren es, die Wolfgang Amadeus Mozart in Wien erlebte. Der Pulverdampf der Revolution wehte von Frankreich herüber und im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hoffte Kaiser Joseph II., den Umsturz zu verhindern. Als »gekrönten Revolutionär« bezeichnete man den Habsburger- Herrscher, denn zusätzlich zur Aufhebung der Leibeigenschaft und dem Toleranzedikt gegenüber Andersgläubigen verfolgte er eine Kirchenpolitik, die dem kaum zu bändigenden Wildwuchs katholischer Institutionen und Bräuche Einhalt gebieten sollte. So hob er ab 1781 über 700 Klöster auf und schob dem ausufernden Einsatz von Orchestermusik im Gottesdienst einen Riegel vor, setzte sich aber im Gegenzug für einen »Religionsfonds« zur Seelsorge der breiten Masse der Bevölkerung ein.
Nach dem frühen Tod des Reformkaisers feierte das Heilige Römische Reich die letzten großen Krönungszeremonien vor seinem nahen Untergang. Im alten Glanz der Reichsidee des Herrschertums von »Gottes Gnaden« ließ sich Josephs Bruder Leopold II. im Oktober 1790 zum deutschen Kaiser und im September des Jahres 1791 zum böhmischen König krönen. Aber der plötzliche Tod des 44-jährigen Regenten führte schon im darauffolgenden Jahr zur Krönung seines Sohns Franz II. an traditioneller Stätte in Frankfurt.
Eine besondere historische Klammer um die drei Krönungen bildet die Musik der Festgottesdienste, die als die eigentlichen Krönungszeremonien begangen wurden. Der damalige Wiener Hofkapellmeister Antonio Salieri berichtet, dass er zu den drei Krönungen jeweils »fast genau die gleiche Musik« aufs Programm gesetzt habe. Dazu gehörte Mozarts prächtige C-Dur-Messe, die in Hofkreisen zu dieser Zeit auch ihren Beinamen »Krönungsmesse« erhielt. Nach den Berichten über die Feierlichkeiten im Prager Wenzelsdom 1791 wurden wohl zusätzlich noch die Messen KV 258 und KV 337 sowie das Misericordias, KV 222, und ein Chor aus Thamos, König in Ägypten mit geistlichem Text aufgeführt.
Die Krönungsmesse war jedoch schon weit früher entstanden. Nach der Rückkehr von einer über einjährigen Paris-Reise ins heimatliche Salzburg trat Mozart beim alten Brotherrn Fürsterzbischof Colloredo 1779 sein neues Amt als Hoforganist an. Für den kommenden Ostergottesdienst eine feierliche Messe zu komponieren, lag nahe. Bereits zwei Wochen vor Ostern, am 23. März 1779, setzte er den letzten Federstrich aufs Notenpapier, sodass einer festlichen Erstaufführung im Salzburger Dom nichts mehr im Weg stand.
Welche Bedeutung Mozart seiner Krönungsmesse selbst beigemessen hat, wird in den folgenden Jahren deutlich. So legte er sie beispielsweise mit ins Gepäck, als er um die Jahreswende 1780/81 zur Einstudierung des Idomeneo nach München reiste und dort auch als Komponist von Kirchenmusik reüssieren wollte. Erneut richtete sich Mozarts Interesse auf das Werk, als er in Wien mit Gottfried van Swieten in Kontakt trat, einem der maßgeblichen Mitgestalter der Josephinischen Reformen und kenntnisreicher Musikliebhaber. Swieten war es, der ihn mit der Musik Bachs und Händels in Berührung brachte und zudem bei seinen privaten sonntäglichen Liebhaberkonzerten gerne Werke von Mozart aufs Programm setzte. Um die Nachfrage Swietens zu befriedigen, bat er Vater Leopold per Brief vom 12. März 1783, in Salzburg lagernde Partituren nach Wien zu senden: »mit dieser gelegenheit könnten sie mir wohl noch was mitschicken. – zum beyspiell; meine Messen in Partitur – meine 2 Vespern in Partitur – daß ist alles nur, um es dem B: van suiten hören zu lassen.: – er singt den Discant, ich den alt: und spielle zugleich.«
Den freundschaftlichen Beziehungen Mozarts zum Badener Chordirektor und Schullehrer Anton Stoll ist nicht nur die Widmungskomposition des Ave verum corpus, KV 618, zu verdanken, sondern eine weitere Aufführung der Krönungsmesse, die Stoll 1790 mit seinem Kirchenchor realisierte. Ende Mai 1791 fordert Mozart das geliehene Notenbündel plötzlich von Stoll zurück, denn erneut scheint die Messe gefragt zu sein. Ob er hier die Vorbereitungen des Wiener Hofes zu der schon erwähnten Krönung Leopolds II. zum böhmischen König in Prag im September 1791 im Sinn hatte, oder ob er sie zur Bewerbung um das Wiener Domkapellmeisteramt im Sommer 1791 benötigte, ist nicht mehr zu klären.
Ausnahmslos alle Sätze – selbst diejenigen mit ariosen Abschnitten wie das Kyrie, Benedictus und Agnus Dei – stehen im Bann prächtig auftrumpfender Klangentfaltung der zu Streichern, Solisten und Chor hinzutretenden Oboen, Trompeten, Hörner und Pauken, meist im strahlenden C-Dur-Klangraum. Überdies gemahnen die beiden großen Partien für Solosopran an die Welt der Oper: Verwiesen sei dabei auf Ähnlichkeiten zwischen dem Kyrie und der Arie der Fiordiligi (»Come scoglio«) aus Così fan tutte sowie Analogien zwischen Sopransolo des Agnus Dei und der Arie der Gräfin (»Dove sono«) aus Le nozze di Figaro.
Der Gedanke, durch die Wiederholung einzelner Formteile der Krönungsmesse eine instrumentale Dramaturgie zu verleihen – ähnlich der Symphonie –, ist zwar selbst in früheren Messen Mozarts nicht neu, hier jedoch erscheint er mit besonderer Konsequenz und innerer Logik verwirklicht. So etwa mit einer Außenklammer durch die Wiederaufnahme der Kyrie-Motivik im Agnus Dei (»Dona nobis pacem«) und deren variierende Steigerung in der Chor-Schlusspassage. Weitere thematische Binnenbezüge finden sich im rondo-artig angelegten Credo mit seinem wirbelnden Ritornellthema in den Violinen oder in der notengleichen Entsprechung des »Hosanna in excelsis« im Sanctus und Benedictus. Der ausgeprägten Sanglichkeit, die sich bis hin zu den schwerelos aufsteigenden Oboenmotiven im Kyrie erstreckt, steht immer wieder eine sich übermächtig in den Vordergrund drängende Klangentfaltung gegenüber. Fast spielerisch geschieht dies beispielsweise im Benedictus, wenn auf das beseelte Solistenquartett die Orchesterschläge des »Hosanna in excelsis« folgen, wenige Takte später jäh abbrechen und dem Sängerquartett noch einmal Raum geben für eine Benedictus-Reminiszenz.
Gerade die vermeintlich »weltliche« Haltung der Krönungsmesse führte im 19. Jahrhundert, als Choralgesang und Vokalpolyphonie im Stil von Palestrina zur einzig wahren Kirchenmusik stilisiert wurden, zu scharfer Polemik gegenüber dem Messenstil Mozarts und seiner Zeitgenossen. Karl Emil von Schafhäutl, einer der Wortführer der so genannten Cäcilianismusbewegung, sah in der Krönungsmesse den altehrwürdigen Messentext »umschwirrt von gaukelnden Violinen, alternierend mit schwindsüchtigen Flöten und knarrenden Fagotten in platten, hüpfenden theatralisch cadenzierenden Weisen« entstellt.
Ein Urteil, das heute kaum noch Gültigkeit beanspruchen kann, blicken wir doch auf eine Zeitspanne zurück, in der geistliche Musik ungleich vielfältigere Ausdrucksformen gefunden hat und oftmals sogar ganz ohne Worte, also im rein instrumentalen zu tiefgründigen Aussagen und Glaubensbekenntnissen findet. Es war der musikbegeisterte Theologe Hans Küng, der den Kirchenmusikwerken Mozarts und speziell der Krönungsmesse die Gabe zusprach, »in jedes Ohr, das sich ihr öffnet«, einzudringen und dabei »nicht einmal der Worte« zu bedürfen.
Als »theologisch sensibler Musiker«, wie Küng ihn bezeichnete, schuf er im Dienst der Kirche Musik, die äußerlich ihre liturgische Pflicht erfüllt. Jenseits davon ist zu erahnen, welche Vision von Glauben und Religiosität Mozart eigen war: Die Krönungsmesse spiegelt sie wider in ihrer Spontaneität, Intimität, Prachtentfaltung und positiven Ausstrahlung – eine musikalische Vision, der man sich als Hörer kaum zu entziehen vermag.
Mozart macht gute Laune
Insgesamt 17 sogenannte Kirchen- oder Epistelsonaten komponierte Mozart in seinen Salzburger Jahren zwischen 1772 und 1780. Ihr Spektrum reicht von der kleinen Besetzung im Kirchentrio (zwei Violinen und Bassstimme) mit Orgelbegleitung bis hin zum vollen Orchester mit Bläserbesetzung und bisweilen konzertant-virtuosen Orgel-Solopartien. Sie erklangen nach der Epistellesung, also zwischen Gloria und Credo. Die Kirchensonate KV 329 ist sehr wahrscheinlich zusammen mit der Krönungsmesse zu Ostern 1779 entstanden. Mozart war nun Hoforganist und dürfte den Orgelpart mit den kurzen Solopassagen selbst gespielt haben. Aus der Colloredo’schen Vorgabe nach möglichst kurzer Dauer einer Messe schlägt Mozart ungeahntes künstlerisches Kapital: Die meist nur zwei- bis dreiminütigen Stücke entfalten ihre Wirkung auf knappstem Raum, sie sind Lehrstücke für den Bau eines Sonatensatzes, sie zelebrieren den feierlichen Gestus eines Festgottesdienstes und sie hinterlassen mit Mozart’schem Melodienreichtum und süddeutsch-barockem Klangsinn beim Hörer bis heute eigentlich nur eines: beste Feiertagslaune!
Bitte um Stärke
Mozarts Alma Dei creatoris – ein kurzer Offertoriumssatz zwischen volksnahem Marienlied und Kirchenliturgie. Von Jörg Handstein
Wolfgang Amadeus Mozart, »Alma Dei creatoris«, Offertorium für Soli, Chor und Orchester B-Dur KV 277 (272a). Entstanden: vermutlich im Sommer bis Frühherbst 1777 in Salzburg. Uraufführung: unbekannt
Wolfgang Amadé Mozart, einst schon Starkomponist in Italien, sitzt nun seit Jahren wieder an einem Geigenpult. Sein Dienstherr, der fortschrittliche Fürsterzbischof Colloredo, optimiert Salzburg, ignoriert aber hartnäckig, dass hier ein musikalisches Genie heranreift. Auch in der Bevölkerung ist der nüchterne Reformpolitiker nicht sonderlich beliebt: »Unser Fürst von Colloredo / hat weder Gloria noch Credo!« Im August 1777 kündigte Mozart, und am 23. September macht er sich in Begleitung seiner Mutter auf die Suche nach einem angemessenen Job, sei es in München, in Mannheim oder Paris.
Die letzten Arbeiten für Salzburg waren Kirchenmusik, darunter das Offertorium Alma Dei creatoris in B-Dur. In der Messe bezeichnet »Offertorium« dasjenige Musikstück, das während der Bereitung der Opfergaben Brot und Wein gesungen wird. Es leitet also das Abendmahl ein und hat damit einen prominenten Platz in der Liturgie. Obwohl nicht zum Ordinarium missae gehörig, zählt es Mozart zur komponierten Messe hinzu, die »mit allem = dem Kyrie, Gloria, Credo, der Sonata all’Epistola, mit Offertorium oder Motette, Sanctus und Agnus Dei, auch die feierlichste, wenn der Fürst selbst die Messe zelebriert, nicht länger als höchstens drei Viertelstunden dauern soll«.
Das wohl für die Missa brevis B-Dur, KV 175, bestimmte Alma Dei creatoris hat Mozart ganz klar für den Dom geschrieben. Darauf weist die sparsame Besetzung mit Generalbass, zwei Violinstimmen (dem sogenannten »Kirchentrio«) sowie drei chorbegleitenden Posaunen hin. Dass er Salzburg und den Fürsten satt hatte, merkt man dem hellen, freundlichen und sehr inspiriertem Stück nicht an. Der offenbar bruchstückhafte Text entstammt einem mittelalterlichen Gebet an Maria, das in der Art von Stabat-mater-Strophen gedichtet ist. Mozart belebt die holzschnittartigen Verse mit bewegten melodischen Linien, die schlicht und liedhaft phrasiert sind: mehr volksnahes Marienlied als Kirchenliturgie. Formal baut Mozart den knappen Text jedoch zu einem kompletten Sonatensatz aus. In dessen »Durchführung« verdunkelt sich plötzlich der Klangraum nach Moll, tiefere Solostimmen mischen sich ein, Erregung wird spürbar. Für einen Moment liegt ein Hauch von Drama in der Luft, bis die Reprise das unbeschwert optimistische Lied zurückbringt. Der Text schmiegt sich der gesanglichen Melodie dezent an, aber ein Wort springt immer wieder markant hervor: »fortes« und schließlich, von Mozart selbst so gesetzt, »fac fortes«. Möglicherweise bittet er die gnadenreiche Gottesmutter in eigener Sache um Stärke – im Kampf gegen den Erzbischof und im Kampf um eine bessere Stellung.