Riccardo Muti dirigiert Schubert, Haydn, Strauss

Abonnementkonzerte des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks
Donnerstag
30
Mai 2024
20.00 Uhr
München, Isarphilharmonie im Gasteig HP 8

Konzerteinführung: 18.45 Uhr
mit Julian Prégardien
Moderation: Maren Ulrich

Konzert in München
Freitag
31
Mai 2024
20.00 Uhr
München, Isarphilharmonie im Gasteig HP 8

Konzerteinführung: 18.45 Uhr
mit Julian Prégardien
Moderation: Maren Ulrich

Konzert in München
Samstag
1
Juni 2024
19.00 Uhr
München, Isarphilharmonie im Gasteig HP 8

Konzerteinführung: 17.45 Uhr
mit Julian Prégardien
Moderation: Maren Ulrich

Konzert in München

Programm

Joseph Haydn
Te Deum
für Chor und Orchester C-Dur, Hob. XXIIIc:2
  • Te Deum. Allegro – Te ergo. Adagio – Aeterna fac. Allegro moderato
Franz Schubert
Messe Nr. 2 G-Dur
für Soli, Chor und Orchester, D 167
  • Kyrie. Andante con moto
  • Gloria. Allegro maestoso
  • Credo. Allegro moderato
  • Sanctus. Adagio maestoso
  • Benedictus. Andante grazioso
  • Agnus Dei. Lento
Pause
Richard Strauss
Aus Italien
Tondichtung für großes Orchester, op. 16
  • Auf der Campagna. Andante
  • In Roms Ruinen. Allegro molto con brio
  • Am Strande von Sorrent. Andantino
  • Neapolitanisches Volksleben. Allegro molto

Mitwirkende

Siobhan Stagg Sopran
Julian Prégardien Tenor
Vito Priante Bassbariton
Chor des Bayerischen Rundfunks
Peter Dijkstra Einstudierung
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Riccardo Muti Leitung

Gesangstexte (Ansicht im Dark-Modus, auch offline)

Die Interpreten

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Werkeinführungen

Joseph Haydn, Porträtgemälde von Thomas Hardy

Joseph Haydn
31. März 1732 in Rohrau (Niederösterreich) – 31. Mai 1809 in Wien

Te Deum
für Chor, Orchester und Orgel C-Dur, Hob. XXIIIc:2
Entstehungszeit: 1799 oder 1800
Widmung: Kaiserin Marie Thérèse
Uraufführung: Herbst 1800 in Eisenstadt

Gewichtiges Spätwerk
Zu Joseph Haydns Te Deum

Von Susanne Schmerda

Im August 1795 kehrte Joseph Haydn von seiner zweiten triumphalen Englandreise heim nach Wien, um sich nun als allseits gefeierter, mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäufter Komponist seinem Spätwerk zu widmen: den beiden großen Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten, den letzten Streichquartetten, dem Te Deum und, in seiner Eigenschaft als lang gedienter fürstlich Esterházy’scher Kapellmeister, der alljährlichen Komposition von Messen.

Haydns Te Deum in C-Dur entstand 1799 oder 1800 im Auftrag von Kaiserin Marie Thérèse – nicht zu verwechseln mit der 1780 verstorbenen Maria Theresia –, der zweiten Gattin von Kaiser Franz II., der 1792 den österreichischen Thron bestiegen und lange Zeit erfolglos Napoleons Truppen bekämpft hatte. Seiner kaiserlichen Auftraggeberin huldigt das Werk mit einem feierlich-triumphalen Grundgestus und einer hinreißenden Lebendigkeit. Auch die üppige Bläserbesetzung neben Chor und Streichern sowie Pauken und Orgel macht es zu einer repräsentativen Festmusik großen Stils. Wenngleich die Textgrundlage, der Ambrosianische Lobgesang, relativ kurz ist und damit einen kleineren Werkumfang bedingt, braucht das gewichtige Te Deum den Vergleich mit Haydns sechs zwischen 1796 und 1802 komponierten großen Messen nicht zu scheuen. »In seiner knappen, gedrungenen Anlage und seiner markanten Tonsprache zählt es zu den bedeutsamsten Schöpfungen des späten Haydn«, befand der Haydn-Forscher Karl Geiringer. Sicherlich verstärkt nicht zuletzt der Verzicht auf solistische Vokalpartien die packende Eindringlichkeit der Komposition, womit auch der Chor stärker hervortritt.

Zwei strahlende C-Dur-Abschnitte im Allegro (»Te Deum laudamus«) und im Allegro moderato (»Aeterna fac cum sanctis tuis«) umrahmen ein kurzes Adagio in c-Moll (»Te ergo quaesumus«). Im bewegten ersten Teil erklingt in jubelnder Unisono-Intonation die gattungstypische gregorianische »Te Deum«-Melodie im achten Psalmton. Mit einer markanten Zäsur und wirkungsvollem Paukenschlag beginnt kontrastreich der düster-verschattete, von absteigender Motivik und Chromatik bestimmte Adagio-Mittelteil. In einer beschwingten Fuge vereint Haydn im letzten Teil seine Sänger zum heiteren Lob Gottes (»In te, Domine, speravi«) und sammelt alle Mitwirkenden, insbesondere das gesamte Blech, zu einer prachtvollen Schluss-Steigerung.

Auch wenn das Te Deum nicht im Dienst für das Fürstenhaus Esterházy entstand, ist aus Kopisten-Quittungen bekannt, dass es im Herbst 1800 in Eisenstadt aufgeführt wurde – mit großer Wahrscheinlichkeit am 8. September, als der britische Admiral Lord Nelson in Begleitung von Sir William und Lady Emma Hamilton mit großem Pomp für vier Tage auf Schloss Esterházy empfangen und ihm zu Ehren auch die Nelsonmesse (Missa in angustiis, 1798) gespielt wurde.

Franz Schubert (Gemälde von Wilhelm August Rieder, 1875)

Franz Schubert
31. Januar 1797 in Wien – 19. November 1828 in Wien

Messe Nr. 2 G-Dur
für Soli, Chor, Orchester und Orgel, D 167
Entstehungszeit: 2.–7. März 1815
Uraufführung: Unbekannt, wahrscheinlich Frühjahr 1815 in der Pfarrkirche Liechtenthal

Konvention und Tiefe
Zu Franz Schuberts G-Dur-Messe

Von Jörg Handstein

Inmitten der Lieder und Instrumentalwerke Franz Schuberts mag die Kirchenmusik (abgesehen von den Messen in As- und Es-Dur) heute ein eher unscheinbares Dasein führen – in seinem eigenen Leben nahm sie früh einen zentralen Platz ein. Als Erster Sopranist im Kirchenchor seiner Heimatgemeinde Liechtenthal erhielt er Unterricht vom Chorleiter, bis er 1808 als Zögling des k.k. Stadtkonvikts Sängerknabe der Kaiserlichen Hofkapelle wurde. Hier begegnete er erstmals bedeutender Kirchenmusik, etwa von Mozart und den beiden Haydns, und versah daher gern den anderen Zöglingen eher lästigen Dienst, bis er im Juli 1812 notierte: »Schubert Franz zum letztenmahl gekräht.« Seitdem entstanden eigene Stücke zum liturgischen Gebrauch.

Nach Stimmbruch und Konviktszeit besuchte Schubert wieder jeden Sonn- und Feiertag den Liechtenthaler Kirchenchor – wohl auch, weil er dort seine Jugendliebe treffen konnte: Therese Grob, nach Auskunft eines Freundes »ein frisches kindliches Rundgesichtchen, mit schöner Sopranstimme (bis zum hohen D reichend)«, wohnte in der Nähe der Kirche. Der Sopran-Solopart seiner ersten Messe in F-Dur (D 105) war eigens für sie maßgeschneidert, und wahrscheinlich sang Therese auch die markant hervorgehobenen Sopransoli in der G-Dur-Messe. Das Mädchen schien zwar seine Gefühle zu erwidern und einer Heirat nicht abgeneigt zu sein, aber Schubert, der sich vergeblich um eine adäquate Stelle bemühte, konnte die Unternehmerstochter als armselig bezahlter Hilfslehrer unmöglich ehelichen. Mit einem Bäcker machte sie 1820 eine bessere Partie.

Die Komposition funktionaler Kirchenmusik, eine Aufgabe, die persönliche Empfindungen sonst eher ausschloss, hatte für Schubert also durchaus einen affektiven Lebensbezug. Dass er dabei auch planvoll an seiner Karriere arbeitete, zeigt gerade die F-Dur-Messe D 105 von 1814, mit der der junge Komponist erstmals an die Öffentlichkeit trat. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums ihres Bestehens leistete sich Schuberts Heimatkirche ein feierliches Hochamt, und dem 17-Jährigen gelang mit einer meisterhaft komponierten Missa solemnis im Stil von Haydns großen symphonischen Orchestermessen ein glänzendes Debüt. Und der Erfolg schien Schubert noch zu beflügeln: Mit Gretchen am Spinnrade folgte der erste geniale Wurf im Liedschaffen, und auch 1815 war ein äußerst fruchtbares Jahr, in dem trotz Arbeitsfron an der väterlichen Schule u. a. 145, oft bedeutende Lieder, zwei Singspiele, zwei Symphonien und zwei Messen entstanden.

Abermals für Liechtenthal schrieb Schubert Anfang März 1815 – in nur sechs Tagen – seine zweite Messe, diesmal allerdings für einen kleineren Anlass oder den Sonntagsgottesdienst. In ihren knappen Ausmaßen, ihrer relativ bescheidenen Tonsprache und der originalen Streicherbesetzung ist sie äußerlich ein typisches Beispiel der Missa brevis, die im kirchenmusikalischen Alltag vor allem auf leichte Praktikabilität abzielte. Später fügte Schubert noch Trompeten und Pauken hinzu, die nicht nur mehr Glanz bringen, sondern auch die Dramaturgie der Mittelsätze entscheidend aufwerten. 1847 bereicherte dann Bruder Ferdinand die Partitur noch um einige Holzbläser, doch bereits das von Schubert so sparsam wie subtil eingesetzte Streichorchester webt ein kunstvolles Klanggewand, das dem feinen, zartgetönten Charakter der Messe entspricht. Überhaupt gilt diese, seine kürzeste, schlichteste und im 19. Jahrhundert beliebteste Messe unter Kennern als schönstes Sakralwerk des frühen Schubert. Bereits im Gloria – dem Satz, der am stärksten klassischen Vorbildern folgt – erstaunt das hohe Niveau dieser »Gebrauchsmusik«. Reiche Details sorgen für stete Abwechslung, sind aber einem dynamischen und motivisch kohärenten Bogen untergeordnet, der das Stück zu einer symphonisch geschlossenen Form rundet. Vor allem das »Domine Deus«, in dem ein Sopran-Bass-Duett, der deklamierende Chor und ein markantes Violin-Thema kunstvoll ineinandergreifen, bezeugt die meisterhafte Beherrschung spätklassischer Vertonungstechnik, die Schubert hier genial auf die kompakte Form überträgt.

Dem gesamten Zyklus verleiht das melodische Material einen festen Zusammenhalt: Die meisten Motive beruhen linear auf der Tonleiter, so dass sich der einheitliche »Ton« eines kantabel strömenden Melos einstellt, den der liedhafte Beginn des Kyrie mit seiner ruhig wiegenden Bewegung sogleich anstimmt. Wie in seiner ersten Messe – und zuvor schon Beethoven – gibt Schubert damit die repräsentative Haltung der früher üblichen Kyrie-Rufe auf und huldigt einem neuen Ideal der bürgerlich-privaten Andacht: Die »wahre Innigkeit des religiösen Gefühls« nannte es Beethoven. Den Konventionen der vom Kaiserhof geförderten Volksfrömmigkeit entspricht der meist akkordisch-schlichte Chorsatz, der im kirchenliedartigen Beginn des Credo sogar Gemeindegesang zu stilisieren scheint.

Dennoch lässt sich die Messe nicht einseitig auf Volksnähe und unbekümmerte Melodienseligkeit festlegen: Schon nach der ersten Lied-Periode bringen die – nun doch traditionellen – Kyrie-Rufe rhythmische Unruhe in die fließende Bewegung, und pathetische Moll-Klänge trüben die lichte, reine Klangwelt des G-Dur. Auf die insistierend flehenden Gebärden des Solo-Soprans antworten weitere Chorrufe, mit denen der Fluss der Musik vor der Reprise schließlich ganz ins Stocken gerät – auskomponierter Stillstand, in dem die innig Betenden an der Aussicht auf Erbarmen zu zweifeln scheinen.

Ob die Textlücken im Credo von Schuberts Messen nun Glaubenszweifel, jugendlichem Protest oder einfach Vergesslichkeit zu verdanken sind, ist noch immer unklar. Erstaunlich bleibt auch, dass das Fehlen zentraler Glaubenssätze wie »Et exspecto resurrectionem« und »Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam« offensichtlich geduldet wurde. Dass Schubert wahrscheinlich die Kirche als Institution nicht anerkannte, zeigt die mit seinem Bruder Ignaz geteilte Abneigung gegen das »Bonzengeschlecht«. In der Tradition aufklärerischer Pfaffen-Karikatur beschrieb er 1818 einen Priester als »bigottisch wie ein altes Mistvieh, dumm wie ein Esel und roh wie ein Büffel« – was indessen nicht auf mangelnde Religiosität schließen lässt. Wie Briefe und Tagebucheinträge zeigen, lebte Schubert einen dogmatisch ungebundenen Glauben und eine spontan emotionale Frömmigkeit, die er mit anderen liberal eingestellten Zeitgenossen teilte. Man darf annehmen, dass sich schon der Schüler Schubert, der übrigens 1814 schlechte Noten in Religion kassierte, seine eigenen Gedanken über die Glaubensinhalte machte.

Das so schön schlicht und volksfromm eingerahmte Credo birgt nämlich einen Mittelteil, in dem er die konventionellen Vertonungsmuster der Christus-Lehre recht eigenwillig handhabt: Während sonst ein verhaltener, weihevoller Einsatz das »Et incarnatus est« hervorhebt, beginnt Schubert diesen von einer aufblühenden Violinfigur begleiteten Teil bereits mit »qui propter nos homines« und akzentuiert damit eher den Gedanken an die lebenden Menschen als das Mysterium der Fleischwerdung. Der grelle Kontrast zwischen dem düsteren Mollton der Kreuzigung und dem Dur-Jubel der Auferstehung entspricht der Konvention, aber Schubert spannt den dramatischen Bogen noch über das Jüngste Gericht hinaus bis zur Verkündung des Reiches Christi. Wo man strahlende Glorie erwartet, kulminiert die Musik in einem mächtigen Chor-Unisono, das mit schauerlich verstörender Wirkung um eine große Sept nach unten stürzt.

Auch im bei Haydn meist weihevollen Sanctus zeichnet Schubert mit barocker Rhetorik das Bild eines Gottes, der in furchterregender Majestät unter seinen Heerscharen thront. Umso deutlicher tritt im Benedictus wiederum das »Menschliche« hervor: Intensiviert von der immer reicheren Begleitung, darf sich eine lange, innige Melodie ungehindert entfalten und kanonisch wiederholen. Wie in manchen langsamen Sätzen des späten Schubert stellt sich ein Eindruck von zeitlicher Entgrenzung ein. Das Benedictus ist das kontemplative Herzstück der Messe.

Bislang noch unbekannte Tiefen des Ausdrucks öffnet das Agnus Dei: Schwere Seufzer und eine herbe Moll-Harmonik steigern die durchaus konventionelle Klagestimmung bis zur Trostlosigkeit, die auch das Dona nobis pacem nicht aufheitert. Zwar verströmt der Gebetston des Chores Wärme und Innigkeit, aber die Soli zwingen die Musik jedes Mal in das Moll zurück. Zwischen der Klage des Einzelnen und dem kollektiven Gebet der Gemeinde findet keinerlei Vermittlung statt: Das Subjekt bleibt allein mit seiner untröstlichen Trauer. Selbst der Dur-Schluss klingt eher schwach und unsicher. Die Frage, ob wirklich Frieden möglich sei, bleibt damit zwischen der fatalistischen Klage des Soprans und dem schlicht-naiven Chorgebet in der Schwebe.

Schuberts frühe Messe in G mag noch nicht in musikalisches Neuland vorstoßen – ihre Schönheit und die Tatsache, dass ihr teils unorthodoxer Umgang mit dem Text zur Interpretation herausfordert, machen sie dennoch zu einem kleinen Kunstwerk.

»Ausdruck ist unsere Kunst«
Zu Richard Strauss’ Sinfonischer Fantasie Aus Italien, op. 16

Von Adrian Kech

Lebensdaten des Komponisten: 11. Juni 1864 in München – 8. September 1949 in Garmisch-Partenkirchen. Entstehungszeit: 1886. Widmung: »Herrn Dr. Hans von Bülow in tiefster Verehrung und Dankbarkeit gewidmet«. Uraufführung: März 1887 im Münchner Odeon unter der Leitung des Komponisten

Im Januar 1889 wandte sich Richard Strauss an Karl Wolff, den Musikreferenten des Kölner Tageblatts: »Es ist doch eigentlich zu lächerlich, einem heutigen Komponisten, dem sowohl die Klassiker, insbesondere der letzte Beethoven, als auch Wagner und Liszt Lehrmeister waren, zuzutrauen, dass er ein Werk von einer Länge von ¾ Stunden schreibt, um mit einigen pikanten Tonmalereien und glänzender Instrumentation […] prunken zu wollen. ›Ausdruck‹ ist unsere Kunst, mehr als die bildenden Künste, ja selbst als die Wortpoesie!« Mit dem »Werk von einer Länge von ¾ Stunden« meinte Strauss seine Sinfonische Fantasie Aus Italien, die am 8. Januar in einem Kölner Gürzenich-Konzert erklungen war. Wolff hatte dazu eine Rezension verfasst. Die Münchner Uraufführung von Aus Italien lag knapp zwei Jahre zurück, und Strauss zählte Wolffs Besprechung zu den ersten, die den Inhalt seines Werkes wirklich erfasst hätten: »Empfindungen beim Anblick der herrlichen Naturschönheiten Roms und Neapels, nicht Beschreibungen derselben.« Manche Sichtweise, so Strauss empört, sei regelrecht verfehlt: »›Ein musikalischer Bädeker Süditaliens‹ bekam ich einmal zu lesen.«

Dass Strauss nicht nur die Klassiker, sondern inzwischen auch Richard Wagner und Franz Liszt zu seinen »Lehrmeistern« rechnete, verdankte er wesentlich Alexander Ritter. Ihm begegnete Strauss in Meiningen, wo er ab Oktober 1885 unter Hans von Bülow das Handwerk eines Orchester- und Chordirigenten erlernte. Ritter war Geiger im Meininger Hoforchester, und er machte den jungen, ehrgeizigen Komponisten mit der Ästhetik der sogenannten Neudeutschen vertraut. Hatte Strauss zunächst für Johannes Brahms geschwärmt, so erblickte er das Leitbild seiner Symphonik fortan in Werken von Hector Berlioz oder eben Franz Liszt. Wie Strauss sich später erinnerte, übernahm er damals dessen Credo: »Neue Gedanken müssen sich neue Formen suchen – dieses Lisztsche Grundprinzip seiner sinfonischen Werke […] war mir von da ab der Leitfaden für meine eigenen sinf. Arbeiten.«

Die Empfindungen, die kompositorisch in Aus Italien einflossen, hatten gleichwohl einen realen Hintergrund. Bevor Strauss im August 1886 seine neue Stelle als Dritter Kapellmeister in München antrat, bereiste er im Frühsommer des Jahres Italien. Hauptstationen seiner Reise waren Rom und Neapel, von wo aus er einen mehrtägigen Abstecher nach Sorrent, Salerno und Capri unternahm. Gut fünf Wochen, von Mitte April bis Ende Mai, war er unterwegs. In dieser Zeit schrieb er wiederholt an seine Familie und berichtete begeistert von seinen Erlebnissen und Eindrücken. Noch während seiner Italien-Reise begann Strauss zu skizzieren. Seiner Schwester schrieb er am 26. April aus Rom: »In den Thermen des Caracalla ist mir ein sehr schönes Orchesterthema eingefallen: Cdur 6/4.« Hierbei handelte es sich wohl um das spätere Hauptthema des zweiten Satzes. In Sorrent, so erfuhr Strauss’ Vater brieflich, war am 3. Mai »ein solcher Sturm, daß nach Capri weder Kahn noch Dampfschiff geht«. Die Witterung schien Strauss zu inspirieren, denn er habe »einen famosen Seesturm für Orchester entworfen. Adur.« Zurück in Rom, meldete Strauss seiner Mutter am 11. Mai: »Ich komponire auch viel in Cdur | Adur | Gdur | in Cmoll natürlich auch ein bischen [sic].« Wenngleich sich das Komponierte nicht verlässlich identifizieren lässt, sind die genannten Tonarten für Aus Italien prägend: Der erste und der vierte Satz stehen in G-Dur; die Exposition des zweiten Satzes in C-Dur enthält eine energische c-Moll-Episode; und der dritte Satz steht in A-Dur (das anfangs nach f-Moll abgedunkelt ist).

Dabei stand die Gesamtanlage des Werkes keineswegs von vornherein fest. Nach seiner Rückkehr berichtete Strauss im Juni 1886 sowohl dem Kölner Dirigenten Franz Wüllner als auch seinem Mentor Bülow von einer fünfsätzigen Fassung. Das fertige Werk Aus Italien hat indes nicht fünf, sondern vier Sätze, und von einem »Seesturm«-Satz ist nichts bekannt. Wann und aus welchen Gründen Strauss das Werkkonzept änderte, ist ungewiss. Auch der Abschluss der finalen Partitur ist nicht mit Sicherheit anzugeben. Den ersten Satz vollendete Strauss am 29. Juli, den vierten Satz am 12. September und den dritten Satz am 31. Oktober. Für den zweiten Satz jedoch, den Strauss teilweise überarbeitete, fehlt das autographe Abschlussdatum.

Das neue Werk des Komponisten zeitigte kontroverse Reaktionen. Die Münchner Uraufführung am 2. März 1887 leitete Strauss selbst. Zwei Tage danach berichtete er seinem Onkel vom »großen Rumor«, den Aus Italien »hier vorgerufen« habe: »Das sehr complicirte Werk ist natürlich von den Meisten absolut nicht verstanden worden, um so mehr, als es fast vollständig von der herkömmlichen Sinfonie- d.h. Sonatenform abweicht, das war allen, selbst den meisten Musikern zu hoch.« An Bülow schrieb Strauss, Aus Italien habe »hier große Opposition, Kopfschütteln, von anderen Seiten auch wieder großes Lob erfahren«; jedenfalls sei das Stück sein »erster Schritt zur Selbständigkeit«. Noch dreieinhalb Monate nach der Premiere war Strauss stolz auf »die Opposition des großen Haufens«, denn er nahm sie als Hinweis darauf, dass sein Werk »doch nicht unbedeutend« sein könne.

Das Neue an Aus Italien lag weniger in der (freilich virtuosen) Orchestrierung als vielmehr in der Form. Der langsame erste Satz Auf der Campagna legt zwar die Werktonart G-Dur fest. Er unterläuft die Hörerwartung aber insofern, als er gerade kein klassischer Kopfsatz einer Symphonie ist. Sein majestätisches zweites Thema steht in Es-Dur. In seiner Werkanalyse vom Januar 1888 nannte Strauss den Satz ein »Präludium, welches die Stimmung wiedergibt, die der Componist beim Anblick der weiten, in Sonnenglut getauchten römischen Campagna […] empfand«. Die Funktion des typischen Allegro-Kopfsatzes übernimmt stattdessen der zweite Satz In Roms Ruinen, nun allerdings in C-Dur. Sein Untertitel lautet: Fantastische Bilder entschwundener Herrlichkeit, Gefühle der Wehmut und des Schmerzes inmitten sonnigster Gegenwart. Diesen programmatischen Hinweisen ordnete Strauss verschiedene Themenkomplexe zu. Der dritte Satz Am Strande von Sorrent ist ein Andantino, also kein rasches Scherzo, das ganz entfällt. Laut Strauss stellt der Satz »die zarte Musik der Natur« der »sie aufnehmenden menschlichen Empfindung« gegenüber. Das Oboen-Solo im bewegteren a-Moll-Mittelteil sei »ein einsamer Gesang«, der »an’s Ufer schallt«. Kurz: Ungewöhnlich an Aus Italien sind nicht nur »die Reihenfolge der Sätze und ihre formalen wie tonartlichen Merkmale«, sondern auch »partiell ihre Binnenstrukturen« (Walter Werbeck). Folgt man Strauss’ eigener Darstellung aus späterer Zeit, ging es bei dieser »Suite« um die »Verschiebung der Sätze u. wie im 3. Satz (Sorrent) der einzelnen Satzteile selbst«.

Weitere Konzerte

Sa. 5. Apr. 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Kreuzwege
Peter Dijkstra dirigiert »Via crucis« von Franz Liszt und »The Little Match Girl Passion« von David Lang
So. 13. Apr. 19.00 Uhr
Salzburg, Großes Festspielhaus
Esa-Pekka Salonen (Foto: Benjamin G. Suomela)
Mit Esa-Pekka Salonen bei den Salzburger Osterfestspielen
Mahlers »Auferstehungssymphonie« mit BR-Chor und dem Finnischen RSO
Fr. 18. Apr. 19.00 Uhr
Salzburg, Großes Festspielhaus
Maxim Emelyanychev (Foto: Andrej Grilc)
Mit Maxim Emelyanychev bei den Salzburger Osterfestspielen
Mendelssohns »Elias« mit BR-Chor und dem Mahler Chamber Orchestra
Sa. 24. Mai 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Joik – Götter, Geister und Schamanen
Peter Dijkstra dirigiert Chormusik von Holst, Holten, Martin, Sandström und Mäntyjärvi
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