Hrvatska Misa – Kroatische Messe
Konzerteinführung um 19 Uhr
mit Tomislav Fačini und Miroslav Nemec
Moderation: Julia Schölzel
BR-KLASSIK
Sendung des Konzertmitschnitts
am Di., 18. Februar, um 20.03 Uhr

Programm
keine Pause
Lesung: Enes Kišević
Dona nobis pacem
I. Gospode pomiluj (Kyrie eleison)
Lesung
Izidor Poljak: Seelenfeuer
II. Slava (Gloria)
Lesung
Bonaventura Duda: Lass mich sein
III. Vjerovanje (Credo)
Lesung
Vladimir Nazor: Heilig
IV. Svet (Sanctus)
V. Blagosloven (Benedictus)
Lesung
Antun Branko Šimić: Der gefundene Gott
VI. Jaganjče Božji (Agnus Dei)
Mitwirkende
»Unser Volk singt ohne instrumentale Begleitung«, äußerte Boris Papandopulo anlässlich der Uraufführung seiner Kroatischen Messe 1942 in Zagreb. Damit verwies er auf die jahrhundertealte Tradition der Kirchen- und Volksgesänge, deren vielfältige Klangidiome er in der Messe zu einem eindrucksvollen Ganzen zu verschmelzen wusste. Als Komponist ist der griechischstämmige Papandopulo in der nationalen kroatischen Schule verwurzelt, aber sein breites stilistisches Blickfeld reichte bis zu Neoklassizismus, Jazz, Schlager und Volksmusik. Gleichsam eine Herzensangelegenheit bedeutet es dem Chefdirigenten des Münchner Rundfunkorchesters Ivan Repušić, das Werk seines Landsmannes nun mit dem BR-Chor zu präsentieren.
Gesangstexte
Mitwirkende
Werkeinführungen
Die Spiritualität Dalmatiens
Zu Frano Paraćs kurzem Chorsatz Dona nobis pacem
Von Florian Heurich
Frano Parać
* 11. Mai 1948 in Split (Kroatien)
Dona nobis pacem
für gemischten Chor a cappella
Entstehungszeit: 1993
Uraufführung: 7. April 1993 bei der
Music Biennale Zagreb (MBZ) mit den
BBC Singers unter der Leitung von Ronald Corp
Der kroatische Komponist Frano Parać wurde in Split in Dalmatien geboren, studierte Musiktheorie und Komposition in Zagreb und vertiefte dann seine Kenntnisse im Bereich der elektronischen Musik am Studio di fonologia musicale della RAI in Mailand. Nach Experimenten mit verschiedenen Ausdrucksformen der Neuen Musik hat er schließlich zu seinem eigenen Stil gefunden, den man etwa als gemäßigt modern bezeichnen könnte. In seinen Werken kann man klassische Formen erkennen, seine Klangsprache ist jedoch einer zeitgemäßen Ausdrucksweise verpflichtet, die Musiktraditionen niemals aus dem Blick verliert: die rhythmische Stabilität des Barock, die formale Klarheit der Klassik, die emotionale Freiheit der Romantik.
Im Zusammenhang mit seiner Oper Judita, die das Münchner Rundfunkorchester erst jüngst konzertant aufgeführt hat und die einige Jahre nach dem Chorsatz Dona nobis pacem entstanden ist, äußerte Parać über seine Musik: »Sie trägt ein zeitgenössisches Gewand, gründet sich aber absolut auf die Tonalität, ob das nun Dur, Moll, ein Modus oder irgendeine spezielle Tonleiter ist.« Sein umfangreicher Werkekanon umfasst Orchester- und Kammermusik und vor allem Vokalmusik, insbesondere Chorwerke. Darin schwingen bisweilen Anklänge an die kroatische Kirchenmusik mit, und immer sind seine Kompositionen durchzogen von der typisch mediterranen Mischung aus ehrlicher Emotionalität und maßvoller Ausgeglichenheit.
Die 1993 von den BBC Singers bei der Music Biennale in Zagreb uraufgeführte Chorkomposition Dona nobis pacem beginnt in der friedvollen Ruhe eines Psalms. Hier zeigt sich Paraćs Gespür für kompositorische Schlichtheit, durch die die Friedensbotschaft des Textes umso eindrücklicher vermittelt wird. Die Musik bewegt sich in kleinen Intervallschritten weiter und bleibt dabei harmonisch immer im tonalen Bereich, wobei Parać sehr subtil mit Dynamik und Tempo spielt und den Gesang immer wieder an- und abschwellen lässt. Auf diese Weise wird die verbale Ebene des Textes nicht durch äußerliche Gestaltungsmittel illustriert, vielmehr wird dem Text der nötige Raum gegeben, für sich selbst zu stehen. Zugleich ist in den Gesangsstimmen ein großes Maß an Emotion und spirituellem Empfinden zu spüren. Formal ist dieser Chorsatz symmetrisch aus fünf Teilen aufgebaut (A – B – C – B – A) mit einer Klimax in der Mitte, bevor die Komposition allmählich wieder zur Ruhe des Beginns zurückkehrt. Vor dem Hintergrund, dass sich Kroatien gerade im Krieg befand, als das Werk entstand, erscheint dieses Gebet für Frieden, das Parać sehr persönlich, aber auch mit Blick auf seine Mitmenschen in Töne setzt, besonders ergreifend.
Parać betont, dass die liturgische Musik und die Chortradition seiner Heimat Dalmatien sowie die Archaik der Gesänge im alten Kirchenslawisch ihn zwar immer fasziniert und inspiriert hätten, jedoch nicht direkt in seine Kompositionen eingeflossen seien, und er diese nicht zitiert habe. Dennoch ist auch in dem kurzen A-cappella-Stück Dona nobis pacem die Spiritualität dieser Musiktradition Kroatiens greifbar.
»Zutiefst religiös und ernst«
Boris Papandopulos Kroatische Messe – Annäherungen an nationale Traditionen und alte Kirchenmusik
Von Florian Heurich
Boris Papandopulo
* 25. Februar 1906 in Honnef bei Bonn
† 16. Oktober 1991 in Zagreb (Kroatien)
Hrvatska misa (Kroatische Messe)
Für Soli und Chor a cappella d-Moll, op. 86
Entstanden: Auftragswerk der Ersten Kroatischen
Chorgesellschaft Kolo, am 3. Juli 1938 in Samobor
bei Zagreb vollendet.
Uraufführung: 1. April 1942 in Zagreb
durch die Erste Kroatische Chorgesellschaft Kolo
unter der Leitung des Komponisten
Es sollte ein sakrales Werk im Geiste und Stil der seit Jahrhunderten überlieferten kroatischen Vokalmusik werden und zudem eine Chorkomposition für den ganz praktischen Gebrauch. »Das Werk ist a cappella komponiert, also weder mit Orchester- noch mit Orgelbegleitung. Meine Absicht war in erster Linie, die Aufführung zu erleichtern und zu vereinfachen, vor allem weil die Chorgesellschaft die Messe auf Tour in ganz Kroatien singen sollte, auch an Orten, an denen es kein Orchester und keine ordentliche Orgel gab. Andererseits wollte ich hervorheben, dass kroatische Chormusik fast immer A-cappella-Gesang ist«, schrieb Boris Papandopulo anlässlich der Premiere seiner Kroatischen Messe 1942 in Zagreb. Papandopulo komponierte die Messe für die Kroatische Chorgesellschaft Kolo, deren Dirigent er von 1928 bis 1934 sowie von 1938 bis 1946 war. In den Jahren dazwischen übernahm er eine Lehrtätigkeit an der Staatlichen Musikschule in Split, und nach eigenem Bekunden hatte er sich in der »romantischen und […] unvergesslichen Atmosphäre« dieser Stadt das Brauchtum und die Tradition der Kirchenmusik Dalmatiens erschlossen, die in die Kroatische Messe einfließen sollten.
Papandopulo war gerade dabei, sich einen festen Platz im Musikleben Kroatiens als Dirigent, Chor-, Orchester- und Operndirektor zu schaffen und zu einem der wichtigsten Komponisten des Landes zu werden. Als Sohn des russisch-griechischen Aristokraten Konstantin Papandopulo und der kroatischen Opernsängerin Maja Strozzi wurde er 1906 in Honnef am Rhein geboren. Der Vater hielt sich dort für einen längeren Kuraufenthalt auf, die Mutter hatte ein Engagement in Wiesbaden. Nach einigen Jahren in Stawropol im Nordkaukasus, der Heimat des Vaters, und dessen frühem Tod kehrte die Mutter mit ihrem Sohn nach Kroatien zurück, wo Boris Papandopulo in einem von Musik und Theater geprägten Umfeld aufwuchs. Die Großmutter war ein Star der kroatischen Bühnen, der Onkel ein berühmter Regisseur und Schauspieler, und die Mutter versammelte in ihrem Haus die künstlerische und intellektuelle Elite von Zagreb. Zu ihren Freunden zählte auch Igor Strawinsky, der dem jungen Papandopulo zu einer musikalischen Ausbildung in Wien verhalf und ihn auch weiterhin förderte.
In Wien feierte er seinen ersten Erfolg als Komponist mit der Kantate Slavoslovije, die 1928 im Musikverein uraufgeführt wurde, während er in seinem Heimatland zunächst vor allem als Dirigent verschiedener Chorgesellschaften Fuß fasste. Mit der Ernennung zum Operndirektor in Zagreb 1943 war er schließlich endgültig zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten im kroatischen Kulturleben seiner Zeit geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte Papandopulo im neu gegründeten Jugoslawien als Operndirektor in Rijeka und Sarajevo und dirigierte weiterhin an seinen früheren Wirkungsstätten Zagreb und Split.
Vor allem in seinen vor dem Zweiten Weltkrieg entstandenen, früheren Werken, zu denen auch die Kroatische Messe zählt, orientierte sich Papandopulo sowohl stilistisch als auch thematisch an der Musik und der Kultur seines Heimatlandes. Er integrierte einen kroatischen Nationalstil in seine Kompositionsweise, von dem ausgehend er aber auch die aktuellen Strömungen der europäischen Musik im Blick hatte, so etwa die Errungenschaften der Groupe des Six mit ihrer Hinwendung zur zeitgenössischen Unterhaltungsmusik, den Neoklassizismus und die Dodekaphonie. Bereits 1947 wurde er als bedeutender Komponist Jugoslawiens zu den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik nach Darmstadt eingeladen.
In der ersten Schaffensphase entstanden über vierzig Chorkompositionen, rund dreißig davon a cappella, darunter das romantische Epos Die goldgeflügelte Ente (1932) und zahlreiche Sakralwerke wie die Passion unseres Herrn Jesu Christi (1936). An diesen und an seinen anderen Werken zeigt sich Papandopulos Interesse für die geistliche Gesangstradition seiner Heimat, für Volksmusik und Folklore sowie für Themen aus der kroatischen Kultur und Literatur.
Im neuen Jugoslawien behielt Papandopulo ein gewisses nationales Idiom zwar bei, wurde gleichzeitig jedoch moderner in seiner Musiksprache und nahm sowohl thematisch als auch musikalisch Bezug zum aktuellen Zeitgeschehen. So machen sich in seinen Werken aus jener Zeit die Charakteristika eines sozialistischen Realismus bemerkbar, wie er auch in anderen Ländern Osteuropas in Kunst und Musik aufkam.
Die Arbeit an der Kroatischen Messe beendete Papandopulo im Sommer 1939, als er in Samobor außerhalb von Zagreb die Ferien verbrachte. Das Werk bildet die Synthese seiner Beschäftigung mit der Musikkultur seines Heimatlandes und zwar weniger mit der Volksmusik, als vielmehr mit der liturgischen Musik. Auch wenn die kroatische Sprache – es handelt sich um eine Übersetzung der römisch-katholischen Messliturgie – dem Werk eine gewisse nationale Farbe verleiht, so ist es doch vor allem geprägt von der Tradition alter Kirchengesänge aus Dalmatien. »Der Grundton meiner Kroatischen Messe ist zutiefst religiös und ernst«, schrieb Papandopulo. »Was die musikalische Form betrifft, so ist die Messe komplett im polyphonen Stil komponiert […]. Ich habe mich größtenteils auf syllabische und diatonische Textvertonung beschränkt, was generell ein Merkmal der kroatischen Vokalmusik ist. Dennoch finden sich dort, wo es absolut notwendig war, chromatische Elemente.«
In diesem polyphonen Chorsatz erscheinen die vier Solisten zum Teil einzeln, während der Chor eine begleitende Rolle übernimmt, an anderer Stelle treten sie als zwei- oder vierstimmiges Quartett auf, das mit dem Chor im Wechsel singt.
So beginnt die Messe mit einem dreimaligen Ausruf des Tenorsolisten »Gospode pomiluj!« (»Herr, erbarme dich!«) bevor der Chor einsetzt und sich ein getragener, feierlicher Kyrie-Satz entfaltet. Darauf folgt ein hymnisches, optimistisches Gloria (Slava), während das Credo (Vjerovanje) sehr suggestiv ist und schon fast deskriptiv wirkt in der Art und Weise, wie Papandopulo den Text musikalisch nachzeichnet: zunächst ein gebetartiges Alt-Solo, das in einen Trauermarsch übergeht. Dieser schildert den leidvollen Gang Jesu nach Golgatha und dessen Tod. Das Wort »Raspet« (»Gekreuzigt«) schwingt hier als Ostinato der Bässe unter dem Text der Solisten und des restlichen Chores mit. Schließlich wandelt sich die tragische Musik auf die Worte »I uskrsnuo treći dan« (»Er ist am dritten Tage auferstanden«) in ein hoffnungsvolles Allegro maestoso.
Im triumphierenden Sanctus (Svet) findet der polyphone Gesang in einem achtstimmigen Doppelchor seine raffinierteste Ausformung. Hier kommt die Charakteristik der kroatischen Vokalmusik am eindrücklichsten zum Vorschein. Das Benedictus (Blagosloven) ist ein getragener, fast düsterer Choral, in dem die Solisten, insbesondere Sopran und Tenor, lichte Akzente setzen, und der in einen jubilierenden Schlussteil (»Hosanna«) mündet. Das die Messe beschließende Agnus Dei (Jaganjče Božji) beginnt als Wechselgesang zwischen Chor und Bariton-Solo. Die eindringlich flehende Bitte um Erbarmen des Baritons, also des einzelnen Menschen, wird schließlich zum kollektiven Wunsch nach Frieden.
Dieser letzte Satz ist bestes Beispiel dafür, wie Papandopulo in seiner Kroatischen Messe über eine rein liturgische Komposition hinausgeht und vor allem tief empfundene menschliche Gefühle zum Ausdruck bringt. Dabei löst er das Individuum mit all seinen Ängsten, Sorgen und Hoffnungen aus dem Kollektiv heraus, stellt es den Emotionen der ganzen Menschheit gegenüber und lässt es schließlich wieder mit dem Kollektiv verschmelzen.
Die Uraufführung am 1. April 1942, also erst rund drei Jahre nach Beendigung der Komposition, durch die Erste Kroatische Chorgesellschaft Kolo wurde zu einem großen Erfolg, sodass das Werk danach in ganz Kroatien zur Aufführung kam und von anderen Ensembles ins Repertoire übernommen wurde. Damit war Papandopulos Anspruch geglückt, ein Werk zu schaffen, das bestimmt war für die unmittelbare Musikpraxis, und das vor allem den Geist und die Gesangstradition seines Landes aufgriff. Ein Werk, das die Menschen erreichte.