Herbert Blomstedt dirigiert Strawinsky und Mendelssohn
Konzerteinführung: 18.45 Uhr
mit Dr. Norbert Roth, Pfarrer an der evangelischen Kirche St. Matthäus in München
Moderation: Markus Thiel
BR-KLASSIK
Live-Übertragung in Surround um 20.03 Uhr
Wichtiger Hinweis zum Konzert am Samstag!
Aufgrund von kurzfristig aufgetretenen und nicht behebbaren technischen Störungen in der Residenz musste das Konzert am Samstag aus Sicherheitsgründen bedauerlicherweise abgesagt werden.
Wir sind unendlich traurig, dass wir durch von uns nicht beeinflussbare Umstände eines Konzerterlebnisses beraubt wurden, auf das wir uns gemeinsam mit unserem Publikum, dem einzigartigen Herbert Blomstedt, wunderbaren Solist*innen und den geschätzten Kolleg*innen so sehr gefreut hatten.
Die Unannehmlichkeiten, die unseren Besucherinnen und Besuchern dadurch entstanden, sind uns höchst unangenehm, gleichzeitig bedanken wir uns für das – trotz Enttäuschung – vielfach entgegengebrachte Verständnis vor Ort.
Eintrittskarten werden selbstverständlich zurückerstattet. Sie können die Tickets dort zurückgeben, wo Sie sie erworben haben. Bei Rückfragen steht Ihnen BRticket unter 089/5900-10880 gern zur Verfügung (Mo, Di, Do, Fr 9 – 16 Uhr).
Programm
- Exaudi orationem meam
- Expectans expectavi Dominum
- Alleluia. Laudate Dominum
- Sinfonia
- Chor und Sopran. Alles was Odem hat, lobe den Herrn – Lobe den Herrn, meine Seele
- Rezitativ und Arie (Tenor). Saget es, die ihr erlöst seid – Er zählet unsre Tränen
- Chor: Sagt es, die ihr erlöset seid
- Duett (Sopran I/II) und Chor. Ich harrete des Herrn – Wohl dem, der seine Hoffnung setzt
- Tenor/Sopran. Stricke des Todes hatten uns umfangen – Wir riefen in der Finsternis
- Chor. Die Nacht ist vergangen
- Choral. Nun danket alle Gott
- Duett. Drum sing ich mit meinem Liede
- Schlusschor: Ihr Völker! Bringet her dem Herrn
Mitwirkende
Gesangstexte
PDF auch offline ansehen im Dark-Modus
Mitwirkende
Dirigent, Sängerinnen und Sänger, BRSO
Werkeinführungen
Igor Strawinsky
* (17.) Juni 1882 in Oranienbaum bei St. Petersburg
+ 6. April 1971 in New York
Psalmensymphonie
Entstehungszeit: Januar – 15. August 1930 in Nizza und Echarvines
Widmung: »Cette symphonie composée à la gloire de DIEU est dédiée au Boston Symphony Orchestra à l’occasion du cinquantenaire de son existence.«
Uraufführung: 13. Dezember 1930 im Palais des Beaux Arts in Brüssel unter der Leitung von Ernest Ansermet
Halb weltlich, halb religiös
Zu Igor Strawinskys Psalmensymphonie
Von Regina Back
»Unser [20.] Jahrhundert ist voll absurder Kampflust, Grausamkeit und Ungerechtigkeit, doch ist es auch durchdrungen von Sehnsucht nach Besserem und Größerem. […] In der Kunst ist es ein Jahrhundert des raschesten Wandels, den die Welt je erlebt hat. Darum auch glaube ich, dass Strawinsky ein so echtes Symbol oder vielmehr ein so wahres Abbild seines Jahrhunderts ist. Doch gibt es in Strawinskys Fall ein zusätzliches Element, das in meinen Augen sein Format und die Gültigkeit seiner Kunst noch erhöht: sein tiefwurzelndes, zutiefst russisches Gefühl der Ehrfurcht vor Gott und allen seinen Geschöpfen, das Element des ›Dienens‹ in seiner Kunst.« Mit diesen Worten umschrieb der Komponist Nicolas Nabokov 1964 die historische Position und Bedeutung des mit ihm befreundeten Igor Strawinsky. Der kosmopolitische Lebensweg des Komponisten hat viele Stationen und Wohnsitze gekannt, angefangen mit dem Elternhaus in St. Petersburg und dem Landsitz in Ustilug, über die Jahre am Genfer See, wo Strawinsky von 1914 an im Exil lebte, bis hin zu Paris, das für ihn zur neuen künstlerischen Heimat wurde, und schließlich Hollywood, wo er sich nach seiner Übersiedlung in die USA 1939 endgültig niederließ. Auch sein Schaffen zeichnet sich durch eine Vielzahl von höchst unterschiedlichen musikalischen Stilen aus, die mit einer Reihe von ästhetischen Kehrtwendungen verbunden waren. Die stilistische Palette reicht dabei von der sublimierten russischen Folklore im Feuervogel (1910) und in Petruschka (1911) über die synkopenreiche, brutale Rhythmik des heidnischen Szenarios im Sacre du printemps (1913) bis hin zur klassizistischen Tonsprache der Symphonies d’instruments à vent (1920) sowie der Oper Oedipus Rex (1927) und zum liturgisch geprägten Klangideal der Psalmensymphonie (1930).
Universalität und archaische Kraft
Die Jahre zwischen der Entstehung des Sacre du printemps und der Psalmensymphonie umfassen dabei ungefähr den Zeitraum von Strawinskys atheistischer Phase. Von 1910 an, dem Jahr seines ersten Paris-Besuchs und dem Beginn der Arbeit am Sacre du printemps, lässt sich eine zunehmende Entfremdung von der russisch-orthodoxen Kirche feststellen. In den Jahren des Exils jedoch gewannen Glaube und Religion – nicht zuletzt auf Grund des erlittenen Heimatverlusts – für Strawinsky erneut an Bedeutung, bis er schließlich 1926 wieder in die russisch-orthodoxe Kirche eintrat. Gleichwohl verband Strawinsky die Komposition der Psalmensymphonie, die »à la gloire de DIEU« (»dem Ruhme Gottes«) gewidmet ist, mit einem Auftrag des Dirigenten Serge Kussevitzky, der anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Boston Symphony Orchestra bei Strawinsky ein Werk bestellt hatte. Die Symphonie de psaumes wurde am 13. Dezember 1930 dann allerdings zunächst in Brüssel uraufgeführt und erst am 19. Dezember 1930 in Boston gegeben.
»Was den Text angeht«, so Strawinsky über die Wahl der Vorlage, »so suchte ich nach einer Dichtung, die eigens für den Gesang geschrieben ist. Dabei dachte ich natürlich sogleich an den Psalter.« Die spätestens im 2. Jahrhundert v. Chr. entstandene Sammlung der 150 religiösen Lieder des Volkes Israel gilt als die älteste und eine der schönsten Lieddichtungen der Menschheit. In den drei Sätzen der Vokalsymphonie vertonte Strawinsky ausgewählte Verse aus den Psalmen, und zwar in der lateinischen Vulgata-Übersetzung. Dramaturgisch lässt sich dabei eine Affektsteigerung erkennen, die von der verzweifelten Bitte um Erlösung des Psalms 38 (»Exaudi orationem meam«) über die Hoffnung spendende Erhörung Gottes des Psalms 39 (»Expectans expectavi«) bis zum überschwänglichen Lobpreis Gottes des Psalms 150 (»Alleluia. Laudate Dominum«) reicht. Strawinsky war dabei von der Universalität des Inhalts ebenso fasziniert wie von der archaischen Kraft der alttestamentlichen Texte: »Die Psalmen sind Gedichte des Jubels, aber auch des Zorns und des Gerichts, ja sogar des Fluchs.«
Monumental, perkussiv und ohne Prunk
Dass Strawinsky als Gattung für die Vertonung dieser Verse die Symphonie wählte, ist gleichwohl überraschend: »Ich überlegte mir, aus welchem Klangmaterial ich mein symphonisches Gebäude errichten sollte. Mir schwebte eine Symphonie mit großer kontrapunktischer Entwicklung vor, und so musste ich auch die Mittel vergrößern, um in diesen Formen arbeiten zu können. Ich entschloss mich daher, ein Ensemble zu wählen, das aus Chor und Orchester zusammengesetzt ist und bei dem keines der Elemente dem anderen übergeordnet, beide also völlig gleichwertig sind.« Strawinskys polyphone Satztechnik mit einem starken, dominierenden Bläserapparat und einer auf Violoncelli und Kontrabässe reduzierten Streichergruppe verleiht dem Werk stark monumentale Züge, die durch den Einsatz von Pauke und großer Trommel als rituelle Akzentinstrumente noch verstärkt werden. Das Ergebnis ist ein nüchterner, stark perkussiv begleiteter Kirchengesang, der den rhetorischen Gesten der Romantik und ihrem prunkvollen Klangreichtum eine klare Absage erteilt. Strawinsky stellt dabei das Zurückhaltende über das Exzessive und das Perkussive über das Lyrische. Die Konfrontation von Satzweisen wie Fuge und Choral mit der Betonung des Motorischen erzeugt indes eine ähnlich archaische Wirkung, wie sie auch den Sacre du printemps auszeichnet, und so unterliegt man auch bei der Symphonie des psaumes dem Eindruck, den halb weltlichen, halb religiösen Festlichkeiten einer versunkenen Kultur beizuwohnen.
Zwischen Kontrapunktik und Homophonie
Im ersten Satz wird im Wechsel von Einzelstimme und ganzem Chor ein verzweifeltes Gebet vorgetragen, in dem Gott um Erlösung angefleht wird. Ausgehend von einer monoton gehaltenen Melodik entfaltet sich das psalmodierend vorgetragene Lamento in mehreren crescendierenden Steigerungen, die am Satzende in einem machtvollen Aufschrei gipfeln. Mit der kurzen Dauer von nur drei Minuten wirkt der erste Satz dabei wie eine Introduktion zum zweiten, der mit einem kammermusikalisch gehaltenen, vierstimmigen Fugensatz der Oboen und Flöten eröffnet wird. In polyphoner Satzweise entwickelt sich nun gemeinsam mit dem Thema des Chores eine transparent geführte Doppelfuge, deren kontrapunktische Entwicklung mit den enggeführten, chromatisch abwärts gerichteten Einsätzen des Themas zu einem vorläufigen Höhepunkt kommt. Das »neue Lied«, das Gott den Gläubigen als Zeugnis der Hoffnung gibt, wird dabei in Anlehnung an barocke Stilvorbilder mit Figuralmelodik wiedergegeben. Im Fortissimo entfaltet sich auf »Et immisit« in homophoner Stimmführung noch einmal die ganze Pracht von Chor und Orchester.
Von geradezu monumentaler Dimension ist schließlich der Finalsatz, der mit einem feierlichen »Alleluia« beginnt und in getragener, majestätischer Bewegung den Lobgesang Gottes eröffnet. Fanfaren der Blechbläser leiten über zu einem liturgisch geprägten Gesang im breiten 3/2-Takt, dem Tempus perfectum des Gregorianischen Gesangs, der von den Pauken mit einem motorischen Viertelpuls begleitet wird. In Anlehnung an das Rondo-Prinzip wechselt Strawinsky in der Folge dramatische Steigerungen in den Blechbläsern mit lyrischen, getragenen Episoden und energischen Staccato-Abschnitten ab. Über einem weit ausgreifenden, auf Tonrepetitionen basierenden Ostinato trägt der Chor den Lobpreis Gottes schließlich als verklärt wirkenden Hymnus vor, der an orthodoxe Kirchengesänge gemahnt, bevor eine kurze Coda noch einmal die »Alleluia«-Eröffnung aufgreift.
Die Psalmensymphonie zelebriert eine kultische Feier des Lamento-Rufs, seine Erhörung und Verwandlung in zuversichtliche Hoffnung sowie die abschließende hymnische Lobpreisung Gottes. Doch auch wenn Strawinsky immer wieder auf kirchentonale Wendungen und liturgische Musik der orthodoxen Kirche anspielt, ging es ihm offensichtlich weniger um religiöse Erbauung oder subjektive theologische Auseinandersetzung. Vielmehr versteht er sein Werk als Versuch, den noch heute universalen Geltungsanspruch der Psalmen in ihrem historisch-objektiven Wahrheitsgehalt musikalisch zu vermitteln.
Felix Mendelssohn Bartholdy
* 3. Februar 1809 in Hamburg
+ 4. November 1847 in Leipzig
Symphonie Nr. 2 B-Dur, op. 52 (»Lobgesang«)
Eine Symphonie-Kantate nach Worten der Heiligen Schrift für Soli, Chor und Orchester
Entstehungszeit: 1839/1840
Widmung: Friedrich August II., König von Sachsen
Uraufführung: 25. Juni 1840 in der Leipziger Thomaskirche anlässlich der 400-Jahr-Feier der Erfindung des Buchdrucks; zweite, heute gebräuchliche Fassung am 3. Dezember 1840 im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy
Feiern mit Felix
Mendelssohns Lobgesang – ein Opfer der Schubladendenker
Von Alexander Heinzel
»Sondern ich wöllt alle Künste, sonderlich die Musica, gern sehen im Dienst, des der sie geben und geschaffen hat.« Martin Luther sendete dieses Wort, wie so viele bedeutend wichtigere, in die Welt. Nicht mühsam von Mund zu Mund, sondern in klaren, scharf geschnittenen Lettern auf rauem Papier gedruckt – einmal, viele Male, scheinbar unzählige Male. Der Gutenberg’sche Buchdruck ließ eine neue Zeit anbrechen, die Epoche der Reformation und später der Aufklärung. Felix Mendelssohn Bartholdy, aus einer reichen jüdischen Philosophen- und Bankiersfamilie stammend und als Siebenjähriger zum protestantischen Glauben konvertiert, fand in dem Luther-Wort ein passendes Geleit für eine Komposition, zu der er 1839 vom Magistrat der Stadt Leipzig einen Auftrag erhielt. Musik für die Feierlichkeiten zur 400-Jahr-Feier der Erfindung des Buchdrucks sollte er schreiben. Die traditionsreiche Verlagsstadt nahm das Jubiläum zum Anlass, auch sich selbst als prosperierende Metropole und ihre Bürgertugenden zu feiern. Dass sie die Festmusik in die Hände ihres Gewandhauskapellmeisters legte, verwundert nicht. Schließlich brachte Mendelssohn den Leipziger Konzertbesuchern schon seit vier Jahren einen hoch ambitionierten Querschnitt aus Selbstkomponiertem, Aktuellem sowie aus regelmäßigen Neu- und Wiederentdeckungen zu Gehör, darunter auch die legendäre (Ur-)Aufführung der »Großen« C-Dur-Symphonie von Franz Schubert. Für die Feierlichkeiten schrieb Mendelssohn eine Festhymne für Männerchor und Blasorchester und ein weiteres Werk, bei dem er sich zunächst nicht ganz sicher war, was es eigentlich sein sollte: Lobgesang nannte er es, aber wie es sonst einzuordnen sei, mit seiner ausgedehnten Sinfonia und den folgenden neun Abschnitten mit Soli und Chor? Schließlich verlangte die Zeit so etwas wie eine Gattungszuordnung. Mendelssohns in London weilender Freund Karl Klingemann hatte schließlich die Idee, den Lobgesang als Symphonie-Kantate zu bezeichnen, auch im Hinblick auf einen sinnvoll zu übersetzenden Titel für die englische Erstaufführung in Birmingham, die Mendelssohn selbst im September 1840 leitete: »Du hast übrigens mit Deinem vortrefflich gefundenen Titel viel zu verantworten; denn nicht allein schick ich das Stück nun als Symphoniekantate in die Welt, sondern ich denke auch stark daran, die erste Walpurgisnacht, welche mir seit langem daliegt, unter dieser Benennung wieder aufzunehmen, fertig zu machen und los zu werden.« In diesem Brief an Klingemann wird deutlich, dass Mendelssohn den Lobgesang in der Sphäre der Kantate ansiedelte. Dass das Werk heute dennoch vorrangig als seine Zweite Symphonie gehandelt wird, ist den Herausgebern der ersten Gesamtausgabe der Werke Mendelssohns geschuldet.
Als Symphoniker beschritt Felix Mendelssohn Bartholdy nach seinen zwölf Streichersymphonien für die familieneigenen Hauskonzerte und nach seiner Symphonie Nr. 1 in c-Moll von 1824 eher gewundene Wege. Seine beiden kompositorischen Reisetagebücher, die Italienische und die Schottische Symphonie vom Beginn der 1830er Jahre, unterzog er immer wieder Bearbeitungen. Dabei konnte er sich nicht entschließen, ihre Vollendung durch Drucklegung zu bestätigen – Grund für die nicht der Entstehungsreihenfolge entsprechende Nummerierung der Mendelssohn’schen Symphonien. Die Reformationssymphonie hielt er selbst für ein schwaches Werk, und der Blick auf die Konkurrenz ließ Mendelssohn aufhorchen: Beethoven schrieb ein Symphonie-Finale mit Chor. Auch Hector Berlioz’ Symphonie fantastique, die Mendelssohn 1830 in Rom samt ihrem Schöpfer kennenlernte, oder dessen Harold en Italie öffneten seinen Blick für das, was eine Symphonie auch sein konnte: ein Werk, das sich einer Idee, einem Programm oder wie selbstverständlich der vokalen Sphäre öffnete.
Akribisch geplante Architektur
Am 16. Februar 1840 schrieb Mendelssohn an Klingemann, dass er für das anstehende »Buchdruckerfest« eine Musik schreiben würde: »Wahrscheinlich mache ich eine Art kleineres Oratorium oder grösseren Psalm.« Was dann in den wenigen Monaten zwischen Februar und Juni 1840 entstand, kann auch tatsächlich nicht leicht einer Gattung zugeordnet werden, es besteht jedenfalls aus einer einleitenden Sinfonia, die mit ihren drei Sätzen immerhin fast ein Drittel des ganzen Werks einnimmt. Einfließen ließ Mendelssohn dabei Teile einer bereits 1838 skizzierten B-Dur-Symphonie – mit ein Grund, warum das Werk später immer wieder mit kompositorischer Resteverwertung in Verbindung gebracht wurde.
Das Gegenteil ist der Fall: Das klingende Resultat ist eine planvolle Ouvertüre, die von der ersten Note an den vokalen Hauptteil klug vorbereitet: zunächst in der langsamen Einleitung durch das mächtige Posaunen-Motiv, das sich als übergeordnetes »Alles was Odem hat«-Motto erweist. Gleich im folgenden Allegro findet es im Hauptthema seinen Niederschlag und wird zudem immer wieder zitiert.
Vokal gedacht ist auch die Überleitung: Ein Klarinettenrezitativ schlägt die Brücke zum folgenden Allegretto, einer leichtfüßig dahingleitenden Musik, aus der immer wieder gestreng ein Bläserchoral heraussticht. Die Melodie des Chorals beruht nicht auf einem traditionsreichen Kirchenlied, sondern ist Mendelssohns Fantasie entsprungen. Aus gutem Grund, schließlich leuchtet auch hier das »Alles was Odem hat« durch die feierlichen Choralklänge. Den Abschluss der Sinfonia bildet ein Adagio religioso – ein Satz, der sich gänzlich auf seine instrumentalen Tugenden besinnt und ein musikalisches Stimmungsbild von zärtlicher Sommernachtstraum-Güte abgibt. Bemerkenswert ist, dass sich hier erneut Mendelssohns akribisch geplante Architektur und die Verzahnung der Einzelteile offenbaren. So erwächst aus der versonnenen Religioso-Stimmung ein pulsierendes, unruhig vorantreibendes Motiv, das auf die Introduktion des Chores Nr. 2 vorausweist und somit den dreiteiligen Chor-Block (»Alles, was Odem hat« / »Lobt den Herrn mit Saitenspiel« / »Lobe den Herrn, meine Seele«) zu einer musikalischen Einheit mit der Sinfonia verschmilzt. Der Übergang instrumental-vokal ist für den Gesamtaufbau des Werks kaum mehr als eine Äußerlichkeit.
Von der Nacht zum Licht
Für den Vokalteil seines musikalischen Gutenberg-Gedenkens wählte Mendelssohn eine Reihe von Psalmen- und Epistel-Ausschnitten aus der Bibel. Von der Nacht zum Licht lautet der übergeordnete Gedanke, den er in den folgenden Vokalsätzen variiert und zu kleinen Binnenteilen zusammenfügt. Zunächst in einer Abfolge von Rezitativ, Tenor-Arie und Chor (Nr. 2–4), in der Gott als der dargestellt wird, der »die Tränen in der Zeit der Not« zählt und sich nicht vom Menschen abwendet. Den dramatischen Verlauf der folgenden Nummern 5–7 fand Mendelssohn indes erst bei der zweiten, heute gebräuchlichen Version des Lobgesangs, die er für die Aufführungen im Herbst 1840 hier erweiterte. Sie spannt den Bogen von totaler Hoffnungslosigkeit (»Wir wandelten in Finsternis«) bis zum kämpferisch strahlenden D-Dur-Chor (»… und ergreifen die Waffen des Lichts«). Die Entwicklung dorthin vertraut er einer kleinen szenischen Episode an, die mit ihrem mehrfachen Frage-Antwort-Spiel (»Hüter, ist die Nacht bald hin?«) an eine ähnliche Szenerie aus dem Elias denken lässt. Um nach diesem vorläufigen Höhepunkt des Licht-Chores (Nr. 7) den Spannungsbogen aufrecht zu halten, wählt Mendelssohn einen schlichten Choral, der den Dank der Gemeinde ausdrückt (»Nun danket alle Gott«) und nach einer ersten A-cappella-Strophe mit der ungewöhnlichen Kombination von Pauke, Holzbläsern, Orgel und Streichern eine Klangsprache von feierlicher Zurückhaltung ausbreitet. Als zweiter Choral des Werks schlägt er die Brücke zurück zur Sinfonia. Zudem erklang das Gemeindelied auch am Tag vor der Lobgesang-Uraufführung bei der Enthüllung des Gutenberg-Denkmals.
Der Choraltext selbst geht auf Luther zurück und wurde 1630 zur Hundertjahrfeier der Augsburger Konfession, also einem zentralen protestantischen Ereignis aus der Reformationszeit, zum Kirchenlied umgedichtet.
»Alles was Odem hat, lobe den Herrn«
Bei der Dramaturgie des Schlussteils verlässt sich Mendelssohn erneut auf die traditionelle Abfolge Arie/Duett-Chorsatz-Chorfuge. Im Duett für Sopran und Tenor (Nr. 9) hat die Nacht-Licht-Spannung längst nicht mehr die verzweifelte Schärfe wie in der Szene vor dem Choral. Streicher, Fagott und Flöten verströmen pastorale Heiterkeit, und der Gesang ist voller Zuversicht, dass auf die Rettung durch den Herrn Verlass ist. Ehre, Macht, Herrlichkeit und der Dank an Gott setzt Mendelssohn in einem prächtigen Chor-Block mit Schlussfuge in Szene, und nun erklingt als jubelnder Endpunkt ein letztes Mal das »Alles, was Odem hat, lobe den Herrn«-Motto, mit dem das Werk auch begann.
Mendelssohns Lobgesang ist ein Opfer der Schubladendenker geworden. Sogar Freund Robert Schumann, der ja auch immer nach neuen Wegen suchte, ließ sich von Gattungsgrenzen irritieren und empfahl die Trennung der Sinfonia vom Chorteil »zum Vorteil beider«. Weggenosse Adolf Bernhard Marx sprach in Mendelssohns Todesjahr von einer »verunglückten Imitation von Beethovens Neunter Symphonie«. Auch Wagner stichelte verächtlich, warum solle »Der oder Jener nicht auch eine Symphonie mit Chören schreiben können«? Der Lobgesang möchte indes ganz Anderes als Beethovens Neunte, in der der Gegensatz zwischen Chorfinale und Vorhergegangenem klar formuliert ist (»O Freunde, nicht diese Töne!«). Mendelssohn suchte nicht das Trennende sondern die Vereinigung von Wort und Musik, er erweiterte nicht das Instrumentale ins Vokale, sondern er ließ umgekehrt neben dem Chor das Orchester gleichberechtigt an der zentralen Aussage des Werks teilhaben: »Alles, was Odem hat, lobe den Herrn«.