Verdi – I Lombardi alla prima crociata (Oper konzertant)

Sonntagskonzert des Münchner Rundfunkorchesters / Gastkonzert in Budapest
Sonntag
23
April 2023
19.00 Uhr
München, Prinzregententheater

Konzerteinführung: 18 Uhr im Gartensaal
Moderation: Franziska Stürz

Koproduktion mit Müpa Budapest
Programmangebot im Rahmen der EBU (Europäische Rundfunkunion)

CD-Veröffentlichung des Livemitschnitts beim Label BR-KLASSIK

Konzert in München
Mittwoch
26
April 2023
19.00 Uhr
Budapest, Müpa
Gastkonzert

Programm

Giuseppe Verdi
I Lombardi alla prima crociata
Dramma lirico in vier Akten (konzertant)

Libretto von Temistocle Solera
Konzertante Aufführung in italienischer Sprache
mit deutschen Übertiteln
Übertitel-Inspizienz: Urte Regler

Pause nach dem II. Akt

Mitwirkende

Nino Machaidze Sopran (Giselda)
Réka Kristóf Sopran (Viclinda)
Piero Pretti Tenor (Oronte)
Galeano Salas Tenor (Arvino)
Miklós Sebestyén Bassbariton (Pirro)
Michele Pertusi Bass (Pagano)
Ruth Volpert Mezzosopran (Sofia)
Nikolaus Pfannkuch Tenor (Prior der Stadt Mailand)
Andreas Burkhart Bariton (Acciano)
Chor des Bayerischen Rundfunks
Stellario Fagone Einstudierung
Münchner Rundfunkorchester
Ivan Repušić Leitung
Kurzinfo
Interpreten
Handlung / Libretto

Werkeinführung

Giuseppe Verdi
* 9. oder 10. Oktober 1813 in Le Roncole bei Busseto
† 27. Januar 1901 in Mailand

I Lombardi alla prima crociata
Entstehung des Werks: vermutlich im Winter 1842/1843
Uraufführung: 11. Februar 1843 am Teatro all Scala in Mailand

Gebete und Kriegslärm

Werkeinführung zu Verdis »I Lombardi alla prima crociata«
Von Jörg Handstein

Im Jahr 1842 grassierte in Mailand das Nabucco-Fieber. Fünfundsiebzig Aufführungen wurden gegeben, viele wollten die Oper mit den großartigen Chören mehrmals hören. Der Name Verdi war in aller Munde, es wurden Verdi-Schals verkauft und sogar eine Soße à la Verdi kreiert. Bei den Salondamen der Mailänder Oberschicht galt er als Hahn im Korb. Gerade noch völlig am Boden nach dem Verlust seiner Familie und dem Fiasko seiner komischen Oper Un giorno di regno, gelangte der 29-Jährige nun an die Spitze der italienischen Komponisten. Bartolomeo Merelli, der Chef der Mailänder Scala, hatte also den richtigen Riecher gehabt, als er den 1839 noch völlig unbekannten Tonsetzer aus Busseto unter Vertrag genommen hatte. Jetzt musste gleich, die Erfolgswelle nutzend, eine neue Oper nachgeschoben werden. Angeblich durfte Verdi sein Honorar sogar selbst bestimmen. Er soll 9000 österreichische Lire verlangt haben, dreizehn Mal mehr als sein Jahresgehalt in Busseto.

Ob er sich auch den Stoff aussuchen durfte, ist unbekannt. Jedenfalls wollte der gewiefte Impresario Merelli noch einmal das Erfolgsrezept des Nabucco anwenden. Etwas Religion, etwas Patriotismus, zwei Völker im Krieg, ein familiärer Konflikt waren die Zutaten, die sich auch in dem Kreuzzugsepos des angesagten Dichters Tommaso Grossi fanden: I Lombardi alla prima crociata (1826). Dem Hausdichter der Scala, Temistocle Solera, der Verdi mit dem Libretto des Nabucco eine Steilvorlage geliefert hatte, gelang diesmal leider keine gute Umsetzung. Die vielfältigen Erzählstränge des Epos ließen sich nicht zu einem stringenten Drama bündeln, der Geschichte fehlen die klaren Linien, die Figuren gewinnen kein wirkliches Leben, menschliche Konflikte, wie sie Verdi besonders inspirieren, entwickeln sich nicht glaubhaft. Verwirrend ist allein schon die Aufteilung des Tenorhelden in zwei Partien: den Liebhaber aus dem feindlichen Lager (Oronte) und den Heerführer der Christen (Arvino). Dafür hat der Bass (Pagano) gleich zwei Rollen zu spielen: Der rachsüchtige Bruder wird bald zum frommen Eremiten. So kann nicht einmal das bewährte melodramatische Dreieck Sopran und Tenor versus Bariton/Bass funktionieren. Immerhin enthält das Libretto eine schöne, romantische Primadonna-Rolle, die sich musikalisch reich gestalten lässt. Und nicht zuletzt gab Solera dem Chor eine herausragende Funktion in der Handlung. Der »Vater der Chöre« sollte vor allem in dieser Hinsicht genug Stoff bekommen.

Dabei war Solera durchaus in der Lage, ein Drama aufzubauen und effektvolle Szenen zu gestalten. Das zeigt gleich der I. Akt, der ganz auf den schrecklichen Bruderzwist fokussiert ist. Verdi setzt auch sofort den Chor, der die Vorgeschichte erzählt, dialogisch in Bewegung: Er bleibt fast durchgängig präsent, und zwar in vielfältigster Form. Vielleicht kannten Solera und Verdi die Filosofia della Musica (1836) des Revolutionärs Giuseppe Mazzini, der die einförmigen Chöre in der Oper beklagt hatte: »Warum kann der Chor, der ein kollektives Individuum ist, nicht ein unabhängiges und spontanes Leben führen wie das Volk, das er repräsentiert?«
Vor diesem Hintergrund hebt Verdi aber auch die Solisten schon in der Introduktion auf ungewohnte Weise heraus: Ein Ensemble (das man so erst in einem Finale erwarten würde) zeigt die Gefühlslagen aller Protagonisten – Freude, Beklemmung, Hass, Tücke – und offenbart damit den Abgrund unter der gerade gefeierten Versöhnung. Dieses meisterhafte, hintergründig dramatische Quintett (»T’assale un tremito!«) weist auf den späteren Verdi voraus. Das gilt auch für die Preghiera der »prima donna«, das berühmte »Salve Maria!«, dessen ätherische Instrumentierung, schwebende Harmonik und entrückte Gebetshaltung Giselda als absolute Gegenfigur zur bald düsteren, bald aggressiv klirrenden Klangwelt des Krieges inszeniert. Dafür bringt Verdi gerne die Banda zum Einsatz, die typisch italienische Blaskapelle. Die Moslem-Chöre artikulieren seltsam abgehackt, nicht unbedingt orientalisch, aber doch von den straff rhythmisierten Marschliedern deutlich abgehoben.

Obwohl Verdi auch den männlichen Hauptrollen schöne Soloauftritte verschafft (wobei ihn die dunkle Eremitenhöhle Paganos zu einer besonderen Klangregie inspiriert), läuft der II. Akt wieder auf eine große Szene für die »prima donna« zu, ein »Rondò-Finale«, wie es sich sonst eher am Schluss einer Oper findet. Die von dem Blutbad entsetzte Giselda erhebt ihre Stimme gegen den religiösen Wahn der »christlichen« Gotteskrieger (»no, Dio nol vuole«), musikalisch überwältigend, inhaltlich allerdings diskreditiert: Denn der scheinbar heroische Auftritt steht in der Nähe der traditionellen Wahnsinnsarie – »quasi colpita da demenza« (»wie von Wahnsinn erfasst«) lautet auch die Regieanweisung.
Völlig weggewischt sind Giseldas Bedenken, als die Kreuzfahrer im III. Akt das Ziel ihrer Reise erschauen: Jerusalem. Ebenso überwältigend wie diese Vision ist das musikalische Panorama des »Coro della processione«, den Verdi über die Bühne schickt. Mehrere differenziert vertonte Gruppen (Pilger, Frauen, Kreuzritter) ziehen vorüber und vermitteln dem Hörer einen gleichsam multiperspektivischen Blick auf die Heilige Stadt. Vom leisen Staunen bis zu den Kriegssignalen spannt sich ein epischer Bogen über den wohl eindrucksvollsten Chor der ganzen Partitur.

Zwei weitere grandiose Nummern enthält der insgesamt sehr starke III. Akt: In der Szene zwischen Giselda und Oronte treffen erstmals rein menschliche Gefühle aufeinander, zerrissen von Liebe und Heimatliebe. Hier ist Verdi in seinem Element, er bricht das Schema von Rezitativ und Duett auf, heizt schon den Dialog durch leidenschaftlichen Gesang auf. Das Duett ergeht sich in lyrischen, herzbewegenden Melodien, aber die Stimmen agieren frei, vereinigen sich kaum, wie es ein regelrechtes Liebesduett erfordert; der Satzteil der sogenannten Cabaletta wird dramatisch vom Waffenalarm unterbrochen. So zeigt Verdi erschütternd, wie die Feindschaft zwischen den Religionen Liebe zerstört. Die Geschichte endet aber ganz im Sinne der italienischen Romantik: In dem Moment, als der tödlich verwundete Oronte die Taufe erhält, erklingt ein Terzett, das schon nicht mehr von dieser Welt ist. Distanz zum Geschehen hatte bereits ein großes Violinsolo geschaffen, und das Instrument bleibt auch präsent wie eine geheimnisvolle Stimme. Die Taufszene hat Verdi wieder frei aus Rezitativ und Gesangspassagen gebaut, sich aufgipfelnd in einem Punkt höchster Emphase, der sich dann in das eigentliche Terzett löst (»Qual voluttà trascorrere«). Getragen von einer sparsamen, aber äußerst subtilen Begleitung, verflechten sich die Singstimmen zu einem gefühlt endlosen Band von Melodien. Bellini steht am Horizont, aber Verdi führt die Stimmen freier, individueller: Oronte in religiöser Verzückung, mahnend der Eremit, die über allem schwebende Liebesklage Giseldas. Entsprechend gesungen, könnte das der emotionale Höhepunkt der Oper sein.

Im IV. Akt folgen zwei der wirksamsten Stücke direkt aufeinander: Die Traumvision, in der Giseldas toter Geliebter unter Harfe spielenden Engeln ein Arioso singt, ist zwar ein recht triviales Bild, aber sie bietet der Primadonna auch einen glanzvollen Abgang mit einer Bravourarie (»Non fu sogno«) voller Kraft und jubelnder Koloraturen. In krassem Gegensatz erscheinen nun die Lombarden am Tiefpunkt, halb verdurstet in der Wüste. Das ist die Gelegenheit für einen Chor nach Art des berühmten »Va pensiero«, mit einer ebenso hymnischen wie sehnsüchtigen Melodie in weiten Bögen (»O Signore, dal tetto natio«). Und ebenso wie im Nabucco folgt dem patriotischen Gebet der Aufruf zum Kampf, der dann auch gleich mit Kriegsgeschrei – das »Guerra, guerra« aus Bellinis Norma zitierend – beginnt. Am Ende steht die familiäre Versöhnung in einem anrührenden Terzettino, das sinnig verschränkt ist mit dem mächtigen Siegeshymnus (»Te lodiamo, gran Dio di vittoria«). So gelang Verdi ein äußerst stringentes Finale, welches das Publikum dann auch zu stürmischem Jubel und Applaus hinriss.

Der Uraufführung am 11. Februar 1843 folgten gleich 26 weitere viel besuchte Vorstellungen. Der patriotische Schriftsteller Folchetto (1831–1909) schrieb: »Das niedere Volk begann schon um drei Uhr die Galerie zu stürmen; und da die Leute zu essen mitbrachten, hob sich der Vorhang im markanten Duft von Knoblauchwürsten! Das war indes kein Hindernis für den Erfolg. Das Publikum verlangte das ›Bis‹ [Wiederholung] des Quintetts, doch die Polizei gestattete es nicht. […] Der berühmte Chor ›O Signore, dal tetto natio‹ war Anlass zu einer der ersten politischen Kundgebungen, die das Wiedererwachen von Lombarden-Venezianern signalisierten.« Die 1881 veröffentlichte Anekdote ist ein schönes Beispiel für den nachträglich konstruierten Mythos von Verdi als volkstümlichem Komponisten, dessen frühe Werke den italienischen Freiheitskampf gegen Österreich befeuert hätten. In zeitgenössischen Quellen gibt es keinen Hinweis dafür. Übrigens widmete Verdi die Lombardi Marie-Louise von Österreich, Herzogin von Parma.

Erst im vereinten Italien wurde der Chor tatsächlich eine patriotische Hymne, ebenso populär wie das »Va pensiero«. Auf jeden Fall traten die Lombardi einen ähnlichen Siegeszug an wie der Nabucco, bis nach Übersee. Es war die erste Verdi-Oper, die in New York (1847) gegeben wurde. Allerdings blieben die Lombardi während des Revivals von Verdis Frühwerk im 20. Jahrhundert dann doch hinter dem genialeren Vorgänger zurück. Die Verherrlichung eines religiös motivierten Angriffskrieges lädt nicht gerade zur Inszenierung ein. Konzertante Aufführungen aber sind durchaus lohnend: Gerade in ihrer Unausgeglichenheit zeigt diese Oper Verdis Ringen nach einem eigenen Weg von der Serienproduktion zum individuellen Kunstwerk. Außerdem ist sie ein interessantes Zeitdokument – und enthält einfach eine Menge großartiger Musik.

»Gott will es«

Der erste Kreuzzug nach Jerusalem (1096–1099)

Im Juli 1099 stürmten die Kreuzfahrer das lang ersehnte Jerusalem. »Am Tempel Salomons gab es ein Blutbad, dass die Unsrigen im Blut wateten«, berichtet einer der Ritter. Die muslimische und jüdische Bevölkerung wurde beinahe ausgelöscht. Begonnen hatte alles am 27. November 1095 mit der flammenden Rede Papst Urbans II. im französischen Clermont: Die Christen mögen doch aufhören, sich gegenseitig zu bekriegen und lieber gemeinsam die Heilige Stadt vom »gottlosen Volk« befreien. Dafür sollen alle Sünden und Verbrechen vergeben werden, jedem Teilnehmer sei ein Platz im Himmelreich garantiert. Und es gebe neue Ländereien, wo Milch und Honig fließen. »Deus lo vult«, schrien die Zuhörer voller Begeisterung: »Gott will es!« Über Wanderprediger ging der Aufruf (auch ohne Social Media) schnell viral, und im von Krisen und Konflikten geschüttelten Europa fiel er auf fruchtbaren Boden. Im Rheinland massakrierte ein »Volkshaufe« gleich einmal über 1000 Juden. 7000 Ritter und 22.000 Mann Fußvolk machten sich nun auf die Reise nach Jerusalem …

In der abendländischen Kunst wurde der Erste Kreuzzug häufig glorifiziert, so etwa in Torquato Tassos Versepos La Gerusalemme liberata (1574), das in der Musikgeschichte vielfältige Spuren hinterlassen hat. In der Realität aber sollte sich Giseldas düstere Prophezeiung doch noch erfüllen: Das Königreich Jerusalem wurde 1187 von Sultan Saladin zurückerobert, und die meisten der weiteren Kreuzzüge endeten in einem Desaster. Heute wiederum gibt es radikale Islamisten, die zum »Heiligen Krieg« gegen den aus ihrer Sicht gottlosen Westen aufrufen. Auch sie glauben: »Gott will es.«

Weitere Konzerte

Sa. 1. Feb, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Hrvatska Misa – Kroatische Messe
Ivan Repušić dirigiert Frano Paraćs »Dona nobis pacem« und Boris Papandopulos »Kroatische Messe« d-Moll, op. 86
Sa. 22. Mrz, 20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz
Chor-Abo plus 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Sir Simon Rattle – musica viva
Sir Simon Rattle präsentiert mit BR-Chor und BRSO Werke von Pierre Boulez, Luciano Berio und Helmut Lachenmann
Sa. 5. Apr, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Kreuzwege
Peter Dijkstra dirigiert »Via crucis« von Franz Liszt und »The Little Match Girl Passion« von David Lang
Sa. 24. Mai, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Joik – Götter, Geister und Schamanen
Peter Dijkstra dirigiert Chormusik von Holst, Holten, Martin, Sandström und Mäntyjärvi
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