Verdi – Ernani (Oper konzertant)

Sonntagskonzert mit dem Münchner Rundfunkorchester, Leitung: Ivan Repušić
Sonntag
26
November 2023
19.00 Uhr
München, Prinzregententheater

Konzerteinführung: 18.00 Uhr
Moderation: Franziska Stürz

Im Anschluss an das Konzert signieren Artist in Residence Charles Castronovo und Rundfunkorchester-Chefdirigent Ivan Repušić ihre aktuellen CDs im Foyer.

Konzert in München

Programm

Libretto von Francesco Maria Piave

Konzertante Aufführung in italienischer Sprache
mit deutschen Übertiteln (Übertitel-Inspizienz: Urte Regler)

Pause nach dem II. Akt

Programmangebot im Rahmen der EBU (European Broadcasting Union)

Giuseppe Verdis Ernani (1844) fußt auf einem Drama von Victor Hugo, der mit seiner damals einflussreichen Theaterästhetik darauf abzielte, das Erhabene und das Groteske, also die Gesamtheit des Lebens, gleichermaßen abzubilden. Drei Adelige werben in Verdis fünfter Oper um Elvira, die symbolisch für die reine Liebe steht. Rachegefühle, das Streben nach Macht sowie ein starres Verständnis von Ehre lassen vermeintliches Glück abrupt in die Katastrophe umschlagen. Nach den patriotischen Opern Nabucco und I Lombardi alla prima crociata schlägt Verdi hier ein neues Kapitel seiner musikdramatischen Visionen auf.

Mitwirkende

Charles Castronovo Tenor (Ernani)
Selene Zanetti Sopran (Elvira)
Svetlina Stoyanova Mezzosopran (Giovanna)
Matteo Ivan Rašic Tenor (Don Riccardo)
George Petean Bariton (Don Carlo)
Gabriel Rollinson Bariton (Jago)
Ildebrando D’Arcangelo Bassbariton (Don Ruy)
Chor des Bayerischen Rundfunks
Stellario Fagone Einstudierung
Münchner Rundfunkorchester
Ivan Repušić Leitung

Libretto zu »Ernani«

Die Interpreten

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Die Handlung

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Werkeinführung

Giuseppe Verdi (Giovanni Boldini / Wikimedia Commons)

Giuseppe Verdi
* 9. oder 10. Oktober 1813 in Le Roncole bei Busseto (Provinz Parma)
† 27. Januar 1901 in Mailand

Ernani
Dramma lirico in vier Akten
Entstehung des Werks: 1843/1844
Uraufführung: 9. März 1844 am Teatro La Fenice in Venedig

Schlüssel zum Erfolg
Verdis Neuorientierung mit »Ernani«

Von Sebastian Stauss

»Man kann sagen, dass mit Nabucco meine Karriere begann«, schrieb Giuseppe Verdi einige Jahre nach der Uraufführung dieses Durchbruchwerks, das 1842 an der Mailänder Scala Premiere gehabt hatte. Auch I lombardi alla prima crociata wurden im folgenden Jahr und am selben Ort beklatscht. Ein Wermutstropfen blieb bei diesem Stück aber das wenig glückliche Libretto von Temistocle Solera, mit dem Verdi nach Oberto (1839) und Nabucco zum dritten Mal und nicht ohne persönliche Spannungen zusammengearbeitet hatte. Außerdem war mit I lombardi ein Vertrag über vier Opern für die Scala (neben den bereits genannten auch Un giorno di regno) mit dem Impresario Bartolomeo Merelli erfüllt, und gerade durch den Erfolg von Nabucco war Verdi für andere große Opernhäuser Italiens interessant geworden. So auch für das Teatro La Fenice in Venedig, an dem Ernani herauskommen sollte. Der Briefwechsel des Komponisten um die Entstehungszeit, vor allem mit Graf Alvise Francesco Mocenigo, dem Präsidenten des Fenice-Direktoriums, dokumentiert Verdis gewachsenes Selbstvertrauen: und zwar schon bei den Vertragsverhandlungen mit einer erhöhten Gagenforderung über 12 000 österreichische Lire – 2 000 mehr, als Vincenzo Bellini für seine Norma und Verdi nach diesem Vorbild für I lombardi erhalten hatte.

»Schlacht um Hernani«

Als ein künstlerischer Schlüssel zum dauerhaften Erfolg ist Verdis Interesse an literarischen Vorlagen zu werten, die im damaligen europäischen Kontext auch Potenzial zum Skandal oder zumindest Diskussionsstoff boten. Das gilt bereits für Ernani, seine erste Adaption eines Theaterstücks von Victor Hugo, noch vor Rigoletto. Hugos Hernani war unter Publikumstumulten bei seiner Pariser Uraufführung 1830 quasi zum skandalösen Kultstück avanciert. Die »bataille d’Hernani«, die »Schlacht um Hernani« (wie es in der Literatur- und Theatergeschichte heißt), hatte aber schon vor der Premiere begonnen, als der Text die Hürden der Zensur nehmen musste: Die spielbare Bühnenfassung ging aus regelrechten Verhandlungen zwischen dem Dichter, der Zensurkommission und dem Sektionsleiter für Kunst im Innenministerium hervor. Ein ähnliches Ringen zwischen liberalen und konservativen Kräften sollte im habsburgisch kontrollierten Venedig dann auch bezüglich der Oper folgen; schon vor Verdis Ankunft in Venedig übernahm das Direktorium des Fenice die Vorzensur für die eigentliche Behörde. Allein schon deshalb bleibt die Bedeutung, die Verdi für das Risorgimento, die italienische Einheits- und Freiheitsbewegung gegen das Kaiserhaus Habsburg, heute gerne zugeschrieben wird, zwiespältig. Denn Kritik an den Herrschenden wurde gerade von Verantwortlichen des Theaters und der Stadt Venedig mitgetragen. Sensible Passagen in Ernani wie die Verschwörung gegen den König und späteren Kaiser mussten allerdings entschärft werden.

Das Hässliche neben dem Schönen

Zuvor war statt Hernani sogar Victor Hugos zeitlebens unaufgeführtes Drama Cromwell (1827) als Vorlage diskutiert und durch Francesco Maria Piave zu einem Libretto umgearbeitet worden. Piave stand zu diesem Zeitpunkt am Beginn eines Engagements als Hausautor, später auch als Spielleiter am Fenice, sollte aber von da ab durch seine ständige (untergeordnete) Funktion als Verdis Librettist in die Operngeschichte eingehen. Das Cromwell-Libretto wurde von Verdi und dem Direktorium des Fenice verworfen. Wichtig für den Komponisten wie für die Romantik in ganz Europa, in Abgrenzung zum Klassizismus, blieb aber das Vorwort zu Cromwell. Dort formulierte Hugo programmatisch für die Kunst seiner Epoche: »Sie spürt, dass in der Schöpfung nicht alles im menschlichen Sinne schön ist, dass es Hässliches gibt neben dem Schönen, Missgestaltetes dicht beim Anmutigen, Groteskes hinter dem Erhabenen, Schlechtes zugleich mit dem Guten, Schatten mit dem Licht.« Die musikdramatische Ausgestaltung dieses Konzepts, die Verdi in Rigoletto (nach der Vorlage von Hugos Le roi s’amuse) in Perfektion gelingen wird, ist in Ernani zumindest schon vorweggenommen. Die einander widersprechenden Prinzipien der Vorlage setzt Verdi musikalisch gleich zu Beginn brillant um. Schon in den ersten Takten des Vorspiels wird der düstere Einsatz der Blechbläser vom Melos der Holzbläser und Streicher abgelöst. Diese werden im Fortissimo aber wiederum von den drohenden Trompeten und Posaunen überlagert und verklingen eher zaghaft. Damit sind bereits Klangräume etabliert, die sich auch den Konflikten der Handlung zuordnen lassen: Schicksalsfanfaren des König- bzw. Kaiserreiches gegenüber lyrisch-zarten, wie auf Rückzug ins Intime bedachten Tönen.

Liebesabsichten des Königs

Anders als im Schauspiel (in dem als erste Hauptfigur der König erscheint) gehören die ersten Soloauftritte in der Oper dem Titelhelden und der Primadonna, also dem Liebespaar Ernani und Elvira. Auch wenn sie hier noch räumlich getrennt sind, kommt die innere Harmonie zwischen beiden musikalisch und textlich überdeutlich zum Ausdruck. Die formale Entsprechung ihrer jeweils zweisätzigen Kavatinen wird dabei durch den Wortlaut im schnellen Teil, der sogenannten Cabaletta, noch verstärkt: Beide sehnen die Entführung und damit die Errettung Elviras in höchster Erregung herbei – was von Carlo, der bezeichnenderweise keine eigene Auftrittsarie erhält, direkt vereitelt wird. Zumindest aber wird Carlo im nachfolgenden Duett mit Elvira zu den Worten »Da quel dì che t’ho veduta« (»Seit dem Tag, da ich dich gesehen«) gleich eine Kantilene eingeräumt, um die Liebesabsichten des Königs und baritonalen Rivalen zu enthüllen.

Zensur und Ehre

Provokativ an Hugos Vorlage bleibt das über weite Strecken nicht standesgemäße Verhalten der aristokratischen Figuren (wie es auch in Le roi s’amuse bzw. Rigoletto die Konflikte bestimmt). In Ernani erweist sich selbst der König und spätere Kaiser Carlo im Werben um Elvira als zu Täuschung und Gewalt fähig. Einige extreme Zuspitzungen der Vorlage von Hugo sind in der Oper zwar gestrichen: so die boulevardeske Situation des ersten Aufeinandertreffens von Carlo und Ernani, bei dem sich der König zunächst in einem Schrank versteckt, um das Stelldichein der Liebenden zu belauschen. Dies entspricht, abgesehen von Fragen der Zensur, auch Verdis früher Einschätzung in einem Brief vom 5. September 1843, für Ernani »wäre nur zu ordnen und zu straffen«. Auch dass der König bei Hugo bis zum II. Akt über die Identität seines Nebenbuhlers im Unklaren ist, wird von Piave und Verdi vereinfacht und gipfelt im Terzett »Tu se´ Ernani!« (»Du bist Ernani!«) sofort in offener Konfrontation. Als ob diese Dreieckskonstellation nicht schon spannungsgeladen genug wäre, wird sie mit Silva noch um das Klischee des stolzen Spaniers aus der älteren Generation erweitert. So wird – nicht nur für die europäische Romantik, sondern für die bürgerliche (Theater-)Literatur überhaupt – das zentrale und buchstäblich todernste Verständnis von Ehre wie in einem Brennglas gebündelt. Und die gekränkte Ehre ist es auch, aufgrund derer Silva im III. Akt nicht in die Huldigungen für den gerade zum Kaiser gewählten Carlo einstimmen will. Zu sehr hat ihn die Niederlage im Kampf um Elvira verletzt.

Hochzeitswalzer und Totentanz

Nicht zuletzt das Prinzip von Hell-/Dunkel-Kontrasten setzt Verdi kongenial und umso origineller um, je weiter die Oper voranschreitet. Carlo verzichtet mit der Krönung zum Kaiser auf sein persönliches Glück und wird zu quasi sakralen (Harfen-)Klängen wie in den Himmel gehoben. Auf Ernani wartet dagegen der Untergang, nachdem er im Schlussakt zunächst noch glaubt, über der Hochzeitsnacht würden die Sterne lächeln. Im Schlussterzett erfolgt zu Elviras vergeblichem Flehen um Gnade musikalisch ein jäher Wechsel zu einem Dreivierteltakt. So entsteht der Eindruck einer grotesken Mischung aus Hochzeitswalzer und Totentanz, die wie in Hugos Vorwort zu Cromwell Schönes und Hässliches, Erhabenes und Groteskes nicht nur nebeneinanderstellt, sondern miteinander verschränkt.

Edler Bandit Ernani

Unbestimmt bleibt in Ernani letztlich das Lokalkolorit, was die Verwendung spanischer Liedformen oder Tänze betrifft. Die Gegenüberstellung von Räubern und dem edlem Banditen Ernani im ersten oder von Festklängen hinter der Bühne und dem im Vordergrund auftretenden Rächer Silva im letzten Bild erfolgt eher skizzenhaft abstrakt. Erkennbar ist aber bereits Verdis Begabung zur atmosphärischen Grundierung durch das Orchester. Gleichsam tonmalerisch genügen ihm wenige Pinselstriche bzw. Noten, um die Abschnitte der Handlung in einen klaren Rahmen zu setzen und kontrastierende Stimmungsbilder zu schaffen, zum Beispiel für die Nacht bei Elviras Auftritt oder später für die Kaisergruft. Orchestral beziehungsreich und verfeinert begegnet uns Karl V. (aus dem Herrscherhaus Habsburg) im Übrigen nach seiner Abdankung dann als Mönch in Verdis Don Carlo wieder.

Meistgespielte Oper Verdis – bis Il trovatore

Vor allem aber ist Ernani ein gewaltiger Schritt in der Entwicklung von Verdis Gesangsästhetik. Hugos Konzeption bietet dem Komponisten nicht zuletzt die Gelegenheit zu größten Steigerungen, manchmal regelrechter Überspanntheit, besonders bei Affekten und Gefühlszuständen der Hauptpersonen. Vor allem in den Cabaletta- und Stretta-Abschnitten ist ein Furor vorherrschend, wie er in Nabucco zwar schon erkennbar war, in Ernani aber voll zum Tragen kommt. Dies zeigt sich besonders im Verhältnis zwischen dem Titelhelden und Elvira, von denen Verdis Partitur nicht nur in den Arien und Duetten, sondern auch in den Ensembles einiges an Durchschlagskraft verlangt. In dieser Hinsicht bieten gerade die ersten beiden Akte den beiden kaum Ruhepausen. Nachdem während der Uraufführungsvorbereitungen sogar noch eine Besetzung der Titelpartie als Hosenrolle im Raum gestanden hatte, zeigte sich Verdi zum ohnehin schon verzögerten Probenbeginn immer weniger kompromissbereit. Die Uraufführung wurde mehreren Schwierigkeiten zum Trotz ein Erfolg: Der Tenor Carlo Guasco, der anstelle eines ursprünglich vorgesehenen Kollegen den Ernani übernommen und mit I lombardi schon zuvor Verdi-Erfahrung gesammelt hatte, war am Premierenabend indisponiert. Der Primadonna Sophie Loewe hatte Verdi ein virtuoses Schlussrondo verweigert. Ihre Cabaletta gehörte indessen Verdis eigenem Bericht zufolge neben dem Finale des I. Akts, dem Verschwörungsakt und dem Finalterzett zu den Szenen, die den stärksten Anklang fanden. Ernani entwickelte sich schnell zur meistgespielten Oper Verdis, bis sie von Il trovatore abgelöst wurde und im 20. Jahrhundert kontinuierlich an Boden im Repertoire verlor.

Weit mehr als ein Vorlagengeber
Victor Hugo und die Oper

Niemand machte den französischen Schriftsteller Victor Hugo in der Oper so populär wie Giuseppe Verdi mit Ernani und Rigoletto. Allerdings folgte Verdi damit zunächst einem Trend, der schon früher eingesetzt hatte. So waren von den heute völlig vergessenen Komponisten Vincenzo Gabussi 1834 und Alberto Mazzucato 1843 Vertonungen von Hernani uraufgeführt worden. Auch bekanntere Kollegen wie Saverio Mercadante und Amilcare Ponchielli vertonten Werke Hugos, die zwischen dem frühen Erfolgsdrama Hernani des noch nicht 30-Jährigen und seinem späteren Roman Les misérables (1862) liegen. Dieser genießt bis heute nicht zuletzt durch das gleichnamige Musical (1980) von Claude-Michel Schönberg weltweit Bekanntheit.

Aus Verdis Lebzeiten im Repertoire überdauert hat Lucrezia Borgia von Gaetano Donizetti (1833). Musikalisch passend zur Schauerromantik wird darin das Ödipus-ähnliche Verhältnis des Sohnes thematisiert, der die Mutter (und Titelheldin) erst erkennt, als er durch ihr Verschulden den Gifttod stirbt. Noch viel bekannter innerhalb von Hugos Schaffen sind zweifellos die Figuren der Esmeralda und des Quasimodo aus dem Roman Notre-Dame de Paris (1831). Abgesehen von mehreren internationalen Filmerfolgen ist dieser Stoff etwa im deutschen Sprachraum unter dem Titel Der Glöckner von Notre-Dame als Schauspiel, Oper, Ballett und Musical immer wieder auf die Bühne gelangt. Die erste Opernadaption des Romans, und zwar unter dem Titel La Esmeralda, stammt von der Komponistin Louise Bertin und wurde 1836 in Paris uraufgeführt: musikalisch einstudiert von Hector Berlioz, auf ein Libretto von Victor Hugo. Dass von Hugo Vorbehalte gegenüber Verdis Ernani und Begeisterung über Rigoletto überliefert sind, ist insofern also kein »opernfremdes Fachurteil«.

Weitere Konzerte

Do. 30. Mai, 20.00 Uhr
München, Isarphilharmonie im Gasteig HP 8
Riccardo Muti (Foto: Todd Rosenberg, by courtesy of www.riccardomuti.com)
Riccardo Muti dirigiert Schubert, Haydn, Strauss
Abonnementkonzert des BRSO: Schubert – Messe Nr. 2 G-Dur u.a.
Sa. 15. Jun, 20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz
5. Chor-Abonnementkonzert 2023/24
Veni creator spiritus
Michael Hofstetter dirigiert Werke von Lasso, Praetorius, Schütz und Gabrieli sowie neue Chormusik von Richard van Schoor
Sa. 22. Mrz, 20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz
Chor-Abo plus 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Sir Simon Rattle – musica viva
Sir Simon Rattle präsentiert mit BR-Chor und BRSO Werke von Pierre Boulez, Luciano Berio und Helmut Lachenmann
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