Stabat mater
Konzerteinführung um 19 Uhr
mit Denis Comtet
Moderation: Christopher Mann
Sendung des Konzertmitschnitts am Sonntag, 9. März 2025, um 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Konzertaudio anschließend in der Chor-Mediathek verfügbar

Programm
Stabat mater
Gregorianische Choralmelodie
für Männer-Schola
Leitung: Denis Comtet
Lesung:
- An mein Kind (1943)
von Else Lasker-Schüler - Mittelalterliche Sequenz Stabat mater
- Stabat mater. Andante, mesto
- Quis est homo. Moderato
- O eia, mater. Lento, dolcissimo
- Fac me tecum. Moderato
- Virgo virginum. Allegro moderato
- Christe, cum sit hinc exire. Andante tranquillissimo
Mitwirkende
Wie ein zeitenüberdauerndes Sinnbild für Trauer wirken die mittelalterlichen Verse der Mariensequenz Stabat mater. Einst einstimmig und demutsvoll gesungen, hat das Stabat mater Generationen von Komponisten inspiriert, so auch 1926 den Polen Karol Szymanowski, in dessen oratorienartigem Stabat mater Elemente polnischer Volks- und Kirchenmusik eingeflossen sind. Gleichsam geographisch und thematisch in Nachbarschaft finden sich Pēteris Vasks’ politische wie persönliche Trauerarbeit der Musica dolorosa, Arvo Pärts Meditation über das Turiner Grabtuch und Witold Lutosławskis kurzes Lacrimosa aus der bilderreichen Totensequenz des Dies irae.
Gesangstexte
Stabat mater – Werke der Trauer
Von Nikolaos Therimiotis
Das Gebet »Stabat mater dolorosa«, das vom Leid der Mutter Jesu im Angesicht ihres gekreuzigten Sohnes handelt, zählt zu den meistvertonten sakralen Texten der Musikgeschichte. Das mag nicht zuletzt an der bildhaften Darstellung des Geschehens liegen: Die Verse erregen Mitleid, gemahnen an den eigenen Leidensweg und erwecken Hoffnung auf Erlösung. So geht die Choralmelodie, die zu Beginn unseres Konzerts von der Männer-Schola zu hören ist, auf die erste Überlieferung des Textes im 13. Jahrhundert zurück. Und selbst viel später noch weckten die eindringlichen Zeilen das Interesse der Komponisten. Das 1925/1926 entstandene Stabat mater des Polen Karol Szymanowski stellt dabei einen Sonderfall dar: Veranlasst vielleicht durch den Tod seiner Nichte, vertonte Szymanowski ursprünglich nicht den lateinischen Text, sondern dessen polnische Übersetzung, die das Leid des Individuums noch deutlicher zutage treten lässt.
Neben Anklängen an Bartók bedient sich Szymanowski Weisen der polnischen Volksmusik, was dem Werk einen archaisch-volkstümlichen Anstrich verleiht und zu großer Popularität verhalf. Die demütige Haltung Marias, wie sie im ersten Vers »Stabat mater dolorosa« (»Es stand die Mutter gramgebeugt«) zum Ausdruck kommt, betont Szymanowski, indem er dem Solosopran eine exponierte Rolle zuweist. Immer wieder dringt jedoch in diese weihevolle Sphäre der Bariton samt Männerchor wie ein Ausbruch herber Seelenpein ein. Beeinflusst durch diese Deutung, schrieb dann gut ein Jahrzehnt später Witold Lutosławski sein Lacrimosa für Sopran, Chor und Orchester (1937) als Teil eines lange angedachten, doch nie verwirklichten Requiem-Projekts.
Eine ähnliche Stimmung wie Lutosławskis Lacrimosa kennzeichnet das Orchesterstück Musica dolorosa (1983), welches der Lette Pēteris Vasks seiner verstorbenen Schwester widmete: »Das ist mein tragischstes Opus – das einzige, in dem kein Optimismus und keine Hoffnung ist, nur Schmerz.« Zugleich wies Vasks seinem Werk eine politische Dimension zu, ja wollte es als symbolträchtige Geste verstanden wissen, die das Leid seines Volks aufgrund der sowjetischen Repressionen würdigt. Der Titel knüpft an den Begriff der »Mater dolorosa« aus dem ersten Vers des Stabat mater an: Über lang gehaltenen Basstönen – Sinnbild für die Ewigkeit des Todes – schweben absteigende Glissandi. Immer wieder schwingen sich Stimmen gen Himmel empor, doch kommt dies keiner Verklärung gleich: Der letzte Akkord ist ein schriller, des stabilisierenden Basses beraubter Schmerzensschrei.
Mit La Sindone (2005/2006) von Arvo Pärt erklingt heute auch ein Stück, das sich in seiner Tragik vom meditativen Ton, der dem estnischen Komponisten sonst zu eigen ist, merklich abhebt. Als Auftragswerk für das Festival Settembre Musica 2006 in Turin entstanden, weist es im Titel (»Das Grabtuch«) auf das berühmte, bis heute zu Spekulationen anregende Turiner Grabtuch hin, auf dem das Abbild eines Gekreuzigten zu sehen ist. Die drei Teile stellen das Martyrium Jesu dar: Dem schroffen Klangbild der Kreuzigung folgt der zutiefst anrührende zweite Teil, dessen absteigende Sequenzen den Akt der Beisetzung musikalisch ausmalen. Nach diesem Prinzip wird auch die Auferstehung dargestellt: Von den Bässen wandert das Geschehen allmählich in die hohen Streicher hinauf, während die Trompete vom Wunder der Auferstehung kündet. Doch das Ende ist keine Apotheose: Einer Generalpause folgt ein Akkord, der – am Rande des Verstummens – zwischen Dur und Moll, zwischen Trost und Trauer vermittelt und uns die Frage nach dem Danach subtil und doch ungemein wirkmächtig vor Augen führt.
Mitwirkende
Ivan Repušić
Der kroatische Dirigent Ivan Repušić begann seine Karriere am Nationaltheater in Split und war Generalmusikdirektor an der Staatsoper Hannover. Der Deutschen Oper Berlin ist er seit 2014 als Erster ständiger Gastdirigent eng verbunden. Weitere Einladungen führten ihn u. a. an die Bayerische Staatsoper, an die Semperoper Dresden, ans Opernhaus Zürich, ans New National Theatre in Tokio sowie zu den Prager und den Wiener Symphonikern. Ivan Repušić ist seit 2017 Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters und seit 2024 auch Chefdirigent der Staatskapelle Weimar. In der kommenden Saison wird er zudem Generalmusikdirektor der Oper Leipzig.
Siobhan Stagg
Die Presse bescheinigt ihr eine »ätherische Bühnenpräsenz«. Und so ist Siobhan Stagg an der Bayerischen Staatsoper, am Londoner Covent Garden oder in Chicago ebenso gefragt wie bei den Festivals in Aix-en-Provence und Edinburgh oder in ihrer Heimat Australien. Zu ihren Rollen zählen z. B. Pamina, Gilda, Sophie (Der Rosenkavalier) und die weibliche Titelrolle in Pelléas et Mélisande. Die Sopranistin pflegt auch ein vielseitiges Konzertrepertoire, von Mozarts Requiem über Mahler und Strauss bis hin zu Bergs Sieben frühen Liedern. Mit dem Münchner Rundfunkorchester ist sie u. a. in Puccinis La rondine auf CD zu hören.
Annika Schlicht
Beim Santa Fe Chamber Music Festival und als Brangäne (Tristan und Isolde) an der San Francisco Opera profilierte sich Annika Schlicht unlängst in den USA. In Europa hat sich die Mezzosopranistin, die seit 2015 dem Ensemble der Deutschen Oper Berlin angehört, längst einen Namen gemacht – so mit weiteren Wagner-Partien (Magdalene, Fricka, Waltraute) oder auch als Prinz Orlofsky, Hänsel und Dorabella. 2025 debütiert sie als Carmen. Annika Schlicht gastiert an führenden Opernhäusern und wird als Konzertsängerin geschätzt. Beim Münchner Rundfunkorchester wirkte sie z. B. in Kuljerićs Kroatischem glagolitischen Requiem mit.
Ljubomir Puškarić
Der Bariton Ljubomir Puškarić ist seit 2015 Ensemblemitglied am Kroatischen Nationaltheater in Zagreb, stellte sein Können aber auch an amerikanischen Bühnen unter Beweis. Das italienische Fach bildet einen seiner künstlerischen Schwerpunkte, etwa mit den Titelrollen in Nabucco und Rigoletto oder der Rolle des Figaro (Il barbiere di Siviglia). Zudem macht er sich um das kroatische Repertoire verdient, was er beim Münchner Rundfunkorchester u. a. in Gotovacs Ero der Schelm zeigte. Im Konzertbereich war er z. B. mit den Requiem-Vertonungen von Brahms und Fauré, mit Mahlers »Achter« und Orffs Carmina burana zu erleben.
Constanze Fennel
In den Radioprogrammen des Bayerischen Rundfunks ist Constanze Fennel regelmäßig zu hören – so u. a. als Nachrichtensprecherin, als Moderatorin auf BR-KLASSIK, bei Übertragungen etwa von den Bayreuther Festspielen oder auch in Hörspielen und Features. Bei CheckPod, dem Podcast für Kinder mit Checker Tobi, leiht sie der Datenbank Checki ihre Stimme. Mit dem Münchner Rundfunkorchester wird sie im Mai in der Reihe Klassik zum Staunen erneut zusammenarbeiten. Constanze Fennel studierte Literatur- und Musikwissenschaft; als ausgebildete Schauspielerin agierte sie auf der Bühne, vor der Kamera und im Synchronstudio.
Laura Maire
Laura Maire studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Bekannt wurde sie durch eine Hauptrolle in der ARD-Vorabendserie Verdammt verliebt. Sie synchronisierte u. a. Brie Larson in dem vielfach prämierten Filmdrama Raum und Ashley Greene (als Alice Cullen) in der Twilight-Reihe. Laura Maire zählt zu den bekanntesten Stimmen im Hörbuchbereich. Zweimal erhielt sie den Deutschen Hörbuchpreis in der Kategorie »Beste Interpretin«: 2011 für die Lesung von Janne Tellers Roman Nichts. Was im Leben wichtig ist und 2014 für die Einspielung von Elisabeth Herrmanns Thriller Schattengrund.