El Niño
Konzerteinführung um 19 Uhr
mit Christian Reif
Moderation: Christopher Mann
Programm
Libretto nach Originaltexten zusammengestellt von Peter Sellars und John Adams. Konzept von Julia Bullock
- La anunciación – Se habla de Gabriel
- Magnificat
- Shake the heavens
- Pues mi Dios ha nacido a penar
- When Herod heard
- And the star went before them
- The three wise kings
- And when they were departed
- And he slew all the children
- Memorial de Tlatelolco
- Pues está tritando
- A palm tree – Una palmera
Mitwirkende
Das groß angelegte »Opern-Oratorium» des bekannten amerikanischen Minimal-Music-Komponisten John Adams aus dem Jahr 2000 für konzertante Aufführungen erreichbar zu machen, ist das Verdienst des aus Bayern stammenden und regelmäßig in den USA dirigierenden Christian Reif. Als unverzichtbare Begleiterin beim Entstehungsprozess und bei etlichen Aufführungen der Bearbeitung steht die amerikanische Sopranistin Julia Bullock auch bei Paradisi gloria mit auf dem Podium.
Werkeinführung

Eine zarte Vermählung europäischer Musik und lateinamerikanischer Texte
El Niño von John Adams
Von Giulio Biaggini
»Zwischen widersprechenden Engeln näherst du dich, wie sanfte Musik ergießt du dich, wie ein Becher mit Düften und Balsam» – der zeitgenössische Komponist John Adams vereint in seinem Oratorium El Niño die traditionelle Weihnachtsgeschichte mit neuer Dichtung, neuen Klängen und neuen Bildern. Eine »zarte Vermählung europäischer mittelalterlicher Musik und lateinamerikanischer Texte» nennt er sein auch szenisch aufführbares Werk zur Geburt Jesu aus dem Jahre 2000.
Inspiriert von einem Unwetter an der Pazifikküste 1997, das vom Wetterphänomen »El Niño» verursacht worden war, setzte Adams das Geschehen um Christi Geburt in Musik. Gemeinsam mit dem Librettisten Peter Sellars geht der Komponist über eine bloße Nacherzählung der Weihnachtsgeschichte hinaus: Denn die Ankunft des Messias sei wie ein »spiritueller Sturm, der die Korruption und den Zynismus der vorhergehenden Weltordnung verweht» habe. Adams legt nach eigener Aussage ein großes Gewicht auf das symbolische Geschichtenerzählen. In El Niño trifft mittelalterliche Marienverehrung auf ein aufgeklärtes Bild der Mutter Jesu. Marias Gedankenwelt und Mutterschaft werden von einer neuen Perspektive aus gedeutet. El Niño wirft Fragen zur Geburt und Wiedergeburt auch im Sinne eines Wandelns und Werdens mit Blick auf die gesellschaftspolitischen Spannungen Lateinamerikas an der Schwelle zum neuen Millennium auf. Zu Zitaten aus dem Lukas-Evangelium und den Apokryphen reihen sich unter anderem Verse des 17. Jahrhunderts von Sor Juana Inés de la Cruz sowie Gedichte der mexikanischen Poetin Rosario Castellanos. John Adams setzt auch Zeilen von Gabriela Mistral, Rubén Darío und Vicente Huidobro in Musik: »In den Gedichten geht es immer um den Geist, um die tiefsten Angelegenheiten unserer Existenz, aber sie sind in ein Netz von Bildern gegossen, wie ich sie in nordamerikanischen oder europäischen Texten noch nie gelesen habe.» Der Komponist verbindet in seinem Oratorium Castellanos Erinnerung an Tlatelolco, in der das Massaker der mexikanischen Polizei an jungen Studenten bei einem Protest 1968 beklagt wird, mit dem bethlehemitischen Kindermord. Ob beim Wunder der Geburt oder beim tragischen Leid, in El Niño schwingt stets die Frage mit, die John Adams ursprünglich als Titel des Werks vorgesehen hatte: How could this happen? – Wie konnte das geschehen?
Der 1947 in Massachusetts geborene Künstler orientiert sich stilistisch an der Minimal Music, die unter US-Amerikanern wie Steve Reich und Philip Glass eine erste Blüte erlebte. John Adams grenzt sich von diesen frühen Vertretern aber ab: »Ich habe nicht ihre verfeinerte, systematische Sprache», so der Komponist, vielmehr beherzige er die gesamte musikalische Vergangenheit. Die Einflüsse in El Niño reichen von Hildegard von Bingen über Guillaume de Machaut und Händel bis in das 20. Jahrhundert. Die Musik in El Niño ist aber auch von bildnerischen Darstellungen geprägt: So erinnert Giottos Kunst den Komponisten »an die Kraft der Simplizität» und bietet seinem Oratorium nicht nur musikalisch ein Tor in eine andere Welt. Die historischen Untertöne der modernen Klänge und die Vergegenwärtigung der traditionellen Weihnachtsgeschichte verschaffen dem Oratorium El Niño auch knapp 24 Jahre nach seiner Uraufführung noch eine dringliche Aktualität. In der von Christian Reif unter Mitwirkung von Julia Bullock arrangierten und gekürzten Konzertfassung von El Niño tritt die Gegenwärtigkeit des Werks mit der verdichteten Besetzung noch direkter hervor.
Mitwirkende
Christian Reif
Christian Reif ist Chefdirigent des Symphonieorchesters im schwedischen Gävle und Musikdirektor des Lakes Area Music Festival in den USA. Zuvor wirkte er u. a. als Resident Conductor der San Francisco Symphony. Er studierte am Mozarteum in Salzburg und an der Juilliard School in New York. Zudem leitete Christian Reif z. B. das Los Angeles Philharmonic, die Seattle Symphony, das Royal Scottish National Orchestra und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin. Auch mit dem Münchner Rundfunkorchester hat er zusammengearbeitet. Das durch den Grammy geadelte Album Walking in the Dark mit Sopranistin Julia Bullock zeigt ihn als Pianisten und als Dirigenten am Pult des Philharmonia Orchestra. Demnächst wird er El Niño: Nativity Reconsidered mit demselben Soloensemble wie in München auch in Gävle und New York interpretieren.
Julia Bullock
Sie ist eine der faszinierendsten Sängerinnen ihrer Generation, und ihr erstes Soloalbum Walking in the Dark erhielt 2024 den Grammy: Julia Bullock, geboren in St. Louis (Missouri), begeistert durch energetische Präsenz und ihr Engagement für gesellschaftliche Themen. Dies zeigen besonders drei von ihr initiierte Projekte: El Niño: Nativity Reconsidered sowie History‹s Persistent Voice zum Thema Sklavenhandel und Perle Noire über das Leben von Josephine Baker. Das Repertoire der amerikanischen Sopranistin reicht vom Barock bis zu eigens für sie geschriebenen Werken. An der New Yorker »Met» und den großen europäischen Opernhäusern ist sie ebenso zu Gast wie bei führenden Orchestern, z. B. unter Paavo Järvi, Gustavo Dudamel und Sir Simon Rattle.
Rachael Wilson
Beim Münchner Rundfunkorchester beeindruckte Rachael Wilson bereits in Zemlinskys Florentinischer Tragödie. Die amerikanische Mezzosopranistin war Ensemblemitglied an der Bayerischen Staatsoper und der Staatsoper Stuttgart. 2018 erhielt sie den Bayerischen Kunstförderpreis. Sie verkörperte u. a. Donna Anna (Don Giovanni) in Santa Fe und Hamburg, die Titelfigur in Carmen am Theater Basel, Lola (Cavalleria rusticana) am Royal Opera House in London und Cherubino (Le nozze di Figaro) am Teatro Real in Madrid. Auch beim Glyndebourne Festival und am Opernhaus Zürich trat sie in Erscheinung. Der El Niño-Besetzung unter Christian Reif gehörte sie bereits 2022 in New York an.
Kyle Sanchez Tingzon
Der philippinische Countertenor Kyle Sanchez Tingzon ließ seine Stimme am Konservatorium in San Francisco ausbilden. Damals übernahm er bereits die Titelrolle in Händels Giulio Cesare in Egitto und die Partie des Ottone in Monteverdis L‹incoronazione di Poppea. Er trat in den USA etwa mit den American Bach Soloists, beim Glimmerglass Festival und am Opera Theatre of St. Louis sowie in seinem Heimatland beim International Bamboo Organ Festival auf. John Adams‹ El Niño: Nativity Reconsidered führt ihn demnächst nach Schweden und nach New York in die Cathedral of St. John the Devine. An der Detroit Opera wird Kyle Sanchez Tingzon 2025 in Händels Rinaldo singen.
Davóne Tines
Als »Sänger von immenser Kraft und Inbrunst» wurde Davóne Tines von der Los Angeles Times gefeiert, und das Time-Magazin nahm ihn in die Liste der »Next Generation Leaders» auf. Oper und andere klassische Genres verbinden sich in seinem Repertoire mit Spirituals, Gospel und Neuer Musik. In Beethovens »Neunter» war der Amerikaner ebenso zu erleben wie bei der Uraufführung von Kaija Saariahos Only the Sound Remains oder John Adams‹ Girls of the Golden West. Und für dessen El Niño wurde der Bassbariton z. B. von der New Yorker »Met» eingeladen. Davóne Tines arbeitete zuletzt u. a. mit dem New York Philharmonic, dem Boston Symphony Orchestra und der American Modern Opera Company zusammen.