Mazeppa
Konzerteinführung: 18.00 Uhr
mit Johann Jahn
Koproduktion mit Palazzetto Bru Zane – Centre de musique romantique française
BR-KLASSIK
Liveübertragung. In der Pause: „PausenZeichen“. Johann Jahn im Gespräch mit Mitwirkenden
Programm
Libretto von Charles Grandmougin und Georges Hartmann
Konzertante Aufführung in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln (Übertitel-Inspizienz: Urte Regler)
Pause nach dem II. Akt
Mitwirkende
Nicht nur als Sängerinnen, sondern auch als Komponistinnen haben Frauen die Geschichte der Oper mitgeprägt – und zwar bereits während der Blüte dieser Kunstform. Höchste Zeit, ihre Werke zu würdigen! Die Französin Clémence de Grandval wurde u.a. von Camille Saint-Saëns ausgebildet. In Mazeppa schildert sie in brillanten Farben Aufstieg und Fall des Titelhelden – einer inmitten von kosakischem Freiheitskampf, Verrat und Verdammung durchaus schillernden Figur, die schon Tschaikowsky inspiriert hatte.
Libretto zu »Mazeppa« (auch offline verfügbar)
Mitwirkende, Handlung
Werkeinführung
Clémence de Grandval
* 21. Januar 1828 (nicht 1830, wie verschiedentlich zu finden) in Saint-Rémy-des-Monts (Region Pays de la Loire)
† 15. Januar 1907 in Paris
Mazeppa
Oper in fünf Akten
Entstehung des Werks: 1888 bis spätestens 1892
Uraufführung: 23. April 1892 am Grand Théâtre de Bordeaux
»Eine Privilegierte des Himmels«
Clémence de Grandval und ihre Oper »Mazeppa«
Von Florian Heurich
»Sie wären sicherlich berühmt, wäre die Autorin nicht eine Frau, was für viele Menschen ein unabänderlicher Fehler ist«, schrieb Camille Saint-Saëns einst über die Lieder von Clémence de Grandval, die als Komponistin, Pianistin und Sängerin eine der vielseitigsten, produktivsten und auch angesehensten Persönlichkeiten des französischen Musiklebens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war und dennoch bei der Nachwelt in Vergessenheit geriet. Zu einer Zeit, als das Komponieren, genauso wie Literatur, bildende Kunst und Politik, noch weitgehend eine Männerdomäne war, und komponierende oder musizierende Frauen vor allem als »Amateurinnen« angesehen wurden, die Werke für den Hausgebrauch oder den semiprivaten Rahmen des Salons schufen, konnte sich Grandval als eigenständige Künstlerin behaupten. Ihr umfangreiches Œuvre umfasst kleine wie große Gattungen, von Kammermusik und Klavierliedern über Messen und sonstige geistliche und oratorische Werke bis hin zu groß besetzten symphonischen Arbeiten und mehreren Opern für verschiedene Pariser Konzertsäle und Theater.
Aber auch die aus adeligem Haus stammende und mit einem wohlhabenden Musikliebhaber verheiratete Grandval musste aufgrund ihrer gut situierten Lebensumstände gegen das Vorurteil einer Komponistin aus Liebhaberei ankämpfen. So schrieb der einflussreiche Musikkritiker und Biograph François-Joseph Fétis in seiner Biographie universelle des musiciens: »Obwohl Madame de Grandval wegen ihrer gehobenen Situation und ihres Vermögens nur als Amateurin angesehen werden kann, ist sie dennoch mit überaus bemerkenswerten Fähigkeiten und einer seltenen Schaffenskraft begabt, besonders für eine Frau, sodass man ihr ohne Gefälligkeit den Titel einer Künstlerin verleihen kann.« Weniger gönnerhaft äußerte sich Saint-Saëns, der einer von Grandvals Lehrern war und den eine von gegenseitiger Wertschätzung geprägte Freundschaft mit ihr verband: »Es soll mir erlaubt sein zu bemerken, dass mit allen Werken Berlioz’ und Grandvals das französische Repertoire sich nicht zu verstecken braucht.« Bei mehreren Gelegenheiten stellte Saint-Saëns seine einstige Schülerin und Freundin in eine Reihe mit Gounod, Massenet, Bizet, Delibes und weiteren bedeutenden Komponisten der Zeit.
Clémence de Grandval wurde am 21. Januar 1828 als Marie-Félicie-Clémence de Reiset auf Schloss Cour du Bois, dem Besitz der Familie Reiset, in Saint-Rémy-des-Monts im nordfranzösischen Département Sarthe geboren. Ihr Vater war ein hochrangiger Militär, ihre Mutter betätigte sich als Schriftstellerin. Früh zeichnete sich eine musikalische Begabung ab, und bereits ab dem Alter von sechs Jahren erhielt Clémence im privaten Rahmen eine fundierte Ausbildung in Gesang, Klavierspiel und später auch in Komposition. Chopin gab ihr Klavierstunden, ihr erster Kompositionslehrer war Friedrich von Flotow, ein Freund der Familie, bei dem sie ab 1842 Unterricht nahm. Mit 21 Jahren trat sie noch unter ihrem Mädchennamen Mademoiselle de Reiset erstmals öffentlich als Komponistin und Interpretin in Erscheinung. Bei einer Salonmatinee führte sie ein von ihr verfasstes Klaviertrio auf und sang einige eigene Lieder, worauf in der Revue et Gazette musicale de Paris zu lesen war, »dass eine Virtuosin mit dieser Stärke wie eine Privilegierte des Himmels erscheint«.
1851 heiratete sie den 15 Jahre älteren Charles-Grégoire Vicomte de Grandval, mit dem sie zwei Töchter hatte; eine starb bereits früh. Die Ehe hinderte sie allerdings nicht daran, weiterhin ihrer musikalischen Berufung zu folgen. Im Gegenteil, nun begann sie auf professioneller Ebene bei Camille Saint-Saëns Komposition zu studieren. Ihr Mann unterstützte ihr Talent und übernahm später sogar die Rolle eines Sekretärs, der mit Impresarios korrespondierte und Zeitungskritiken sammelte. Nach seinem Tod schrieb Clémence an ihre Freundin Pauline Viardot, Komponistin, Sängerin, Pianistin und Salondame wie sie: »Der Freund, den ich verloren habe, war mir so treu ergeben, wie es von nun an niemand mehr sein wird.«
Nach vielen Kammermusik- und Salonstücken schrieb Clémence de Grandval in den 1860er Jahren ihre ersten Bühnenwerke, zunächst jedoch noch unter Pseudonymen wie Caroline Blangy, Clémence Valgrand, Maria Felicita de Reiset oder Maria de Reiset Tesier. Für Frauen ihres Standes war das Komponieren für einen kleinen, elitären Kreis zwar durchaus akzeptiert, die Arbeit fürs Theater hatte hingegen immer einen fragwürdigen Beigeschmack, zumal Grandvals erste Bühnenstücke dem leichten Genre wie Operette, Vaudeville oder Opéra comique angehörten: Le sou de Lise wurde 1860 an den Bouffes-Parisiens uraufgeführt und Les fiancés de Rosa 1863 am Théâtre-Lyrique. Mit La Comtesse Eva, uraufgeführt 1864 in Baden-Baden, trat sie erstmals unter ihrem richtigen Namen als Opernkomponistin an die Öffentlichkeit. Es folgten noch La pénitente (Opéra-Comique, 1868), Piccolino (Théâtre-Italien, 1869) und wesentlich später Mazeppa, ihre umfangreichste Oper, die 1892 am Grand Théâtre de Bordeaux Premiere hatte. Nach vielen Jahren, in denen sich die Komponistin vor allem mit geistlicher und symphonischer Musik beschäftigt hatte, sprechen aus dieser Oper nun eine künstlerische Reife, eine emotionale Tiefe und eine Ernsthaftigkeit in Sujet und musikalischer Ausformulierung, die sie von den früheren Bühnenwerken abheben.
Da sie selbst Sängerin war, lag Grandval die menschliche Stimme besonders am Herzen. Dies schlug sich nicht nur in ihren Opern und Liedern nieder, sondern auch in einer Reihe von geistlichen Werken mit Gesang, von denen das erfolgreichste ein Stabat mater (1870) war, sowie in den Oratorien Sainte Agnès (1876) und La fille de Jaïre (1880) oder dem Poème lyrique La forêt für Soli, Chor und Orchester (1874). Darüber hinaus schrieb sie ein Oboenkonzert (1878), das oft von dem berühmten Solisten und Musikpädagogen Georges Gillet aufgeführt wurde und ein beliebtes Prüfungsstück des Pariser Konservatoriums war.
Die Komponistin war mehr und mehr zu einer bestens etablierten Größe des Pariser Musiklebens geworden, ihre Werke wurden in vielen Kirchen und Konzertsälen dargeboten, für La fille de Jaïre erhielt sie den von der Académie des Beaux-Arts verliehenen Prix Rossini, und eine neue Konzertreihe mit dem Titel L’art moderne widmete Grandval 1878 das Eröffnungskonzert. Sie spielte eine wichtige Rolle in der gerade gegründeten Société nationale de musique, wo sich die Avantgarde der französischen Musik traf, und bei deren Konzerten in der Salle Pleyel. Zudem kam in ihrem Salon alles zusammen, was Rang und Namen hatte: Daniel-François-Esprit Auber, Ambroise Thomas, Charles Gounod, Georges Bizet, Pauline Viardot, Giacomo Meyerbeer und viele weitere Musiker, Literaten, Künstler und Persönlichkeiten der Gesellschaft.
1886 war der Tod ihres Mannes, der während der Ehe meist hinter seine komponierende Frau zurückgetreten war und im Hintergrund vieles organisiert hatte, ein schwerer Schlag für Clémence de Grandval. Dennoch ging sie auch danach weiterhin ihrer Berufung nach, die schon längst zu einem den Lebensunterhalt sichernden Beruf geworden war. Mit Mazeppa schuf sie einen letzten Höhepunkt in ihrem Gesamtwerk. Bereits die Uraufführung in Bordeaux fand großen Anklang, und eine weitere Aufführung zwei Jahre später in der Pariser Salle Pleyel in einer Fassung mit Klavierbegleitung, bei der Grandval selbst den Klavierpart übernahm, wurde in der Presse als Ereignis gefeiert: »Mme de Grandval hat es verstanden, persönlich zu bleiben, ohne irgendetwas von der jungen Schule mit ihren Übertreibungen zu übernehmen und ohne alte Traditionen und einen aus der Mode gekommenen Stil, mit dem sich der moderne Geschmack nicht vertragen würde, zu bewahren. […] Die Gesetze der Tonalität werden beachtet, und die Melodien heben sich mit Regelmäßigkeit, perfekter Symmetrie und großer Intensität ab.« Nach diesem letzten großen Bühnenwerk war die Künstlerin zwar nach wie vor präsent im französischen Musikleben, schränkte ihre Konzertauftritte jedoch mehr und mehr ein und komponierte immer weniger. Sie starb am 15. Januar 1907 in Paris.
Mit der fünfaktigen Oper Mazeppa auf ein Libretto von Charles Grandmougin und Georges Hartmann schuf Grandval ein groß dimensioniertes Bühnenwerk, dessen Musiksprache dem Stil des späten 19. Jahrhunderts voll und ganz entspricht – mit längeren, durchkomponierten Szenenkomplexen, aus denen sich solistische Passagen im Sinne von Arien, Duetten oder Terzetten herausschälen. Die Wahl eines osteuropäischen Sujets, nämlich die Geschichte des ukrainischen Kosakenhauptmanns Mazeppa, die bereits Tschaikowsky zu einer Oper inspiriert hatte, erscheint ungewöhnlich für die französische Musik. Zwar unterscheidet sich die Handlung wesentlich von Tschaikowskys Oper, das Libretto basiert aber auf denselben Vorlagen, etwa auf dem Gedicht Poltawa von Alexander Puschkin, in dem die historischen Begebenheiten um den im 17. Jahrhundert lebenden Iwan Mazeppa als Legende geschildert werden. Möglicherweise war Grandval durch Achille de Lauzières – Librettist ihrer Oper Piccolino, der bereits einen Mazeppa-Text verfasst hatte – auf dieses Sujet gestoßen.
In ihrer Musik greift Grandval das Nebeneinander einer historisch-politischen Handlung und einer Liebesgeschichte auf, mit effektvollen Ensembles und Massenszenen einerseits und intimen lyrischen Momenten andererseits. Die heroischen Taten des vom Volk gefeierten Mazeppa, der jedoch allmählich die Seiten wechselt, stehen neben der privaten Liebesbeziehung zwischen ihm und Matréna, wobei diese Verbindung schließlich zu einem Abhängigkeitsverhältnis wird und im Wahnsinn Matrénas und der Verdammnis Mazeppas endet. Besonders wirkungsvoll sind das Finale des I. Akts, wenn Mazeppa dazu auserwählt wird, die Ukrainer zum Sieg zu führen, und vor allem das Finale des IV. Akts. Beginnend mit der Ankunft der gefangenen Ukrainer, unter denen sich auch der alte Kotchoubey, Matrénas Vater, befindet, entwickelt sich diese Szene in einer dramatischen Steigerung bis zum Fall und der Verfluchung des mittlerweile zum Verräter gewordenen Mazeppa.
Lyrisches Herzstück der Oper ist der III. Akt, der mit einer Arie der Titelfigur beginnt und zu einem ausgedehnten Duett mit Matréna wird. Auch in Matrénas Szene im II. Akt und im sich anschließenden Duett mit Iskra zeigt sich Grandval als eine Komponistin, die der Gesangsstimme dankbare Entfaltungsmöglichkeiten gibt. In den reinen Orchestersätzen wie dem Prélude, das Mazeppas wilden Ritt durch die Steppe schildert, dem Entracte zu Beginn des III. und dem Divertissement im IV. Akt, also der Ballettmusik mit ihren Anklängen an die osteuropäische Folklore, schreibt Grandval eine suggestive, farbenreiche und die Szenerie illustrierende Musik mit dezentem Lokalkolorit. Zudem werden die Hauptfiguren von Beginn an durch kurze, fast leitmotivische Themen charakterisiert, die immer wieder auftauchen. Die Oper endet in einer Art Wahnsinnsszene, in der Grandvals Gespür für Theatralik und musikdramatischen Effekt bestens zum Ausdruck kommt.
In der Presse wurde der Wunsch laut, dass Mazeppa auch an der Pariser Opéra gespielt werden sollte, jedoch blieben Grandvals Versuche, ihr Werk an die führende Bühne der französischen Metropole zu bringen, erfolglos. Es wurde in den Jahren darauf noch in Antwerpen (1896), Marseille (1897), Montpellier (1904) und Dijon (1905) gezeigt, mit dem Tod Grandvals 1907 verschwand es jedoch von den Spielplänen. Aber auch wenn die Nachwirkung dieser Oper ausblieb, so ist sie doch das eindrucksvolle Hauptwerk einer vergessenen Komponistin des 19. Jahrhunderts, die sich neben Musikerinnen wie Louise Farrenc, Louise Bertin, Pauline Viardot oder Cécile Chaminade ihren Platz in einer Männerdomäne erkämpft hatte.
Legende und Wirklichkeit
Iwan Mazeppa, ein Feldherr zwischen den Fronten
»Er rast, er fliegt, er fällt und steht als König wieder auf!« Dies sind die letzten Worte in einem Gedicht von Victor Hugo, in dem er die Legende von Mazeppa schildert: Als Strafe für ein illegitimes Verhältnis mit einer Adligen wurde er nackt, Rücken an Rücken auf sein Pferd gebunden, das nun durch die Steppe galoppiert. Nach einigen Tagen stirbt das Tier, und auch Mazeppa ist dem Tode nah, als er von Kosaken aufgefunden wird, die ihn mit in die Ukraine nehmen und zu ihrem Anführer im Kampf gegen die Russen machen. Auch Lord Byron und Alexander Puschkin greifen diese Legende auf. Aber wer war Mazeppa wirklich?
Iwan Mazeppa wurde 1639 in der Ukraine geboren, war Page am polnischen Hof und stieg später zum Hetman (hochrangiger Feldherr) der Kosaken auf. Als Verbündeter des Zaren Peter I. kämpfte er zunächst für Russland, wechselte dann aber die Seiten und verbündete sich mit dem schwedischen König Karl XII., der versprach, die Ukraine zu beschützen. Mazeppa selbst beteuerte, dass seine Loyalität immer ausschließlich dem Kosakenheer und der ukrainischen Nation gelte, keinem König oder Zaren. Im Großen Nordischen Krieg zog er für Schweden in die Schlacht von Poltawa (Ukraine), verließ nach der Niederlage jedoch das Land, floh in Richtung Osmanisches Reich und starb 1709 im heutigen Transnistrien in Moldawien.
In der russischen Geschichtsschreibung gilt Mazeppa als negative Figur; Zar Peter I. ließ sein Bild am Galgen aufhängen, und die Russisch-orthodoxe Kirche belegte ihn mit dem Kirchenbann. In der Ukraine hingegen verehrt man ihn als Nationalhelden. So ist er etwa auf dem Zehn-Griwna-Schein abgebildet und wird von der Orthodoxen Kirche der Ukraine verehrt.
Florian Heurich