Tristis est anima mea
Programm
Diana Fischer | Sopran-Solo
Diana Fischer | Sopran-Solo
Jutta Neumann | Alt-Solo
Nikolaus Pfannkuch | Tenor-Solo
Christopher Dollins | Bass-Solo
Mitwirkende
Trauer, Schmerz, Düsternis, Hoffnung – vielfältig sind die Affekte, die in den großen Chorwerken der Passionszeit zum Klingen gebracht werden. Zu ihnen gehören der Psalmvers »Miserere«, hier in einer Vertonung von James MacMillan, und ebenso die tief empfundenen Poulenc-Motetten für die Kar-Metten, die so genannten Tenebrae. Das klangmächtige Lotti-»Crucifixus« und das »Stabat mater« von Knut Nystedt künden vom Geschehen um den Kreuzestod Christi.
John Taveners Chorsatz »Svyati« hingegen imaginiert den Moment im christlich-orthodoxen Ritus, wenn der Sarg geschlossen wird und der Leichenzug sich bei Kerzenlicht zum Grab bewegt. Hier wie auch in »Imagination Against Numbers« für Solocello des Schweizers Dieter Ammann von 1994 setzt der renommierte Cellist Maximilian Hornung vielgestaltige instrumentale Kontrapunkte.
Zum Programm
Tristis est anima mea
Christen gedenken in den Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag der Leidesgeschichte Jesu. Eine Zeit, in der geistliche Musik von großer Ausdruckskraft entstanden ist. Viele Werke sind auch in den Konzertsälen längst heimisch geworden.
Von Judith Werner
»Tristis est anima mea« – »Meine Seele ist betrübt«, spricht Jesus in der letzten Nacht vor seiner Ergreifung und beginnt »zu zittern und zu zagen«. Als Kernthemen der Passion verbinden Verzweiflung und Trauer in diesem Konzert die Gesangsstücke. Mit der Auswahl ihrer Texte stellen sich die Komponisten in die Tradition der christlichen Liturgie.
Francis Poulenc und James MacMillan zitieren die düsteren Tenebrae-Stundengebete: Die Tenebrae (lat. Finsternis) werden an Gründonnerstag, Karfreitag sowie Karsamstag in der frühmorgendlichen Dunkelheit abgehalten und widmen sich auch inhaltlich den dunkelsten Themen der Passion. Neben Psalmen und Lesungen enthalten diese Nacht- und Morgengebete sogenannte Responsorien – Wechselgesänge zwischen einem Kantor und der Gemeinde.
Drei dieser Responsorien aus den Nachtgebeten vertonte Poulenc: »Tristis est anima mea« von Gründonnerstag sowie »Vinea mea electa« und »Tenebrae factae sunt« von Karfreitag. »Timor et Tremor« ist zwar kein liturgischer Text, jedoch geistliche Poesie zur Passionserzählung. Den Tenebrae gemäß schließt sich im Konzert der »Miserere«-Psalm an: Er eröffnet an allen drei Kar-Tagen das Morgengebet.
Der Karfreitag gedenkt Christi Kreuzigung und Tod; mit dem »Crucifixus«-Vers wird jedoch auch außerhalb der Karwoche daran erinnert: Als ein Satz im Credo ist er Bestandteil des Glaubensbekenntnisses jeder katholischen Messe.
Teil jeder orthodoxen Messe ist »Svyati«, die kirchenslawische Version eines alten christlichen Hymnus, den auch die Karfreitagsliturgie verwendet – in der orthodoxen wie in der katholischen Kirche. Eine besondere Bedeutung kommt dem Hymnus bei orthodoxen Beerdigungen zu: Man singt ihn zum Abschied am offenen Sarg und zur Grabprozession.
Von Trauer handelt auch das »Stabat mater«: dem Leid der Mutter um den gekreuzigten Sohn. Die mittelalterliche Andachtsdichtung wurde im 15. Jahrhundert in die Liturgie der Sieben Schmerzen Mariä aufgenommen – damals ein Fest in der Passionszeit. Heute wird der Gedenktag am 15. September begangen, wenngleich das »Stabat mater« inhaltlich ein Passionsgesang bleibt.
Werkeinführungen
»Lass mich mit Christi Leid vereinen«
Von Judith Werner
Knut Nystedt
* 3. September 1915 in Kristiania (heute Oslo)
† 8. Dezember 2014 in Oslo
Stabat mater
für Chor und Violoncello, op. 111
Entstanden: 1986 vollendet
Widmung: dem Musikfestival von Ålesund
Uraufführung: 1987 beim Musikfestival von Ålesund
»Immortal Bach« nannte der Norweger Knut Nystedt ein A-cappella-Chorwerk, das sein künstlerisches Wollen und Wirken gleichsam wie ein Dreh- und Angelpunkt zusammenfasst. Das Werk bezieht sich auf eines seiner prägenden Vorbilder, seine Uraufführung bildete den Abschluss einer 40-jährigen Zusammenarbeit mit dem von ihm 1950 gegründeten Norske Solistkor, und es dürfte zu seinen avanciertesten Kompositionen gehören.
Christliche Erziehung und Liebe zur klassischen Musik sind bei Knut Nystedt schon im Elternhaus vorgegeben. In den 1930er Jahren studierte er in Oslo Dirigieren, Komposition und Orgel und erweiterte seine Kenntnisse nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA bei Aaron Copland. Als Komponist vornehmlich von Orgel- und Chormusik sowie als Chorleiter, Organist und Lehrer prägte er das Musikleben in Norwegen nachhaltig, wofür ihm sein Land vielfach Ehrungen erwiesen hat. Unter der Opuszahl 147 veröffentlichte der 87-Jährige gleichsam sein Opus summum, eine Sammlung von nicht weniger als 101 Psalmvertonungen in sechs Sprachen und aus sechs Jahrzehnten.
Jenseits seiner Psalmvertonungen entstand 1986 ein Chorwerk mit Begleitung des Violoncellos, in dem sich Knut Nystedt dem mittelalterlichen »Stabat mater«-Gedicht zuwandte – einer der bedeutendsten und in allen Epochen vielfach vertonten Betrachtung der Mutter Gottes und ihres Schmerzes bei Jesu Kreuzigung. Die Klammer um den vokalen Anteil des 15-minütigen Werks bildet die hochvirtuose Cello-Stimme, die dem vordergründig schlicht gestalteten Chorsatz mit großer Emotionalität begegnet, ihn begleitet, umspielt, ausdeutet oder ihm Kontrapunkte und Farben beifügt. Ungefähr in der Mitte sieht Nystedt ein weit ausschweifendes Cello-Solo vor, das wie eine instrumentale Klage einen besonderen Gedanken aufgreift: Es baut die Brücke zwischen zwei aufeinanderfolgenden Versen mit nahezu gleicher Aussage, die in dieser Anordnung die zentrale Botschaft des Werks betonen: »Lass mich mit Christi Leid vereinen!«
Eine Offenbarung des Innersten
Motetten für »eine Zeit der Buße«. Von Judith Werner
Francis Poulenc
* 7. Januar 1899 in Paris
† 30. Januar 1963 in Paris
Quatre motets pour un temps de pénitence für Chor a cappella
Entstehungszeit: Juli 1938 bis Januar 1939 in Paris
und auf Poulencs Landsitz Le Grand
Coteau bei Noizay im Loiretal
Widmungen: Nr. 1 an Monsieur
l’Abbé Maillet (Leiter der Petits
Chanteurs à la Croix de Bois),
Nr. 2 an Yvonne Gouverné (enge Freundin
Poulencs und Chordirigentin),
Nr. 3 an Nadia Boulanger (Dirigentin der
Uraufführung von Poulencs Orgelkonzert)
und Nr. 4 an Ernest Bourmauck (Dirigent der
Uraufführung von Poulencs G-Dur-Messe)
Uraufführung: Februar 1939 durch Les Petits
Chanteurs à la Croix de Bois, vermutlich in Paris
»Vom Himmel habe ich die Gabe erhalten, zu wissen, wie man für einen Chor schreibt«, äußerte Francis Poulenc rückblickend und übertrieb damit keinesfalls. Seine Gabe wurde durch ein einschneidendes Erlebnis erweckt, das ihn und damit auch sein zuvor eher von Leichtigkeit geprägtes Œuvre verändern sollte. Tief erschüttert vom plötzlichen Unfalltod eines Freundes begibt sich Poulenc 1936 in den Wallfahrtsort Rocamadour, wo er vor der Schwarzen Madonna eine spirituelle Wandlung erfährt. Noch am selben Tag skizziert er die »Litanies à la Vierge Noire« – der Beginn einer neuen Ernsthaftigkeit und einer Folge von geistlichen Werken, aus denen ein tiefempfundener Glaube spricht. Das Werk markiert aber auch einen weiteren Wendepunkt: Poulenc beginnt für Chor zu komponieren.
Den »Litanies« folgen noch im selben Jahr Kinderchorstücke und die »Sept Chansons«, 1937 dann die G-Dur-Messe und 1938/39 schließlich die »Quatre motets pour un temps de pénitence«, an die sich 1943 Poulencs 12-stimmiges Meisterwerk »Figure humaine« anschließen wird. Zur Entstehung der »Quatre motets« trug auch Darius Milhaud bei, ein Kollege aus der Komponistengruppe Les Six: In der Karwoche 1938 hört Poulenc einen Knabenchor Milhauds Kantate »Les deux cités« singen und entschließt sich sofort, demselben Chor vier Motetten »für eine Zeit der Buße«, also zur Fastenzeit und Karwoche zu komponieren. Als textliche Grundlage wählt er Responsorien, die Antwortgesänge auf Lesungen in den düsteren Tenebrae-Nachtgebeten der Kar-Tage. Sie haben die Passion Christi zum Inhalt, imaginieren Momente seiner letzten Stunden oder zitieren die Bibel direkt. Auch »Timor et tremor« ist auf diese Art gedichtet, wenngleich es ein nicht-liturgischer, einer Komposition von Orlando di Lasso entlehnter Text ist.
»Mein ,Kanon‹ ist der Instinkt«, sagt Poulenc, und davon hat er reichlich: Kaum ein Komponist des 20. Jahrhunderts vermochte es wie er, einem Vokalensemble derart farbenreiche Klänge zu entlocken, ihm einem Orchester ebenbürtige Möglichkeiten zu verleihen. Seine Motteten gleichen einem Theaterstück voller Dramatik und Expressivität. Im Mittelpunkt steht die Textausdeutung, die in wenigen Takten von einem Extrem ins andere wechseln kann. Sie sind eine Offenbarung des Innersten, der Seele Jesu in seinen letzten Stunden, aber auch der vielfältigen Gefühlswelt eines jeden Menschen.
»Timor et tremor«, die erste der vier Motetten, beginnt in lähmender Angst, Stück für Stück löst sich die Schwere in tiefes Vertrauen auf Gottes Zuwendung. Aus dieser heraus entsteht »Vinea mea electa« in absoluter, umfangender Liebe. Doch der »erwählte Weinstock« – ein Bild für das auserwählte Volk Israel – hat sich gegen Jesus gewandt und Poulenc betont diesen Gegensatz in den bitteren »et Barrabam«-Rufen.
Die düsterste und gleichzeitig progressivste der Motetten ist »Tenebrae factae sunt«, die Stunde der Kreuzigung. Im Zentrum stehen Jesu Ringen mit dem Tod und seine letzten Worte am Kreuz. Leid äußert sich in chromatischen Wendungen, etwa in lauten Rufen (»exclamavit Jesus«), in der Geste des sich neigenden Haupts (»et inclinato capite«) oder im schmerzverzerrten Sprechen (»ait«) der letzten Worte: In »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« sowie in »Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist« vereint sich das gesamte Gefühlsspektrum von extremer Verzweiflung und Angst bis hin zur Annahme des Unabwendbaren. Das Stück endet mit den letzten Atemzügen, dem auskomponierten »Aushauchen« des Geists (»emisit spiritum«).
Umso berührender erscheint nun das überirdische, freischwebende Sopran-Solo von »Tristis est anima mea« – Worte, die Jesus ursprünglich im Garten Gethsemane spricht. Im Kontrast dazu verdeutlicht Poulenc das Durcheinander und den Aufruhr bei Jesu Ergreifung (»vos fugam capietis«), bis das Solo wieder erscheint und mit den Worten schließt, die auf die spirituelle Kernaussage der Passion verweisen: »ich werde geopfert werden« – »für euch«.
Sieg der »Imagination«
Von Judith Werner
Dieter Ammann
* 17. Mai 1962 in Aarau (Schweiz)
Piece for Cello. Imagination Against
Numbers für Violoncello solo
Entstanden: 1994, Kompositionsauftrag
von David Riniker, überarbeitet 1998
Uraufführung: 1994 beim Moskauer
Tschaikowsky-Wettbewerb durch David Riniker
Als Jazzer und Improvisator war der Schweizer Musiker Dieter Amman zu Gast auf vielen wichtigen Festivals, etwa in Köln, Willisau, Antwerpen und Lugano. Und er wirkte an Plattenproduktionen und Studiosessions von Udo Lindenberg und Eddie Harris mit. Dann jedoch fand Ammann zunehmend Interesse am Komponieren. Es folgten Studien an der Musikakademie in Basel und Meisterkurse bei Wolfgang Rihm und Witold Lutosławski. Seit Anfang der 1990er Jahre ist dann eine überschaubare Anzahl an Werken entstanden, aus der Taufe gehoben oftmals von so bedeutenden Interpreten wie Pierre Boulez, Jonathan Nott, Peter Rundel oder Valery Gergiev. Sein Schwerpunkt liegt im Instrumentalen, darunter Kammermusik, Orchesterkompositionen und konzertante Werke.
Das knapp zehnminütige »Piece for Cello« gehört zu den frühen Werken, die in den ersten Jahren nach Abschluss seines Kompositionsstudiums entstanden waren. Ammann sagt von sich selbst, er komponiere überaus langsam. »Zunächst habe ich mich ein halbes Jahr mit dem Violoncello beschäftigt«, das sei wie eine Eintrittspforte gewesen. Dann erst habe sich in seinem Kopf »eine Klanglichkeit geformt«. Der Untertitel »Imagination Against Numbers« lässt ahnen, was Dieter Ammann bei diesem Werk im Sinn lag: der Widerstreit von Phantasie und Zahlen, von Unterbewusstem und Geplanten, von Unordnung und Regeln. So äußerte er einmal, er werde »immer skeptisch, wenn er von all den detaillierten Kompositionstechniken« höre, die so vielen zeitgenössischen Werken zugrunde liegen. Ammann sieht Regeln als eine Strategie, mangelnde Kreativität zu verschleiern. »Der Klang«, so Ammann, »keimt in meinen Gedanken, noch bevor er geboren wird. Ich benötige sehr viel Zeit, in mich hineinzuhören und mich in diesem schwierigen Gelände vorwärtszubewegen.« In seinem »Piece for Cello« lässt Ammann genau jener »Imagination« den Vortritt, wenn er rhythmischen Strukturen eine Absage erteilt und vielmehr vier Zentraltöne als Ausgangspunkte setzt für das Spiel mit Klangfarben, für das Kreisen um energetische Punkte, für experimentelle Episoden und »romantischen Cello-Ton«. Dabei bleibt dem Interpreten kaum eine technische Hürde erspart. Doppelgriffe, »crescendierende Handgelenkwirbel«, Flageolett, gleichzeitig gezupfte und gestrichene Töne, »Bartók-Pizzicato«, Moltoespressivo und hauchzarte Klangereignisse wechseln einander ab – ein klarer Sieg der »Imagination«.
Akustischer Lichtkegel
Von Judith Werner
Henry Purcell
* 10. September 1659 in London
† 21. November 1695 in London
Hear My Prayer, O Lord
Anthem für acht Stimmen, Z. 15
Entstehungszeit: um 1682
Das achtstimmige Anthem »Hear My Prayer, O Lord« entstand zu der Zeit, als Henry Purcell zusätzlich zu seinem Organistenamt bei Westminster Abbey zum Musikdirektor (»Organist and Master of the Choristers«) an der Königlichen Kapelle befördert wurde. Purcell war 23 Jahre alt und seine Oper »Dido and Aeneas« und Semi-Operas wie »The Fairy Queen« sollten erst viel später entstehen. Dennoch galt er bereits als zentrale Persönlichkeit des royalen Musiklebens. Wer die alte Handschrift von »Hear My Prayer« durchblättert, entdeckt, dass Purcell noch wesentlich mehr vor hatte als nur die Vertonung des ersten Verses aus Psalm 102. Warum es bei diesem kurzen, aber umso klangintensiver gestalteten Satz blieb – darüber schweigen sich die vielen leeren Notenblätter der Handschrift bis heute aus.
Zwischen dem an traditionellen Psalmvortrag erinnernden Beginn des Anthems mit der Textrezitation auf einer Tonhöhe und der monumentalen Steigerung zum Schlussakkord hin ist vor allem ein Gestaltungsmoment von Bedeutung: Aus dem kurzen, in durchgehend kunstvoller Polyphonie gehaltenen Satz leuchtet ein einzelnes Wort immer wieder besonders hervor. »Herr, höre mein Gebet, mein Schreien dringe zu dir!«, so klingt es in allen acht Stimmen in kunstvoller Verschränkung, und jedes Mal wird das Wort »crying« (»Schreien«) durch seine spezielle chromatische Wendung (es – f – e oder b – c – h) hervorgehoben wie in einem akustischen Lichtkegel. Wie ein allgegenwärtiger chromatischer Vorbote führt diese Wendung hin zu einer maximalen harmonischen Verdichtung auf der so genannten Paenultima, dem vorletzten Klang des Werks. Hier werden allerlei dissonante Töne – immerhin regelkonform – mit Durchgängen und Vorhalten übereinandergeschichtet und lösen sich alsbald mit den zeittypischen Floskeln in einen prachtvoll ruhenden Schlussakkord.
Das schmerzliche Juwel eines venezianischen Meisters
Von Judith Werner
Antonio Lotti
* 5. Januar (getauft am 25. Januar) 1667
wahrscheinlich in Venedig
† 5. Januar 1740 in Venedig
Crucifixus für acht Stimmen
Entstanden: spätestens 1717 (venezianisches
Manuskript, aufbewahrt in Dresden)
Kennt man Antonio Lotti, kennt man sein »Crucifixus« – doch meist nur dieses. Dabei schuf der Venezianer eine Vielzahl herausragender Werke, die ihren Einfluss auch auf Kompositionen von Händel, Vivaldi oder Bach genommen haben. In seiner Zeit war Lotti ein hoch angesehener Musiker, die Nachwelt aber entdeckte ihn erst im 19. Jahrhundert wieder – mit seinem »Crucifixus«: 1838 nahm Friedrich Rochlitz das Stück in seine weit verbreitete »Sammlung vorzüglicher Gesangstücke« auf und machte es damit berühmt.
Lotti beginnt seine Karriere als Sänger und Organist am Markusdom. Mehr Ruhm und Geld verspricht jedoch die Oper, sie floriert nicht nur in Venedig, sondern in ganz Italien und Europa. Seine Opern sind es auch, die Lotti 1717 in die Musikmetropole Dresden bringen: Mitsamt einem kleinen Ensemble folgt er der Einladung des Kronprinzen an den sächsischen Hof. 1719 zurück in Venedig schreibt Lotti trotz großer Erfolge keine einzige Oper mehr, ein Teil seiner Truppe wechselt zu Händel nach London, und er selbst widmet sich intensiv der geistlichen Musik. Es entstehen aber auch weiterhin zahlreiche weltliche Kantaten, die darauf schließen lassen, dass Lotti weit über seine Kirchenmusikerstelle hinaus für verschiedenste Feierlichkeiten in Venedig wirkt. 1736, vier Jahre vor seinem Tod, wird Lotti schließlich Maestro di cappella am Markusdom. Damit steht er in der Folge von Francesco Cavalli, Andrea Gabrieli, Giovanni Gabrieli und Claudio Monteverdi.
Von Lotti sind sechs »Crucifixus«-Kompositionen für vier bis zu zehn Stimmen erhalten. Entgegen der heutigen Praxis wurden sie zu seiner Zeit jedoch nicht alleine, sondern als Teil des Credo aufgeführt. Meist erhält der Moment des Crucifixus darin einen besonderen Stellenwert: Lotti richtet den Fokus auf den Gesang, indem er das Orchester auf den Basso continuo reduziert und zusätzlich die Chorstimmen teilt. So auch in der ansonsten vierstimmigen »Missa Sancti Christophori«, deren Credo das achtstimmige »Crucifixus« enthält.
Hier baut Lotti die Einsätze in konsequenter Reihenfolge aufeinander auf: Vom Bass ausgehend fügt dabei jede Stimme einen intensiven Vorhalt hinzu, je höher die Stimmen werden, desto deutlicher manifestiert sich der Kreuzigungsschmerz. Er offenbart sich auch in den abfallenden Linien des Wortes »passus« (»gelitten«), die den erzählend-bittenden Mittelteil mit Klagen durchziehen. Sie münden in eine Homophonie, die Fakten schafft: »Er wurde begraben«. Der finale Durakkord erlöst nun buchstäblich aus allem Leid, das Lottis Musik zuvor so eindrücklich heraufbeschworen hat.
Geburtstags-Variationen
Von Judith Werner
Witold Lutosławski
* 25. Januar 1913 in Warschau
† 7. Februar 1994 in Warschau
Sacher Variation
für Violoncello solo
Entstehungszeit: 1975
Widmung: Paul Sacher zum 70. Geburtstag
Uraufführung: 2. Mai 1976 in Zürich
mit Mstislav Rostropowitsch
Es dauerte lange, bis Witold Lutosławski seinen Platz in der Komponistenwelt des 20. Jahrhunderts fand. Seinen Wunsch, in Paris zu studieren, vereitelte der Zweite Weltkrieg. Der deutschen Gefangenschaft entkommen, hielt er sich mit Musizieren im Kaffeehaus über Wasser und sah sich nach Kriegsende mit seinen neuen Werken dem Vorwurf des »Formalismus« ausgesetzt, der nicht wenige Künstler im Einflussbereich Stalins wie ein Bannstrahl traf. Erst nach 1954, Lutosławski war bereits über 40, entfaltete sich sein kompositorisches Schaffen. Der »Avantgardist und Fortsetzer der Tradition« fand seinen Weg »unter all den ästhetischen Scheidewegen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts«, wie einmal der Polnische Komponistenverband über sein prominentes Mitglied urteilte.
Die 1975 entstandenen Variationen für Solocello tragen den Namen des Dirigenten und Musikwissenschaftlers Paul Sacher (1906–1999), der zu den wichtigsten Mäzenen der Nachkriegszeit zählte und an die 200 Kompositionsaufträge vergeben hatte. Die materielle Grundlage für sein Wirken beruhte auf der Verbindung mit der Bildhauerin Maja Hoffmann-Stehlin, die ihre finanzielle Unabhängigkeit ihrem verstorbenen Mann, dem Pharma-Industriellen Emanuel Hoffmann, zu verdanken hatte.
Paul Sachers 70. Geburtstag nahm Mstislav Rostropowitsch zum Anlass, bei bekannten Komponisten, die mit dem Jubilar in Verbindung standen, Solowerke für Violoncello anzuregen. Britten, Boulez und zehn weitere leisteten ihre Beiträge, darunter auch Witold Lutosławski. Die besondere Möglichkeit der musikalischen Anverwandlung, welche die Buchstabenfolge »S – A – C – H – E – R« bietet, wenn sie in Tonhöhen umgedeutet wird, bildet die thematische Grundlage, die Rostropowitsch für den musikalischen Geburtstagsgruß ausersehen hatte. Lediglich beim ersten und letzten Buchstaben musste getrickst werden: Für das »S« steht der Ton Es und fürs »R« die italienische Bezeichnung Re für den Ton D. Britten sollte das Thema komponieren, alle weiteren Beitragenden die folgenden Variationen. Doch die Fantasie der meisten war überquellend, so ist kaum eine und am wenigsten die von Lutosławski eine einzelne Variation. Vielmehr war eine Reihe von eigenständigen und sehr verschiedenartigen Werken für Solocello entstanden, teilweise mehrsätzig und im Fall von Boulez’ »Messagesquisse« sogar mit Begleitung von sechs weiteren Celli.
Von Judith Werner
Gottvertrauen
James MacMillans Vertonung des 51. Psalms. Von Judith Werner
James MacMillan
*16. Juli 1959 in Kilwinning (Schottland)
Miserere für Chor a cappella
Entstanden: 2009 als Auftragswerk
vom britischen Ensemble The Sixteen
Widmung: Harry Christophers, Leiter von The Sixteen
Uraufführung: 29. August 2009 in Antwerpen
durch die Widmungsträger
»Ein geängstet und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten« – tiefe Not wandelt sich in Zuversicht: James MacMillans »Miserere« zeugt von seiner kraftvollen Verankerung im katholischen Glauben. Das Stück ist ein Gebet, es ist auf der Suche, ein Sinnbild spiritueller Praxis, die MacMillan nur allzu vertraut ist. Der Schotte lebt nach den Ordensregeln der Laien-Dominikaner, zugleich gilt er als einer der herausragenden Komponisten unserer Zeit. Glaube und Spiritualität sind zentrale Themen seines Lebens wie auch seines kompositorischen Schaffens.
Mit der Vertonung des »Miserere« steht MacMillan in einer langen Tradition von Palestrina bis Pärt. Sie rührt her von der besonderen Bedeutung des Bußpsalms in der Karwoche: Als erster Psalm im Morgengebet nach den »Tenebrae«-Metten weist er den Weg vom Leid zur österlichen Erlösung. Der Betende bekennt, gesündigt zu haben, und fleht um Erneuerung im Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes. Ein Psalm mit hoher liturgischer Bedeutung und einer dramaturgischen Spannung, die MacMillan auch dadurch heraushebt, dass er den Text vollständig verwendet, ist er doch besonders in der Alten Musik meist gekürzt zu finden.
Aus dem 17. Jahrhundert stammt die wohl berühmteste Vertonung des Psalms, das mythenumrankte »Miserere« von Gregorio Allegri. MacMillans achtstimmiges Werk mag dabei als moderner Gegenpol zu Allegri konzipiert sein: 2009 erhielt er den Kompositionsauftrag vom Ensemble The Sixteen, in dessen Repertoire Allegris »Miserere« einen festen Platz hat. MacMillans Bezugnahme auf Allegri erstreckt sich auf kleine Details (etwa die kurzen Soli) und auf das Aufgreifen der liturgischen Form des Psalmgesangs: Chorsatz und Rezitation wechseln sich ab, rezitiert wird meist mehrstimmig im Falsobordone-Stil – wenn auch harmonisch deutlich komplexer als bei Allegri.
MacMillans »Miserere« paart schlichte Psalmodie mit intensiver Klangkraft und expressive Zerrissenheit mit zarten, innigen Momenten; vereinzelt erheben sich byzantinisch-orthodoxe Wendungen. Man fühlt sich an Schnittke und Poulenc erinnert, mit denen MacMillan mehr als nur ästhetisch verbunden ist: Seinen tiefen Glauben teilt er mit Poulenc, die Suche nach dem Ausdruck universeller Spiritualität mit Schnittke. Und doch spricht MacMillan eine ganz eigene Musiksprache, die in den letzten Momenten des »Miserere« seine religiöse Vision offenbart: Aus Angst und Flehen wird umarmende Harmonie. Gottvertrauen in neoromantischen Klängen, die durch ihre Aufrichtigkeit tief berühren.
Dialog des Schmerzes und der Klage
Von Johann Jahn
John Tavener
* 28. Januar 1944 in London
+ 12. November 2013 in Child Okeford, Dorset
Svyati für Chor und Violoncello
Entstehungszeit: am 6. Juni 1995 vollendet
Widmung: »für Jane«, Tochter des Verlegers
John Williams, eines Freundes von John Tavener
Uraufführung: 1. Oktober 1995 beim Cricklade Music Festival (Südengland) mit dem Kiewer Kammerchor und Steven Isserlis (Violoncello) unter der Leitung von Mykola Gobdych
Wie bei kaum einem zweiten englischen Komponisten der Gegenwart stehen bei John Tavener Theologie und Spiritualität im Zentrum seines kompositorischen Schaffens. Als Sohn tiefgläubiger presbyterianischer Eltern kam er schon in jungen Jahren mit geistlicher Musik in Berührung. Vor allem der schlichte Kirchengesang in der Messe und das einstimmige Gebet der Mönche hinterließen einen bleibenden Eindruck und sollten den Kompositionsstil Taveners stark beeinflussen. Noch während seines Studiums in London wurde er für seine Kantate »Cain and Abel« ausgezeichnet.
Der entscheidende Erfolg stellte sich 1968 ein, als zum Gründungskonzert der London Sinfonietta seine Kantate »The Whale« uraufgeführt wurde. Kann man in den frühen Werken noch Anleihen bei der Musik von Olivier Messiaen erkennen, so entwickelte Tavener bald eine eigene Klangsprache. Spätestens seit seiner Konversion zum russisch-orthodoxen Glauben 1977 fanden mystische und rituelle Elemente aus der orthodoxen Liturgie Eingang in seine Musik.
Geistliche Chorwerke bilden daher den Großteil von Taveners Œuvre. Aber auch instrumentale oder weltliche Kompositionen tragen Titel wie »The Protecting Veil«, »Eternal Memory« oder »Theophany« und sind tief in der christlichen Religion verwurzelt. Die Vermittlung der heiligen Botschaft steht stets im Vordergrund, was sich unverkünstelt in der Musik widerspiegelt. Tavener möchte seine Musik durch eine klare und leicht fassliche Sprache auf den Kern der Aussage fokussieren. Dabei bewegt sie sich im tonal gefestigten Raum, vermeidet komplizierte Rhythmen und arbeitet – ähnlich wie die Minimal Music – gerne mit kleinsten Veränderungen einer Melodiezelle innerhalb eines weit geschwungenen, Einheit stiftenden Bogens.
Als Tavener im Frühjahr 1995 an ersten Skizzen zu »Svyati« arbeitete, erfuhr er vom tragischen Tod der Tochter eines guten Freundes, was entscheidend für seine weitere Beschäftigung mit diesem Stück war. Der Text ist einer der ältesten christlichen Hymnen und auch heute noch fester Bestandteil nahezu aller russisch-orthodoxer Gottesdienste.
Tavener vertonte ihn deshalb bewusst in kirchenslawischer und nicht etwa in lateinischer oder englischer Sprache. In seinem Vorwort zu »Svyati« erwähnt er, dass ihm während des Schreibens die ergreifende Szenerie eines orthodoxen Begräbnisses im Sinn lag: Die Gemeinde hat zunächst Gelegenheit den Leichnam zu küssen, bevor der Sarg aus der Kirche getragen wird, gefolgt von Trauergästen und umgeben von brennenden Kerzen.
Das Solocello kann als imaginärer Priester oder als Symbol Christi verstanden werden und sollte daher in einer gewissen Entfernung zum Chor platziert sein. Zwischen Violoncello und Chor entsteht so ein intimer Dialog des Schmerzes und der Klage. Am Beginn erklingt ein einzelner Ton, der während des gesamten Stückes von den Bässen fast durchgehend gehalten wird. Dadurch vermittelt Tavener die Stimmung eines tief in sich gekehrten Gebets. Das Violoncello wächst aus ebendiesem Ton »e« hervor, von dem es sich in verschiedenen Intervallen und Kantilenen entfernt und stets wieder zurückkehrt. Dann schwingt sich der Chor mit großen Klangmassen auf, gleichsam wie ein schmerzliches Aufbegehren. Wenn am Ende das Violoncello nach dreimaligem Echo alleine mit ätherischen Flageolett-Klängen das Stück beschließt, scheint es, als würde die irdische Stimme des Priesters gen Himmel entschweben.
Interpreten
Florian Helgath
Seit 2011 ist Florian Helgath Künstlerischer Leiter von ChorWerk Ruhr. Mit diesem Ensemble erarbeitet er bei höchsten Ansprüchen Chormusik aller Epochen. Daneben hat er 2017 dieselbe Position bei der Zürcher Sing-Akademie übernommen. Von 2009 bis 2015 wirkte Florian Helgath als Dirigent des Dänischen Rundfunkchores und von 2008 bis 2016 als Künstlerischer Leiter des via-nova-chores München, mit denen er zahlreiche hochgelobte Uraufführungen präsentierte. Florian Helgath ist regelmäßig zu Gast beim SWR Vokalensemble, RIAS Kammerchor, MDR Rundfunkchor, BR-Chor sowie beim Chœur de Radio France und arbeitet mit dem Münchener Rundfunkorchester, dem Danish Chamber Orchestra, der Akademie für Alte Musik Berlin sowie mit Concerto Köln und dem Ensemble Resonanz zusammen.
Auftritte führten ihn zu den Berliner Festspielen, den Audi Sommerkonzerten, zum Eclat Festival Neue Musik Stuttgart und zur Ruhrtriennale, wo er zahlreiche zeitgenössische Musiktheaterproduktionen gestaltete. In der laufenden Saison leitet Florian Helgath Konzerte beim RIAS Kammerchor sowie mit ChorWerk Ruhr im Muziekgebouw Amsterdam und in Speyer.
Für seine CDs erhielt Florian Helgath mehrfach renommierte Preise, darunter 2017 den ICMA Award und den Echo Klassik. Einstudierungen und Assistenzen übernahm er u.a. für Herbert Blomstedt, Kent Nagano, Rafael Frühbeck de Burgos und Christian Thielemann. Erste musikalische Erfahrungen sammelte Florian Helgath in seiner Heimatstadt bei den Regensburger Domspatzen. Später studierte er an der Hochschule für Musik und Theater in München. Zu seinen wichtigsten Lehrern zählen Michael Gläser, Stefan Parkman und Dan Olof Stenlund, die ihn in seiner Entwicklung als Dirigent entscheidend prägten. Als Finalist und Preisträger bei Wettbewerben wie dem Eric Ericson Award 2006 sowie bei der Competition For Young Choral Conductors 2007 in Budapest machte er international auf sich aufmerksam. Außerdem nahm Florian Helgath 2007 am Dirigierforum des Chores des Bayerischen Rundfunks teil.
Innerhalb der Chor-Abonnementreihe war Florian Helgath zuletzt 2017 mit dem Programm »Lamento« vors Publikum getreten.
Maximilian Hornung
Mit bestechender Musikalität, instinktiver Stilsicherheit und einer außergewöhnlichen musikalischen Reife hat der Cellist Maximilian Hornung die internationalen Konzertpodien erobert 1986 in Augsburg geboren, erhielt er mit acht Jahren seinen ersten Cellounterricht. Seine Lehrer waren Eldar Issakadze, Thomas Grossenbacher und David Geringas. 2005 gewann er den Deutschen Musikwettbewerb, 2007 als Cellist des Tecchler Trios den Ersten Preis beim ARD-Musikwettbewerb. Im Alter von nur 23 Jahren wurde er Erster Solocellist des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und hatte diese Position bis 2013 inne.
Maximilian Hornung wird vom Freundeskreis der Anne-Sophie Mutter Stiftung und vom Borletti Buitoni-Trust in London unterstützt und gefördert. Als Solist konzertiert er mit renommierten europäischen und amerikanischen Klangkörpern und arbeitete bisher mit Dirigenten wie Daniel Harding, Yannick Nézét-Séguin, Mariss Jansons, Esa-Pekka Salonen, David Zinman und Robin Ticciati zusammen. Zu seinen Kammermusikpartnern zählen Anne-Sophie Mutter, Antje Weithaas, Hélène Grimaud, Daniil Trifonov, Christian Tetzlaff, Lisa Batiashvili, Joshua Bell, Yefim Bronfman, Lars Vogt, Jörg Widmann und Tabea Zimmermann. Er musizierte gemeinsam mit dem Arcanto Quartett und dem Cuarteto Casals und wird von bekannten Festivals in Schwetzingen, Salzburg, Schleswig-Holstein, Luzern, Verbier, Lockenhaus, Ravinia und Hong Kong eingeladen. Regelmäßig ist er zu Gast im Wiener Musikverein, im Concertgebouw Amsterdam, in der Londoner Wigmore Hall und in der Berliner Philharmonie.
Maximilian Hornungs umfangreiche und vielseitige Diskographie umfasst sowohl Solokonzerte als auch prominent besetzte kammermusikalische Einspielungen. Zwischen 2011 und 2015 veröffentlichte er u. a. Dvořáks Cellokonzert mit den Bamberger Symphonikern, die wichtigsten Cello-Werke von Richard Strauss mit dem BRSO sowie mit der Kammerakademie Potsdam eine CD mit Haydn-Cellokonzerten. 2017 erschien eine hoch gelobte Einspielung von Schuberts »Forellenquintett« u.a. mit Anne-Sophie Mutter und Daniil Trifonov, 2018 seine Aufnahme der jeweils Zweiten Cellokonzerte von Dmitrij Schostakowitsch und Sulkhan Tsintsadze mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Aktuell ist seine Einspielung von Schumanns Cellokonzert mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra unter Daniel Harding auf dem CD-Markt zu erwarten.
Gesangstexte
Knut Nystedt – Stabat mater
Text: unbekannter Verfasser, 12./13. Jahrhundert; Deutsch nach der gereimten Übertragung von Heinrich Bone, 1847
Stabat mater dolorosa
juxta crucem lacrimosa,
dum pendebat Filius.
Cujus animam gementem,
contristatam et dolentem,
pertransivit gladius.
O quam tristis et afflicta
fuit illa benedicta
mater unigeniti!
Quae moerebat et dolebat,
pia mater dum videbat
nati poenas inclyti.
Quis est homo qui non fleret,
matrem Christi si videret
in tanto supplicio?
Quis non posset contristari,
Christi matrem contemplari
dolentem cum filio?
Pro peccatis suae gentis
vidit Jesum in tormentis
et flagellis subditum.
Vidit suum dulcem natum
moriendo desolatum,
dum emisit spiritum.
Eia mater, fons amoris,
me sentire vim doloris,
fac, ut tecum lugeam.
Fac, ut ardeat cor meum
in amando Christum Deum,
ut sibi complaceam.
Sancta mater, istud agas,
crucifixi fige plagas
cordi meo valide.
Tui nati vulnerati,
tam dignati pro me pati
poenas mecum divide.
Fac me tecum pie flere,
crucifixo condolere,
donec ego vixero.
Juxta crucem tecum stare,
te me tibi sociare
in planctu desidero.
Virgo virginum praeclara,
mihi jam non sis amara,
fac me tecum plangere.
Fac, ut portem Christi mortem,
passionis fac consortem
et plagas recolere.
Fac me plagis vulnerari,
fac me cruce inebriari
et cruore filii.
Inflammatus et accensus
per te, Virgo, sim defensus
in die judicii.
Christe, cum sit hinc exire,
da per matrem me venire
ad palmam victoriae.
Quando corpus morietur,
fac, ut animae donetur
paradisi gloria.
Amen.
Christi Mutter stand mit Schmerzen
bei dem Kreuz und weint von Herzen,
als ihr lieber Sohn da hing.
Durch die Seele voller Trauer,
schneidend unter Todesschauer,
jetzt das Schwert des Leidens ging.
Welch ein Schmerz der Auserkornen,
da sie sah den Eingebornen,
wie er mit dem Tode rang.
Angst und Jammer, Qual und Bangen,
alles Leid hielt sie umfangen,
das nur je ein Herz durchdrang.
Ist ein Mensch auf aller Erden,
der nicht muss erweichet werden,
wenn er Christi Mutter denkt,
wie sie, ganz von Weh zerschlagen,
bleich da steht, ohn alles Klagen,
nur ins Leid des Sohns versenkt?
Ach, für seiner Brüder Schulden
sah sie ihn die Marter dulden,
Geißeln, Dornen, Spott und Hohn;
sah ihn trostlos und verlassen
an dem blutgen Kreuz erblassen,
ihren lieben einzgen Sohn.
O du Mutter, Brunn der Liebe,
mich erfüll mit gleichem Triebe,
dass ich fühl die Schmerzen dein;
dass mein Herz, im Leid entzündet,
sich mit deiner Lieb verbindet,
um zu lieben Gott allein.
Drücke deines Sohnes Wunden,
so wie du sie selbst empfunden,
heilge Mutter, in mein Herz!
Dass ich weiß, was ich verschuldet,
was dein Sohn für mich erduldet,
gib mir Teil an seinem Schmerz!
Lass mich wahrhaft mit dir weinen,
mich mit Christi Leid vereinen,
so lang mir das Leben währt!
An dem Kreuz mit dir zu stehen,
unverwandt hinaufzusehen,
ist’s, wonach mein Herz begehrt.
O du Jungfrau der Jungfrauen,
woll auf mich in Liebe schauen,
dass ich teile deinen Schmerz,
dass ich Christi Tod und Leiden,
Marter, Angst und bittres Scheiden
fühle wie dein Mutterherz!
Alle Wunden, ihm geschlagen,
Schmach und Kreuz mit ihm zu tragen,
das sei fortan mein Gewinn!
Dass mein Herz, von Lieb entzündet,
Gnade im Gerichte findet,
sei du meine Schützerin!
Christus, wenn es gilt von hier zu gehen,
mach, dass über die Mutter ich gelange
zum Zweig des Sieges,
wenn der Leib sterben wird,
mach, dass der Seele gegeben werde
des Paradieses Herrlichkeit.
Amen.
Francis Poulenc – Quatre motets pour un temps de pénitence
1. Timor et tremor venerunt super me, et caligo cecidit super me. Miserere mei, Domine, quoniam in te confidit anima mea. Exaudi, Deus, deprecationem meam, quia refugium meum es tu et adiutor fortis. Domine, invocavi te, non confundar. (Psalmen 55 und 31)
2. Vinea mea electa ego te plantavi: quomodo conversa es in amaritudinem, ut me crucifigeres et Barrabam dimitteres.
Sepivi te et lapides elegi ex te et aedificavi turrim. (Jeremia, 2,21)
3. Tenebrae factae sunt dum crucifixissent Jesum Judaei, et circa horam nonam exclamavit Jesus voce magna: Deus meus, ut quid me dereliquisti? Et inclinato capite emisit spiritum.
Exclamans Jesus voce magna ait: Pater, in manus tuas commendo spiritum meum. (Matthäus 27,45/46; Markus 15,34; Johannes 19,30. Versus: Lukas 23,46)
4. Tristis est anima mea usque ad mortem: sustinete hic et vigilate mecum, nunc videbitis turbam quae circumdabit me. Vos fugam capietis, et ego vadam immolari pro vobis.
Ecce, appropinquat hora et Filius hominis tradetur in manus peccatorum. (Matthäus 26,38/56 Versus: Matthäus 41)
1. Furcht und Zittern kamen über mich und Finsternis überfiel mich, erbarme dich meiner, Herr, erbarme dich meiner, denn meine Seele vertraut auf dich. Gott, erhöre mein Flehen, denn du bist meine Zuflucht und mein starker Helfer. O Herr, ich rufe dich an und werde nicht verderben.
2. Mein erwählter Weinstock, ich habe dich gepflanzt: Warum bist du bitter geworden, dass du mich kreuzigst und Barrabas loslässt?
Ich umfriedete dich und entfernte die Steine aus dir und erbaute einen Turm.
3. Finsternis brach ein, als die Juden Jesum kreuzigten. Und in der neunten Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und neigte das Haupt und gab den Geist auf.
Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.
4. Meine Seele ist betrübt bis an den Tod, wartet hier und wachet mit mir: dann werdet ihr die Schar sehen, die mich umzingelt. Ihr werdet die Flucht ergreifen, und ich werde für Euch geopfert werden.
Sehet, die Stunde ist nahe und der Menschensohn wird in die Hände der Sünder überantwortet.
Henry Purcell – Hear My Prayer, o Lord
Text: Psalm 102,1
Hear my prayer, o Lord, and let my crying come unto thee.
Herr, höre mein Gebet und lass mein Schreien zu dir kommen.
Antonio Lotti – Crucifixus
Text: aus dem Glaubensbekenntnis der katholischen Messe
Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato, passus et sepultus est.
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden.
James MacMillan – Miserere
Text: Psalm 51 (50), 3–21
Miserere mei, Deus, secundum magnam misericordiam tuam; et secundum multitudinem miserationum tuarum, dele iniquitatem meam. Amplius lava me ab iniquitate mea, et a peccato meo munda me. Quoniam iniquitatem meam ego cognosco, et peccatum meum contra me est semper. Tibi soli peccavi, et malum coram te feci; ut justificeris in sermonibus tuis, et vincas cum judicaris. Ecce enim in iniquitatibus conceptus sum, et in peccatis concepit me mater mea. Ecce enim veritatem dilexisti; incerta et occulta sapientiae tuae manifestasti mihi. Asperges me hyssopo, et mundabor; lavabis me, et super nivem dealbabor. Auditui meo dabis gaudium et laetitiam, et exsultabunt ossa humiliata. Averte faciem tuam a peccatis meis, et omnes iniquitates meas dele. Cor mundum crea in me, Deus; et spiritum rectum innova in visceribus meis. Ne projicias me a facie tua, et spiritum sanctum tuum ne auferas a me. Redde mihi laetitiam salutaris tui, et spiritu principali confirma me. Docebo iniquos vias tuas, et impii ad te convertentur. Libera me de sanguinibus, Deus, Deus salutis meae, et exsultabit lingua mea justitiam tuam. Domine, labia mea aperies, et os meum annuntiabit laudem tuam. Quoniam si voluisses sacrificium, dedissem utique; holocaustis non delectaberis. Sacrificium Deo spiritus contribulatus; cor contritum et humiliatum, Deus, non despicies. Benigne fac, Domine, in bona voluntate tua Sion, ut aedificentur muri Jerusalem. Tunc acceptabis sacrificium justitiae, oblationes et holocausta; tunc imponent super altare tuum vitulos.
Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde; denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir. An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan, auf dass du recht behaltest in deinen Worten und rein dastehst, wenn du richtest. Siehe, in Schuld bin ich geboren, und meine Mutter hat mich in Sünde empfangen. Siehe, du liebst Wahrheit, die im Verborgenen liegt, und im Geheimen tust du mir Weisheit kund. Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde; wasche mich, dass ich weißer werde als Schnee. Lass mich hören Freude und Wonne, dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden, und tilge alle meine Missetat. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus. Ich will die Übertreter deine Wege lehren, dass sich die Sünder zu dir bekehren. Errette mich von Blutschuld, Gott, der du mein Gott und Heiland bist, dass meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme. Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige. Denn Schlachtopfer willst du nicht, ich wollte sie dir sonst geben, und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. Tue wohl an Zion nach deiner Gnade, baue die Mauern zu Jerusalem. Dann werden dir gefallen rechte Opfer, Brandopfer und Ganzopfer; dann wird man Stiere auf deinem Altar opfern.
John Tavener – Svyati
(gesungen in Kirchenslawisch)
Heiliger Herr, heilig und mächtig, heilig und unsterblich, erbarme dich unser!