Bavarian Highlands
Konzerteinführung: 19 Uhr mit Howard Arman
Moderation: Maximilian Maier
Programm
Traditionelle Viergesänge
sowie
Viergesang: Und ’s Diandl is lustig
I. The Dance (Tanz. Sonnenbichl)
Viergesang: Bin nacht’n spat außeganga
II. False Love (Falsche Liebe. Wamberg)
Viergesang: Büabale, liabale du
III. Lullaby (Wiegenlied. In Hammersbach)
Viergesang: Im Wald is so staad
IV. Aspiration (Sehnen. Bei Sankt Anton)
Viergesang: Und i woaß a schöne Glockn
V. On the Alm (Wahre Liebe. Auf der Alm)
Viergesang: Das Jagn, das is ja mei Lebn
VI. The Marksmen (Die Schützen. Bei Murnau)
I. Time
II. Concord
III. Time and Concord
IV. Country Girls
V. Rustics and Fishermen
VI. Final Dance of Homage
Nr. 5: Irish Tune from County Derry für gemischten Chor a cappella
Nr. 18: There Was a Pig Went Out to Dig für Frauenchor a cappella
Nr. 7: Brigg Fair für Tenor und gemischten Chor a cappella, Tenor: Q-Won Han
Nr. 8: I’m Seventeen Come Sunday für gemischten Chor und Klavier
Nr. 22: Country Gardens für Klavier vierhändig
Nr. 33: The Lost Lady Found für gemischten Chor und Klavier
Mitwirkende
Einst entdeckten Komponisten überall in Europa ihre eigenen Volksmusiktraditionen. Man fuhr aufs Land, hörte zu, staunte und notierte – und kombinierte alsbald Volkstümliches und eigene Kompositionen. Howard Arman hat zum Saisonauftakt einiges davon aus seiner Heimat zusammengetragen. Entdecken Sie Percy Graingers Folk-Music-Adaptionen, Michael Tippetts sprachvirtuoses Irish Tune, Brittens farbenfrohes Maskenspiel mit Göttern, Landmädchen und Bauernburschen sowie dessen Vertonung der tragischen Story von einer Lady und ihrem Lover.
Zum Auftakt des Abends erklingt ein echtes Kuriosum: Edward Elgars From the Bavarian Highlands, entstanden nach Elgars Garmischer Sommerfrische auf schnadahüpflnde Verse seiner Frau Alice. Come on and sing Duljöh!
Werkeinführungen
Ein musikalisches Tagebuch
Mr. und Mrs. Elgar in der Garmischer Sommerfrische
Von Theresa Awiszus
»Sie wollen mich nicht und haben mich nie gewollt«, mit diesen Worten beschrieb Edward Elgar die Beziehung zwischen ihm und seinen englischen Landsleuten. Trotz zahlreicher Ehrungen und Auszeichnungen schien er beständig das Gefühl verspürt zu haben, den Briten nicht zu genügen. Elgar war der Sohn eines einfachen Ladenbesitzers, musikalischer Autodidakt, katholisch und wurde 1884 von seiner Verlobten Helen Weaver verlassen – kein einfaches Los im protestantischen, spätviktorianischen Großbritannien. Dass er eines Tages der bekannteste englische Komponist zwischen Purcell und Britten werden sollte, hätte er sicherlich nicht für möglich gehalten. Entscheidende Impulse für seine musikalische Entwicklung gingen dabei von seiner ehemaligen Klavierschülerin Caroline Alice Robertson aus, einer hochgebildeten, aus gutem Hause stammenden Lyrikerin, die er allen Widerständen zum Trotz 1889 zur Frau nahm. Sie hatte nie an seinen Fähigkeiten gezweifelt und ermutigte ihn fortwährend, sich dem Komponieren hinzugeben. Alice war der Quell seines Schaffens, und mit ihrem Tod im Jahr 1920 versiegte dieser wieder. Beide verband die Liebe zur Literatur und die Begeisterung für die Musik von Richard Wagner. Schon bald nach ihrer Hochzeit reisten sie nach Deutschland, um dort einige Aufführungen seiner Werke zu erleben. Sie besuchten Bayreuth und München, aber auch kleinere Orte am Fuß der Alpen, wo es den Elgars besonders gut gefiel. Die malerische Landschaft vor den imposant aufragenden Felsmassiven erinnerte den Komponisten, der sich zeitlebens als ein »Mann vom Lande« bezeichnete und die Abgeschiedenheit liebte, wohl an bergige Regionen seiner Heimat.
1893 verbrachten Edward und Alice ihren Sommerurlaub zum ersten Mal in Garmisch in einer gemütlichen Pension, die seit 1889 von dem englischen Ehepaar Slingsby Bethell betrieben und später um die »Villa Bader« auf dem nebenliegenden Anwesen erweitert wurde. »Unseren Inbegriff von Ruhe und Frieden fanden wir abends unten auf der Veranda der Villa Bader; etwa eine Meile entfernt vor uns ragte der längliche Gebirgsrücken des Wettersteins mit dem steilen Waxenstein an seinem westlichen Ende auf, der das geheimnisvolle Höllental in sich birgt«, schilderte Elgar seine Eindrücke. Überwältigt von diesem zauberhaften Ort buchte das Ehepaar schon bei seiner Abreise den Urlaub für das folgende Jahr. Diese sommerlichen Auszeiten brachten die Seele des empfindsamen Komponisten wieder ins Gleichgewicht und gaben seiner Kreativität neuen Aufschwung. In der zudem stark katholisch geprägten Region konnte er frei von allen Zwängen und Erwartungen des englischen Soziallebens einfach nur sein – und komponieren. Angeregt durch die Schönheit der Landschaft, die Religion, die Wirtshäuser und Feste mit traditioneller Musik und Tanz verfasste Elgars Frau im Sommer 1894 sechs Gedichte über die Lieblingsorte und Erlebnisse der Urlaube im bayerischen Alpenvorland: »Words from Bavarian Volkslieder and Schnadahupfler adapted by C. Alice Elgar«, heißt es da in der Partitur. Die Idee zur Imitation dieser gereimten vierzeiligen, meist improvisierten und auf eine einfache, bekannte Melodie gesungenen »Schnadahupfler« erhielt Alice wohl unter anderem im Wirtshaus des Nachbarortes. Elgar war verzückt von diesem Einfall seiner Frau und beschloss, ihre Gedichte in Musik zu setzen. In liebevoller und unermüdlicher Zusammenarbeit entstanden schließlich zwischen Herbst 1894 und April 1895 die sechs »Szenen aus dem bayerischen Hochland«, die sich wie ein musikalisches Tagebuch lesen lassen. Zunächst für Chor und Klavier konzipiert, fertigte Elgar später auch Orchesterfassungen an.
Das erste Lied »The Dance« gibt im beschwingten Dreiertakt die ausgelassene Stimmung in einer urigen Gaststätte in Sonnenbichl wider, in der getrunken und getanzt wird – dabei hatte es den Elgars vor allem der Schuhplattler angetan. Ein sanfter Mittelteil beschreibt die Gastfreundschaft und die Menschen verbindende Kraft von Musik und Tanz, bevor es schwungvoll in die nächste Runde mündet. Doch auf dem Lande geht es nicht immer nur fröhlich zu: In False Love muss ein junger Bursche schmerzlich die Untreue seiner Liebsten erfahren, weshalb er sich in den Wald zurückzieht, um dem Spott der anderen zu entgehen. Mit ihrem ruhigen, fließenden und etwas melancholischen Charakter steht diese Szene im starken Kontrast zu der vorherigen. Im darauffolgenden »Lullaby« singt eine Mutter ihren Sohn mit einer lieblichen Melodie in den Schlaf, während aus der Ferne zarte Zitherklänge eines Dorffestes herüberwehen. Auch abseits der dörflichen Idylle erlebten die Elgars sehr innige Momente, wie etwa den Anblick der schneebedeckten Kirche St. Anton bei Partenkirchen. Ergriffen von diesem stillen Frieden und der Güte Gottes preisen Alice und Edward in »Aspiration« mit Worten und andächtiger Musik den Schöpfer alles Irdischen. In der fünften Szene, »On the Alm«, in der ein junger Mann voller Vorfreude durch die herrliche Natur auf die Alm zu seinem Mädchen wandert, kommen hauptsächlich die Männer in einem vierstimmigen Satz zu Wort – die Frauen kommentieren das Geschehen mit schwärmerischen Vokalisen, bevor sie in der letzten Strophe schließlich euphorisch mit einstimmen. Zuletzt hinterließ der traditionelle Jagdsport wohl einen bleibenden Eindruck bei den Elgars: »The Marksmen« handelt von einer Jägerversammlung, von Treffern und Triumphgefühlen, was der Komponist in einer zunächst homophon, akzentuierten und im weiteren Verlauf sprudelnden Musik mit fugenartigen Einsätzen und treibenden Rhythmen sowie einer hymnischen Schlusssteigerung umzusetzen wusste.
Die Uraufführung der »Bavarian Highlands« 1896 im englischen Worcester war ein voller Erfolg. Und obwohl heutzutage vor allem Elgars symphonische Kompositionen hochgeschätzt sind, so waren es doch seine Chorwerke, die ihm damals Tür und Tor in die Musikwelt öffneten.
Sphärenmusik
William H. Harris’ doppelchörige Motette »Faire Is the Heaven«
Von Anna Vogt
Für gläubige Christen ist der Himmel ein idyllischer, wenn auch unbestimmter Ort: ein Friedensversprechen. Denn im himmlischen Jenseits, so die Vorstellung, erwarte den Menschen die Erlösung nach dem irdischen Leben, ohne Qual und Leid, körperlos und selig. Der Himmel ist dort, »where happy soules have place« (»wo glückliche Seelen ihren Platz finden«), schrieb der Poet Edmund Spenser (1552–1599) in seiner »Hymn of Heavenly Beautie«. Aus seinen Versen wählte William Harris 1925 einige Zeilen für seine doppelchörige Motette »Faire Is the Heaven« aus. Dass diese Musik im 20. Jahrhundert entstand, mag manchen Hörer überraschen. Denn Harris, der vor allem für seine anglikanische Kirchenmusik und als einflussreicher Chorleiter bekannt ist, bezog sich in dieser Komposition vor allem auf die kunstvolle, geistliche Chortradition der Renaissance.
»Faire Is the Heaven« scheint für einen Kirchenraum mit langem Nachhall konzipiert zu sein: Anfangs wechseln sich die beiden blockhaft gegeneinander gesetzten Chöre in getragenem Tempo mit den Versen ab – erhaben und fast schon mystisch. In einem bewegten Mittelteil fächern sich die Chöre in kunstvoll-polyphonen Stimmverbindungen auf, wenn die Cherubim, Engel mit goldenen Flügeln, und die Seraphim, aus deren Gesichtern feuriges Licht strahlt, besungen werden. Doch am Ende finden sich alle zur zentralen und letztlich unbeantwortbaren Frage zusammen: Wie könnte man die unendliche Perfektion des Himmels mit Worten beschreiben? Harris versucht es nicht mit Worten, seine Sprache sind Klänge, mit denen er Assoziationen an den Himmel weckt.
Vielleicht aber wurde er dazu auch von der auf die griechische Antike zurückgehenden Vorstellung einer Sphären- oder Himmelsmusik inspiriert: Die Himmelskörper, so meinte etwa Pythagoras, drehten sich um ein großes Feuer. Dabei entstünden Klänge, die in ihrer überirdisch schönen Harmonie für Menschen kaum zu hören seien. Im Mittelalter hielt man dann die Himmelssphären für durchsichtige Schichten, die um die Erde kreisten und dabei Musik erzeugten. Nicht nur die sich sanft verschiebenden Kombinationen der Stimmen scheinen in Harris’ Musik an dieses Bild zu erinnern, sondern ebenso der subtile Wechsel von Dur- und Mollpassagen, die wie Licht- und Schattenfelder ineinanderfließen. Nur kleine dissonante Schwebungen sorgen für wohlige »Störungen« in dieser klaren und reinen Welt der Harmonien.
Klingende Gaben
Brittens Chortänze aus einer fast vergessenen Oper
Von Anna Vogt
Benjamin Britten hat einige erfolgreiche Opern komponiert, etwa »Peter Grimes«, ebenso »Billy Budd«. Die dreiaktige Oper »Gloriana« von 1953 nach einem Libretto von William Plomer gehört nicht dazu. Sie wurde als offizieller Bestandteil der Krönungsfeierlichkeiten von Königin Elizabeth II. im Royal Opera House in London uraufgeführt. Gloriana war der Spitzname von Queen Elizabeth I., den der Poet Edmund Spenser der Königin in seinem berühmten Gedicht »The Faerie Queene« im 16. Jahrhundert gegeben hatte. In Brittens Oper wird Queen Elizabeth I. nicht nur positiv charakterisiert, sondern ebenso als eitel und oberflächlich. Es ist eine jener moralisch und psychologisch vielschichtigen Figuren, die typisch sind für Brittens Musikdramen. Dennoch könnte gerade die ambivalente Darstellung einer Königin der Grund dafür gewesen sein, dass die Oper schon bei der Uraufführung verhalten aufgenommen wurde, vielleicht gab es aber auch künstlerische Gründe dafür. Mehr Aufmerksamkeit erhielten die »Symphonische Suite« und die »Choral Dances«, die Britten für das Konzertpodium aus der Oper zusammengestellt hatte.
Die gesungenen Tänze stammen aus der Eröffnungsszene des Zweiten Akts, in der Queen Elizabeth I. zu Besuch in Norwich ist. Von den Stadtbewohnern wird sie im Zunfthaus mit einer Maskerade unterhalten. Bei den A-cappella-Gesängen treten Tänzer auf, die Allegorien verkörpern: zunächst den Halbgott Time (Die Zeit), eine von Britten als »kraftvoll und unbekümmert« beschriebene Frohnatur, deren Strahlkraft durch die Tonart C-Dur unterstrichen wird. Es folgt seine Gattin Concord (Die Eintracht), die passenderweise mit einem Lied nur aus wohlklingenden Konsonanzen begleitet wird. Beide Figuren wurden von William Plomer mit einer pseudo-elisabethanischen Sprache charakterisiert: eine Reverenz an das 17. Jahrhundert, in dem die Oper spielt. In der anschließenden Szene tanzen die beiden miteinander und verbinden ihre Stimmen spielerisch in einer Art Kanon. Landmädchen präsentieren Früchte und Blumen mit einer volksliedhaften Melodie, bevor junge Bauern und Fischer sie mit einem Gesang ablösen, der an stilisierte Straßenrufe erinnert. In dem abschließenden »Dance of Homage« ehren alle noch einmal gemeinsam den berühmten Gast. Mit rührender Demut duettieren Soprane und Tenöre in zärtlichen Weisen: eine Utopie des respektvollen und fröhlichen Miteinanders der elisabethanischen Untertanen in einer längst vergangenen Zeit.
Verhängnisvolle Liebesnacht
Zu Benjamin Brittens »Ballad of Little Musgrave and Lady Barnard«
Von Anna Vogt
Im November 1943 vertonte Benjamin Britten eine schaurige Ballade für seinen Bekannten Richard Wood, der zu dieser Zeit als Kriegsgefangener im bayerischen Eichstätt interniert war. Wood leitete in dem in einer Kaserne eingerichteten Speziallager für englische, belgische und französische Offiziere einen kleinen Männerchor und führte mit diesem im Februar 1944 Brittens »Ballad of Little Musgrave and Lady Barnard« auf. Die Noten dazu wurden ihm auf Mikrofilm per Brief zugesandt. Der Text zu diesem Miniaturdrama über Liebe, Betrug, Verrat und Mord stammt aus dem »Oxford Book of Ballads«: Little Musgrave verliebt sich in der Kirche in Lord Barnards Frau. Sie lädt ihn ein, die Nacht mit ihr zu verbringen, weil ihr Gatte verreist sei. Doch der Page der Lady verrät die Liebenden an Lord Barnard, der mit seinen Getreuen eiligst nach Hause reitet und das Liebespaar in flagranti ertappt. Im anschließenden Duell wird der Lord zwar verletzt, tötet aber schließlich nicht nur seinen Rivalen, sondern auch seine Frau. Doch den zweifachen Mörder Lord Barnard überkommt Reue, und er lässt beide Leichname in einem gemeinsamen Grab bestatten: So sind die Unglücklichen zumindest im Tod vereint.
Britten nutzte bei der Komposition die musikdramatischen Mittel, die er in seinen Bühnenmusiken der 1930er Jahre und in seinem Opernerstling »Paul Bunyan« intensiv erprobt hatte – jedoch reduziert auf die Essenz. Mit unschuldig hingetupften, doch merkwürdig hohlen Klavierakkorden entsteht schon im kurzen Vorspiel eine unheilvolle Atmosphäre, bevor das Drama schnell seinen Lauf nimmt. Die frisch entflammte Liebe zwischen Little Musgrave und Lady Barnard entlädt sich in einem plötzlichen, dreistimmigen Forte-Ausbruch: »I’ve loved thee«. Der »little tiny page« wird mit leisen Staccato-Schrittchen beim Spionieren skizziert, bevor er den Verrat – wie eine Fanfare – vorwurfsvoll herausposaunt. Der Mittelteil der Ballade ist vom bedrohlichen Jagdhorn-Rhythmus geprägt, der den Racheritt des Lords nach Hause begleitet. Szenenwechsel: Little Musgrave, im Bett mit Lady Barnard, hört wie in einem bösen Traum die Hornrufe, die das Klavier subtil aufgegriffen hat. Doch die Lady umhüllt ihren Liebsten sorglos mit einer Dolcissimo-Linie, die ihn das Unheil vergessen lässt. Nun ist es zu spät zur Flucht, und das blutige Ende der Geschichte ist besiegelt. Nach den vielen, fast ein wenig slapstickhaften Momenten, mit denen Britten in seiner Vertonung dieser grotesken Geschichte spielt, kommt am Ende eine unerwartet menschliche Komponente ins Spiel. Denn der zweifache Mörder Lord Barnard wird in seiner Reue mit nachdenklichen, traurigen Lamentoso-Klängen gezeichnet – verdienen auch Verbrecher Mitleid?
Nonsense aus Irland
Michael Tippetts Irland-Hommage »Lilliburlero«
Von Anna Vogt
Großbritannien ist mehr als nur ein Land, es vereint vier Kulturen mit eigenständigen Traditionen: Genau das machte Sir Michael Tippett 1956 in einem kleinen Chorzyklus zum Thema. In seinen »Four Songs from the British Isles« schuf er klingende Hommagen an England, Irland, Schottland und Wales. Der zweite dieser Songs, Irland gewidmet, trägt den Untertitel »Lilliburlero« und bezieht sich damit auf ein altes irisches Volkslied. Denn Lilliburleros (auch Lillibullero oder Lily Bolero) finden sich in Irland seit dem frühen 17. Jahrhundert. Zu ihrer ausgelassenen Melodie wurde oft auch getanzt; als irischer »jig« spielt diese Tanzmusik in der Folk Music seither eine wichtige Rolle. Parallel dazu machte dieser Song im Verlauf der Jahrhunderte eine »Karriere« als musikalische Satire, denn oft wurde die charakteristische Melodie mit Texten versehen, die das Königshaus oder das politische Tagesgeschehen aufs Korn nehmen. Bekannt geworden ist die Melodie des »Lilliburlero« in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts außerdem als Erkennungsmelodie des BBC World Service.
Der Lilliburlero ist meist in einem raschen 6/8-Takt notiert, den auch Tippett in seiner Komposition aufgriff. Immer wieder lässt er diesen mit 9/8-Takten abwechseln und baut dadurch rhythmische Stolpersteine ein. Die Worte für Tippetts »Lilliburlero« stammen vermutlich aus einer Parodie aus dem 17. Jahrhundert, die den Lord Deputy of Ireland ins Visier nimmt. Zum Teil scheint die Lautfolge des Textes unsinnig, ergeben doch Silben wie »lalala« – wie auch schon der Titel »Lilliburlero« selbst – im Englischen keinen Sinn. Damit griff Tippett eine alte Tradition der Volksmusik auf, die im Übrigen länderübergreifend ist, schließlich finden sich auch im Deutschen in Volksliedern oft Passagen mit »tralala« als Ausdruck reinster Lebensfreude. Tippett nannte sein »Lilliburlero« ein »rollicking and vigouros scherzo«, ein »ausgelassenes und energisches Scherzo«. Die Musik ist mit schnellen Notenwerten gespickt, die oft »staccatissimo« gesungen werden sollen, wie Tippett anmerkte. So verbinden sich in diesem »Lilliburlero« die Lust am Singen und Tanzen mit ein paar frechen Seitenhieben auf den Deputy, ohne dass jedes Wort auf die poetische Waagschale gelegt werden müsste. Dieses rasante Nonsense-Stück bildet in Tippetts Schaffen einen interessanten Kontrast zu seinem wohl berühmtesten Werk, dem Oratorium »A Child of Our Time«, in dem Tippett am Ende des Zweiten Weltkriegs die katastrophalen Ereignisse seiner Zeit verarbeitete.
»Im Lincolnshire-Mundart zu singen – wenn möglich«
Alte Lieder in neuen Farben von Percy Aldridge Grainger
Von Anna Vogt
Der Australier Percy Aldridge Grainger studierte am Konservatorium in Frankfurt am Main und entwickelte sich schon früh zu einem wahren Weltbürger: Als Konzertpianist tourte er durch Europa, schloss Freundschaft mit wichtigen Musikerpersönlichkeiten wie Edvard Grieg und zog, als der Erste Weltkrieg ausbrach, in die USA, wo er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Bekannt wurde er vor allem mit Bearbeitungen von englischen Volksliedern, die er durch seine Arrangements in neuen, modernen Farben zeigte. Grainger sammelte über 500 solcher Folk Songs, sie dienten ihm als Basis für die »British Folk-Music Settings«, aus denen heute sechs ausgewählte Nummern erklingen.
»Irish Tune from County Derry« (1902) ist eine melancholische Hymne, in der sich auf Vokale gesungene und gesummte Passagen abwechseln, so dass vor allem der pure Stimmklang in Szene gesetzt wird. »There Was a Pig Went Out to Dig« (1905), ein ungewöhnliches Weihnachtslied, zelebriert das rasante Wechselspiel von immer neuen Reimen und dem verbindenden »Chrisimas Day«. Der tänzerische, zugleich auch etwas atemlose 6/8-Takt und die Moll-Tonalität des Liedes stehen dabei in einem eigentümlichen atmosphärischen Kontrast zueinander. Den Song mit der Eingangszeile »It was on the fifth of August« nahm Grainger 1907 bei einem Fest im kleinen Örtchen Brigg auf und arrangierte später das Lied für Tenor und vierstimmigen Chor unter dem Titel »Brigg Fair«. Dabei ergänzte er die zwei Strophen aus dem Original um drei weitere aus anderen Liedern, die um den Wert der wahren Liebe und der Treue kreisen. Die berühmte Melodie zu »I’m Seventeen Come Sunday« (1905) verarbeitete neben Grainger auch sein guter Freund Ralph Vaughan Williams in der English Folk Song Suite. Dieses Lied handelt von der Schönheit einer »pretty fair maid« kurz vor ihrem 17. Geburtstag, die sich gern auf die Avancen ihres Verehrers einlässt. In »The Lost Lady Found« (1910) wird eine einzige Melodie in immer neuen Kreisen intensiviert: ein typischer »dance song«, wie Grainger das Stück selbst beschrieb. Ergänzt werden die Chorstücke von Graingers »Country Gardens« (1928), einem seiner berühmtesten Stücke, in einer Fassung für Klavier zu vier Händen. Die Melodie geht zurück auf einen der englischen »Morris Dance Tunes«, die traditionell von schellenbehangenen Tänzern aufgeführt werden. Die Ausgelassenheit solcher Dorftänze, die heute noch gelegentlich in England zu erleben sind, spürt man in Graingers Arrangement. Zugleich erinnern die wilden Rhythmen und Sprünge der vier Hände am Klavier auch an einen Ragtime aus Graingers zweiter Heimat Amerika.
Percy Grainger – British Folk-Music Settings
Nr. 5 Irish Tune from County Derry
Vorlage/Entstehungszeit: im Oktober 1902 für Chor gesetzt nach »The Petrie Collection of the Ancient Music of Ireland« von 1855, welche sich auf eine Niederschrift von Miss J. Ross aus Limavady stützt.
Nr. 18 There Was a Pig Went Out to Dig
Vorlage/Entstehungszeit: im Mai 1905 für Chor gesetzt nach Miss M.H. Manson’s »Nursery Rhymes and Country Songs« von 1877
Nr. 7 Brigg Fair
Vorlage/Entstehungszeit: für Chor und Tenor-Solo gesetzt nach Graingers Niederschrift eines mündlichen Vortrags von Mister Joseph Taylor und Mister Deene im April 1905 in Brigg
Nr. 8 I’m Seventeen Come Sunday
Vorlage/Entstehungszeit: für Chor und Klavier Weihnachten 1905 gesetzt nach Graingers Niederschrift eines mündlichen Vortrags von Mister Fred Atkinson im September 1905 in Redbourne; zweiter Teil nach der Niederschrift von Cecil J. Sharp aus dem »Journal of the Folksong Society«; »to be sung with a Lincolnshire Lindsey accent, if possible«.
Nr. 22 Country Gardens
Vorlage/Entstehungszeit: Fassung für Klavier vierhändig aus dem Jahr 1932 nach einer Weise aus den »Morris Dance Tunes«, herausgegeben von 1910 bis 1913 von Cecil J. Sharp.
Nr. 33 The Lost Lady Found
Vorlage/Entstehungszeit: für Chor und Klavier Ende 1910 gesetzt nach der Niederschrift von Miss Lucy E. Broadwood, die Gesang ihrer aus Lincolnshire stammenden Amme Mrs. Hill notiert hat.
Interpreten
Der Pianist und Organist Max Hanft ist dem Chor des Bayerischen Rundfunks seit vielen Jahren verbunden. Als Korrepetitor begleitet er das Ensemble seit 1997 bei der täglichen Probenarbeit. Aber schon immer war eine musikalische Vorliebe des diplomierten A-Kirchenmusikers die Klavierbegleitung. Außer in der Liedklasse an der Münchner Musikhochschule eignete er sich seine profunden Kenntnisse auf diesem Gebiet in verschiedenen Interpretationskursen, u. a. bei Gundula Janowitz, an. Einen zweiten Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeit bildet die Orgelmusik, wobei sich Max Hanft bevorzugt mit der Orgelliteratur aus der Zeit bis Johann Sebastian Bach beschäftigt. Seit 1999 ist er Kirchenmusiker an St. Nikolaus in Neuried bei München. Als Continuo-Spieler und als Solist engagiert er sich regelmäßig in Konzerten mit den beiden Orchestern des Senders sowie mit renommierten Gastorchestern und dem BR-Chor, so etwa im Dezember des vergangenen Jahres in Bachs »Weihnachtsoratorium«.
Der Ammertaler Viergsang hat sich für dieses Konzert neu formiert aus zwei Mitgliedern des BR-Chores, Gabriele Weinfurter und Nikolaus Pfannkuch, die beide seit ihrer Kindheit in Volksmusikgruppen singen. Hinzu treten Maria Buchwieser und Markus Zwink, die beide in Oberammergau leben und sich ebenfalls in bayrischen Gesangsgruppen engagieren. Der Name des Ensembles verweist auf den gemeinsamen Bezug aller vier Musiker zum Ammertal.