Mariss Jansons dirigiert Bruckner – Messe in f-Moll
Konzerteinführung: 18.45 Uhr mit Ilker Arcayürek
Moderation: Johann Jahn
Konzerteinführung: 18.45 Uhr mit Ilker Arcayürek
Moderation: Johann Jahn
Programm
Mitwirkende
Werkeinführungen
Abschied und Verklärung
Von Nicole Restle
Richard Strauss
* 11. Juni 1864 in München
+ 8. September 1949 in Garmisch
Vier letzte Lieder
Entstehungszeit: 1948
Uraufführung: 22. Mai 1950 in London
mit dem Philharmonia Orchestra unter der Leitung von
Wilhelm Furtwängler und Kirsten Flagstad als Solistin
Die Vier letzten Lieder von Richard Strauss setzen in zweifacher Hinsicht einen Schlusspunkt: Sie markieren nicht nur das Ende eines produktiven, erfüllten Komponistenlebens, sondern auch das einer ganzen musikalischen Epoche. Als Richard Strauss zu komponieren begann, waren Richard Wagner und Johannes Brahms die Leitgestirne des deutschen Musiklebens. Am Ende seines Lebens gab es die musikalische Welt, in die Strauss hineingewachsen war und deren Tradition er fortgeführt hatte, nicht mehr. Nicht allein, dass die Musiksprache der Romantik von der jungen Komponistengeneration als unzeitgemäß und überholt empfunden wurde, sie galt, nachdem sie von den Machthabern des nationalsozialistischen Regimes missbraucht worden war, als »politisch unkorrekt«. Die junge Musikavantgarde wollte den totalen Bruch mit der musikalischen Vergangenheit und ganz neue Wege gehen. Sie orientierte sich an den Komponisten, die während des Dritten Reichs verfemt waren, insbesondere an Arnold Schönberg und Anton Webern. Zwölftontechnik und serielle Kompositionsweisen waren unverbraucht und unbelastet und schienen daher zukunftsträchtig ebenso wie elektronisch generierte Klänge oder der Gebrauch und die Verfremdung von Alltagsgeräuschen. Am 5. Oktober 1948 stellte Pierre Schaeffer, der Begründer der so genannten »musique concrète«, sein Concert de bruits (Konzert der Geräusche) vor. Zwei Wochen zuvor hatte Richard Strauss das letzte seiner Vier letzten Lieder vollendet.
Der damals 84-jährige Strauss komponierte diese Lieder in einer für ihn sehr schwierigen Zeit. Seit Oktober 1945 lebte er mit seiner Frau Pauline in der Schweiz, um in Deutschland den Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen, die seine Einstufung als Nazi-Kollaborateur durch die amerikanische Kriegskommission mit sich gebracht hätten. Bis zu seiner Entnazifizierung im Juni 1948 waren seine Tantiemen eingefroren. Er versuchte, von der Schweiz aus Aufführungen seiner Werke zu initiieren und den Kontakt zu Konzertveranstaltern und Verlegern wiederaufzunehmen. Sohn Franz, der ihn mit seiner Gattin Alice in Montreux besuchte, erinnerte sich: »Ich habe gesehen, wie er sich quält, und habe ihm zugeredet: Papa, lass’ das Briefe- schreiben und das Grübeln, schreib’ lieber ein paar schöne Lieder. Er hat nicht geantwortet. Beim nächsten Besuch nach ein paar Monaten kam er in unser Zimmer, legte Partituren auf den Tisch und sagte zu Alice: ›Da sind die Lieder, die dein Mann bestellt hat.‹«
Als erstes der vier Lieder entstand Im Abendrot. Von diesem Gedicht Joseph von Eichendorffs fühlte sich der Komponist besonders berührt. Es beginnt mit den Worten »Wir sind durch Not und Freude gegangen Hand in Hand« und handelt von einem Paar, das nach langer Wanderung innehält und sich still und einsam der Abendstimmung hingibt – »wandermüde« zwar, aber dennoch empfänglich für die Schönheiten der sie umgebenden Natur. Strauss mag es wohl als Metapher für seinen eigenen Lebensweg mit seiner Frau Pauline empfunden haben. Die drei anderen Gedichte Frühling, Beim Schlafengehn und September, die Strauss in der angeführten Reihenfolge zwischen Juli und September 1948 vertonte, stammen von Hermann Hesse, dem Literaturnobelpreisträger von 1946. Der Titel Vier letzte Lieder sowie die heute allgemein übliche Reihenfolge Frühling, September, Beim Schlafengehn und Im Abendrot gehen übrigens nicht auf den Komponisten, sondern auf den Leiter des Verlages Boosey & Hawkes, Ernst Roth, zurück, der die Drucklegung betreute.
Abgesehen von Frühling, in dem die lang ersehnte schöne Jahreszeit zur seligen Gegenwart wird, handeln die Lieder vom Abschied. Abschied vom Tag, vom Sommer, vom Leben. Ein wenig Trauer schwingt in ihnen mit, Resignation – und Einverständnis. Strauss gelang es meisterlich, die Stimmung der Verse in seiner Musik einzufangen. Die ideale Verbindung von Wort und Ton zu finden, war ihm in seinen Opern und Liedern das wichtigste künstlerische Anliegen – ein Lebensthema. Auch diese »letzten Lieder« machen deutlich, wie eng Strauss Text und Musik miteinander verknüpft. Der Beginn von Frühling pendelt dunkel zwischen c- und as-Moll, die Erstarrung in »dämmrigen Grüften« schildernd, in denen dem Mensch nur der Traum bleibt – von Bäumen, blauen Lüften, frühlingshaften Düften und »Vogelsang«. Beim Erwähnen jener Traumbilder bricht die erstarrte Harmonik auf, der Hörer wird in neue entrückte klangliche Sphären geführt, bis er schließlich die beglückende Gegenwart des Frühlings in A-Dur auskosten kann. September ist geprägt von herabgleitenden Melodielinien der Gesangsstimme und abwärtsführenden, triolischen Dreiklangsbrechungen der Violinen als Symbol für das Herabtropfen des Regens und das Fallen der Blätter. Hinzu kommt ein Wechseltonmotiv, das sich von Anfang an durch den gesamten Instrumentalsatz zieht und das dann in variierter Form in der Singstimme das Erschauern des Sommers, das Absterben des Gartentraums beschreibt. Im folgenden Beim Schlafengehn stehen sich zwei Hauptgedanken gegenüber: die Müdigkeit am Ende des Tages und der Aufbruch, das freie Emporschwingen der Seele im Schlummer. Ein kurzes, dem Gähnen nachempfundenes Motiv, das aus den Tiefen der Celli und Kontrabässe aufsteigt, leitet das Lied ein. Weitgehend syllabisch schildert die Vokalstimme zunächst, wie sich das müde »Ich« auf die Nacht vorbereitet, um dann nach einem innigen Solo der Violine in weitausgreifenden, teilweise melismatischen Gesangsbögen den freien Flügelschlag der Seele nachzuvollziehen. Das von Hesse verwendete Bild der Seele, die ihre Flügel weit ausspannt, verweist übrigens auf ein berühmtes Gedicht von Eichendorff: die Mondnacht, die von Robert Schumann kongenial vertont wurde.
Die Orchestereinleitung zu Im Abendrot mit den unisono geführten Holzbläsern und hohen Streichern lässt eine Atmosphäre von Weite, Ruhe und ländlicher Einsamkeit entstehen. Die müden Wandernden stehen am Gipfel, zurückblickend und Ausschau haltend zugleich. Auch hier zeichnet die Musik die Dichtung genau nach. Beispiele dafür sind die aufstrebende Melodieführung der Gesangsstimme und die beiden trillernden Flöten, die ein aufsteigendes Lerchenpaar charakterisieren, sowie die harmonische Eindunkelung bei den Worten »Dass wir uns nicht verirren«. Die am Ende des Gedichtes von Eichendorff gestellte Frage »Ist dies etwa der Tod?« beantwortet Strauss im Nachspiel mit dem Zitat des Verklärungsmotivs aus seiner Symphonischen Dichtung Tod und Verklärung.
Alle vier Lieder zeichnen sich durch eine raffinierte Instrumentierung, klanglichen Wohllaut und melodische Gelöstheit aus. Bei aller Schönheit strahlen sie aber auch eine gewisse Distanziertheit und Abgeklärtheit aus, so als wären sie nicht mehr von dieser Welt. Gerade das erregte die Kritik vieler Zeitgenossen: Wie konnte man nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und nach Auschwitz nur solch weltfremde Töne finden?! Richard Strauss hat die Uraufführung seiner Lieder im Mai 1950 mit Kirsten Flagstad als Solistin und die Reaktionen darauf nicht mehr erlebt. Er starb am 8. September 1949.
Übrigens: Nach den Vier letzten Liedern vollendete der Komponist noch ein weiteres Werk, das Lied Malven. Das Originalmanuskript schenkte er der Sängerin Maria Jeritza, die es bis zu ihrem Tod 1982 in ihrem Safe aufbewahrte.
Richard Strauss: Vier letzte Lieder
Frühling
In dämmrigen Grüften
Träumte ich lang
Von deinen Bäumen und blauen Lüften, Von deinem Duft und Vogel[ge]sang.
Nun liegst du erschlossen
In Gleiß und Zier
Von Licht übergossen
Wie ein Wunder vor mir.
Du kennst mich wieder, Du lock[e]st mich zart,
Es zittert durch all meine Glieder
Deine selige Gegenwart.
Hermann Hesse, April 1899
September
Der Garten trauert,
Kühl sinkt in die Blumen der Regen. Der Sommer schauert
Still seinem Ende entgegen.
Golden tropft Blatt um Blatt
Nieder vom hohen Akazienbaum. Sommer lächelt erstaunt und matt
In den sterbenden Gartentraum.
Lange noch bei den Rosen
Bleibt er steh[e]n, sehnt sich nach Ruh. Langsam tut er die [großen]
Müdgeword[e]nen Augen zu.
Hermann Hesse, 23.9.1927
Beim Schlafengeh[e]n
Nun der Tag mich müd gemacht, Soll mein sehnliches Verlangen Freundlich die gestirnte Nacht Wie ein müdes Kind empfangen.
Hände lasst von allem Tun, Stirn vergiss du alles Denken, Alle meine Sinne nun
Wollen sich in Schlummer senken.
Und die Seele unbewacht,
Will in freien Flügen schweben, Um im Zauberkreis der Nacht
Tief und tausendfach zu leben.
Hermann Hesse, Juli 1911
Im Abendrot
Wir sind durch Not und Freude
Gegangen Hand in Hand;
Vom Wandern ruh[e]n wir [beide] Nun überm stillen Land.
Rings sich die Täler neigen, Es dunkelt schon die Luft,
Zwei Lerchen nur noch steigen
Nachträumend in den Duft.
Tritt her und lass sie schwirren, Bald ist es Schlafenszeit,
Dass wir uns nicht verirren
In dieser Einsamkeit.
O weiter, stiller Friede! So tief im Abendrot,
Wie sind wir wandermüde – Ist dies etwa der Tod?
Joseph von Eichendorff, 1837
Die eckigen Klammern geben den Wortlaut der Originalgedichte wieder.
Von Erfolgen und Misserfolgen
Von Harald Hodeige
Anton Bruckner
* 4. September 1824 in Ansfelden (Oberösterreich)
+ 11. Oktober 1896 in Wien
Messe Nr. 3 in f-Moll, op. 58
Entstehungszeit: 1867/1868
Uraufführung: 16. Juni 1872
1868 übersiedelte Anton Bruckner von Linz nach Wien, wo ihm in der Nachfolge Simon Sechters die Professur für Harmonielehre, Kontrapunkt und Orgelspiel am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde angeboten worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte der vor allem als Orgel- virtuose bekannte Komponist schon viel erreicht, war vom Schulgehilfen zum Hauptschullehrer und schließlich zum Dom- und Stadtpfarrorganisten ernannt worden und konnte – nach Ansporn zu symphonischem Schaffen durch den kunstbegeisterten Linzer Beamten Moritz von Mayfeld – auf die Erstfassung seiner Ersten Symphonie zurückblicken. Mit der Unterstützung des damaligen Hofkapellmeisters Johann Herbeck sollte Wien der Ausgangspunkt von Bruckners Aufstieg als Komponist werden – ein Vorhaben, das jedoch zum Scheitern verurteilt schien, da seine symphonischen Werke bei Publikum und Presse auf wenig Begeisterung stießen: Bruckners Zweite Symphonie, die erste, die ihre Uraufführung in Wien erlebte, wurde nach einer Durchspielprobe der Wiener Philharmoniker vom Dirigenten Otto Dessoff als »unspielbar« und »Unsinn« abgelehnt. Nicht besser erging es seiner Symphonie Nr. 3, bei deren Uraufführung große Teile des Publikums den Saal verließen und über die Eduard Hanslick in der Neuen Freien Presse schrieb, die Musik schließe mit »Wagners ›Walküre‹ Freundschaft«, um schließlich »unter die Hufe ihrer Pferde« zu geraten. Es vergingen über sechs Jahre, bevor die 1874 in erster Fassung vollendete Vierte Symphonie erstmals zur Aufführung gebracht wurde. »Alles hat seine Grenzen«, befand Johannes Brahms. »Bruckner liegt jenseits, über seine Sachen kann man nicht hin und her, kann man gar nicht reden.«
Bruckner war verzweifelt und glaubte bereits, sein Umzug von Linz nach Wien sei möglicherweise ein Fehler gewesen. In einem Brief vom 12. Januar 1875 – gerade, als er die Arbeiten am Adagio der Fünften begonnen hatte – schrieb er an Moritz von Mayfeld: »Alles ist zu spät […]. Fleißig Schulden machen, u. am Ende im Schuldenarreste die Früchte meines Fleißes genießen, und die Thorheit meines Übersiedelns nach Wien besingen, kann mein endliches Los werden.« Erst die Uraufführung der Siebten Symphonie, die Arthur Nikisch mit dem Gewandhausorchester zehn Jahre später, am 30. Dezember 1884, im Neuen Theater am Leipziger Augustusplatz aus der Taufe hob, leitete – bezeichnenderweise nicht in Österreich – Bruckners Durchbruch als Komponist ein; auch die vernichtenden Kritiken der Bruckner-feindlichen Wiener Presse anlässlich der österreichischen Erstaufführung des Werkes am 21. März 1886 konnten diese Entwicklung nicht mehr aufhalten.
Dabei war Bruckners erster größerer Auftritt in Wien am 16. Juni 1872 – der Komponist leitete in der Augustinerkirche die Uraufführung seiner Dritten Messe in f-Moll – ein beachtlicher Erfolg gewesen: Ludwig Speidel schrieb im Fremdenblatt vom 20. Juni: »Die Messe Bruckner’s ist eine Komposition, die von der Erfindungskraft und dem ungewöhnlichen Können des Komponisten das rühmlichste Zeugnis ablegt. Mit poetischem Verständnis hat er sich in die vom Meßtexte geschaffenen Situationen vertieft und seine enorme kontrapunktische Kunst macht es ihm leicht, die schwierigsten Probleme leicht zu lösen.« Eduard Kremser bemerkte am selben Tag in Das Vaterland, dass »jeder feiner fühlende Geist sich von dem Werke ergriffen fühlen wird. Es ist darin keine Spur von Schablone.« Und selbst in Hanslicks Neuer Freier Presse war am 29. Juni zu lesen: »Die Composition erregte unter den Musikfreunden Aufsehen durch ihre kunstvolle Contrapunktik und Fugenarbeit, wie durch einzelne ergreifende, eigenthümliche Schönheiten.« Bereits das erste kirchenmusikalische Werk Bruckners, das in Wien erklungen war – Johann Herbeck leitete am 10. Februar 1867 eine Aufführung der Messe d-Moll in der Wiener Hofburgkapelle –, hatte zustimmenden Beifall gefunden. Zudem brachte dieses Ereignis Bruckner einen Kompositionsauftrag des k. k. Obersthofmeisteramtes ein, für die Hofmusikkapelle eine neue Messe zu schreiben. Dies war der äußere Entstehungsanlass für die f-Moll-Messe; der innere dürfte Bruckners Überwindung einer schweren Nervenkrise gewesen sein, die sich bereits 1864 in einer – wie der Komponist es ausdrückte – ausgeprägten »Melancholie« angekündigt hatte. Zu Beginn des Folgejahres klagte Bruckner vermehrt über »schreckliches Kopfweh« und bildete zudem einen eigentümlichen Zählzwang aus: Er fing an, die Fenster an Häuserfassaden zu zählen, die Blätter an den Bäumen – immer von Neuem beginnend –, die Scheite in Holzstapeln, Sandkörner und Sterne. Vom 8. Mai bis zum 8. August 1867 unterzog er sich in Bad Kreuzen einer Kaltwasserbehandlung; der Linzer Bischof Franz Rudigier gab ihm wohlweislich einen Priester zur Pflege mit, da er befürchtete, dass Bruckner »aus der Welt gehen« wolle. Am 19. Juni 1867 schrieb der Komponist an seinen Freund Rudolf Weinwurm: »Lieber Freund! Seit meiner Abreise von Wien weißt Du Nichts von mir […]. Magst Du Dir denken o. gedacht haben – oder gehört haben was immer! – Es war nicht Faulheit! – Es war noch viel mehr!!! –; es war gänzliche Verkommenheit und Verlassenheit – gänzliche Entnervung u. Überreiztheit!!! Ich befand mich in dem schrecklichsten Zustande; Dir nur Dir gestehe ich’s – schweige doch hierüber. Noch eine kleine Spanne Zeit, und ich bin ein Opfer – bin verloren. Dr. Födinger in Linz kündigte mir den Irrsinn als mögliche Folge schon an. Gott seis gedankt; er hat mich noch errettet. Ich bin seit 8. Mai im Bade Kreuzen bei Grein. Seit einigen Wochen geht’s mir etwas besser. Darf noch gar nichts spielen, studiren o. arbeiten. Denke Dir welch’ ein Schicksal! Ich bin ein armer Kerl!«
Gegen den ärztlichen Rat begann Bruckner nach weitgehender Genesung am 14. September 1867 in Linz das Kyrie seiner f-Moll-Messe zu skizzieren, das ihm zu einem großen Dankgebet geriet: Die schlichte präludierende Intonation der Violoncelli, die wenig später vom Chor mit dem Wort »Kyrie« aufgegriffen wird – eine abwärtsgerichtete Viertonfolge –, wirkt wie eine Geste der Demut. Laut einem Eintrag auf der letzten Seite des Partiturautographs war die Komposition am 9. September 1868 abgeschlossen. Aufgrund von Schwierigkeiten bei ersten Proben im Winter 1868/1869 musste die Uraufführung jedoch verschoben werden. So fand diese erst vier Jahre später, am 16. Juni 1872, auch nicht, wie geplant, mit der Hofmusikkapelle, sondern mit dem von Bruckner selbst angemieteten Wiener Opernorchester in der Augustinerkirche statt. Wieder einige Monate später dirigierte der Komponist das Werk nun doch in der Hofburgkapelle, worauf zahlreiche weitere Aufführungen folgten. Bruckner nutzte diese, um in mehreren Korrekturphasen eine Vielzahl kleinerer Änderungen vorzunehmen. Sie betrafen vornehmlich die Orchestrierung, unterschiedliche Begleitfigurationen, den harmonischen Gehalt einzelner Orchesterpassagen, die Phrasenstruktur sowie zahlreiche Details bei den Vortragsbezeichnungen. Dass die Messe »zweischichtig« komponiert ist, d. h. Bruckner dem Vokalsatz einen gewichtigen, farbenreichen und motivisch oft eigenständigen Instrumentalpart gegenüberstellte, der für den genuin »symphonischen« Charakter des Werkes verantwortlich ist, zeigt die Tatsache, dass die Vokalstimmen von dem langwierigen Revisionsprozess nicht betroffen waren: Mit Ausnahme eines Sopran-Solos am Ende des Credo blieb der Vokalsatz völlig unberührt.
Am 23. März 1893 erklang Bruckners f-Moll-Messe unter der Leitung von Josef Schalk erstmals außerhalb des Kirchenraumes im Großen Musikvereinssaal mit dem Chor des Wiener Akademischen Wagner-Vereins und der Capelle Eduard Strauss. Was dem Publikum hier vorgesetzt wurde, hatte mit der originalen Bruckner-Partitur allerdings wenig zu tun. Vielmehr handelte es sich um eine Bearbeitung Schalks, die dieser ganz bewusst ohne Bruckners Wissen anlässlich der Aufführung angefertigt hatte. Bruckner erkannte das volle Ausmaß von Schalks Bemühungen erst, als er den Proben und dem Konzert beiwohnte; in einem Brief vom 3. März 1893 beklagte er sich bei August Göllerich, dass Schalk buchstäblich bis zur letzten Minute gewartet habe, um ihn über die bevorstehende Aufführung in Kenntnis zu setzen. An sich handelt es sich bei dem Vorgehen des Dirigenten – dem »Einrichten« eines Werkes für eine konkrete Aufführung – um eine durchaus zeittypische Vorgehensweise. Nur ging das Arrangement im Fall der f-Moll-Messe weit über das Übliche hinaus, da Schalk nicht nur die Holzbläser »auffüllte«, um nicht zu sagen »verdickte«, und in dem von ihm erweiterten Blech rhythmische Veränderungen vornahm, sondern auch die in Bruckners Musik so typischen dynamischen und agogischen Gegensätze egalisierte. Bruckner schwieg sich über Schalks Instrumentation aus – wohl auch wegen der überwiegend positiven Presse-Reaktionen. Dennoch war sie ihm nicht recht. Dies belegt die Tatsache, dass er – als er befürchtete, bei der sich im Druck befindlichen Partitur könnte ohne sein Wissen etwas geändert worden sein – Widerspruch einlegte, was zu einem »argen Zwist« mit Schalk führte. Wie berechtigt diese Befürchtungen waren, zeigt der bei Doblinger erschienene Erstdruck, in dem die Uminstrumentierung Schalks in vollem Umfang Eingang gefunden hat.
Bruckner verknüpfte die beiden ausgedehnten Allegro-Sätze der Messe – das Gloria und das Credo – motivisch und gliederte die beiden umfangreichsten Teile der Messe traditionell in mehrere Episoden unterschiedlichen Charakters. Bei der Passage, die das Mysterium der göttlichen Inkarnation durch den heiligen Geist beschreibt (»Et incarnatus est de Spirito Sancto ex Maria Virgine«), findet sich in der Partitur die Tempo- und Vortragsbezeichnung »Moderato misterioso«, wobei das Tenor-Solo duettierend von Solo-Violine und Solo-Bratsche umspielt wird. Vorbild dieser Soli mag das Violinsolo im Benedictus von Beethovens Missa solemnis gewesen sein – bereits 1872 hieß es in der Neuen Freien Presse, die f-Moll-Messe verrate »nicht nur durch ihre großen Dimensionen und schwierige Aufführbarkeit«, sondern auch durch »Styl und Auffassung« Beethovens Missa solemnis »als ihr Vorbild«.
Während auf dem Höhepunkt des Agnus Dei Chor und Orchester eine Reminiszenz an das Gloria intonieren, ist der Schlussabschnitt dieses Teils zyklisch mit dem Kyrie verbunden. Das »Dona nobis pacem« wird mit einer Dur-Variante der Kyrie-Intonation eingeleitet, bevor etwas später der Chor diese Variante mit dem Wort »dona« übernimmt. Nachdem die Friedensbitte des unbegleiteten Chores in tiefer Lage ein letztes Mal erklungen ist, ertönt in der Solo-Oboe das nach Dur gewendete Kyrie-Motiv, mit dem die Messe begonnen hat. Der Kreis schließt sich, wenn auch nicht ungetrübt, da die Oboen-Melodie von einem bedrohlich wirkenden Paukenwirbel grundiert wird. Wenn man das Werk als Bruckners Dankgebet nach der überstandenen psychischen Verstörung verstehen will, ließe sich diese letzte Unruhe als demütige Bitte um anhaltenden Seelenfrieden deuten. Das Motiv ist dem Komponisten lange im Gedächtnis geblieben: Auch im Adagio der unvollendet gebliebenen Neunten Symphonie erklingen vor dem großen Abgesang eben jene vier Töne, von der Oboe ohne Begleitung gespielt, in die Stille hinein, denen leise nachatmend das Horn antwortet.
Interpreten
Mit einem umfangreichen Repertoire, welches das deutsche, italienische und französische Fach gleichermaßen umfasst und auch zeitgenössische Werke einschließt, steht die Sopranistin Diana Damrau seit nunmehr 20 Jahren auf den großen Bühnen der Welt. Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie u. a. mit der New Yorker Metropolitan Opera, der Bayerischen Staatsoper, dem Royal Opera House in London und der Mailänder Scala. Dort war sie etwa in den Titelpartien von Lucia di Lammermoor, La traviata und Massenets Manon sowie als Königin der Nacht (Die Zauberflöte) zu erleben. Sie überzeugt ebenso in zeitgenössischen Opern wie Der Riese vom Steinfeld von Friedrich Cerha oder in eigens für sie komponierten Rollen wie der Drunken Woman und der Gym Instructress in Lorin Maazels 1984 sowie der Titelrolle in Iain Bells Adaption von William Hogarths A Harlot’s Progress. Wenn sie nicht gerade auf der Opernbühne brilliert, widmet sich Diana Damrau ausgiebig dem Liedgesang. Zu ihren engsten Partnern zählen dabei der Pianist Helmut Deutsch sowie der Harfenist Xavier de Maistre, mit dem sie die einzigartige Kombination von Gesang und Harfe etabliert hat. Als Exklusivkünstlerin von Warner Classics hat sie zudem eine Bandbreite an CD-Veröffentlichungen aufzuweisen, die das facettenreiche künstlerische Spektrum der Sopranistin abbilden: Ihre Alben widmen sich etwa Arien von Mozart und Salieri, Koloraturarien der Romantik, Orchesterliedern von Strauss, Opernarien von Meyerbeer und jüngst, gemeinsam mit Jonas Kaufmann, dem Italienischen Liederbuch von Wolf. Als kommende Highlights stehen u. a. die Rolle der Ophélie in einer konzertanten Aufführung von Ambroise Thomas’ Hamlet sowie die Partie der Marguerite in Gounods Faust auf dem Programm.
Sally Matthews gewann 1999, noch während ihrer Gesangsausbildung an der Guildhall School of Music and Drama in London, den Kathleen Ferrier Award. Anschließend wurde die Sopranistin in das Young Artists Programme der Royal Opera Covent Garden in London aufgenommen. Seither ist sie regelmäßig an führenden Opernhäusern wie dem Théâtre de la Monnaie in Brüssel, der Dutch National Opera, dem Theater an der Wien und der Glyndebourne Festival Opera in Rollen wie Fiordiligi (Così fan tutte), Madeleine (Capriccio) und Anne Truelove (The Rake’s Progress) zu erleben. 2016 debütierte sie bei den Salzburger Festspielen als Silvia in der Uraufführung von Thomas Adès’ Oper The Exterminating Angel, eine Rolle, mit der sie bald darauf ihren Einstand an der New Yorker Met gab und zum Royal Opera House Covent Garden zurückkehrte. Sally Matthews arbeitet regelmäßig mit renommierten Orchestern wie dem London Symphony Orchestra, dem Rotterdam Philharmonic Orchestra und den Berliner Philharmonikern unter Dirigenten wie Antonio Pappano, Simon Rattle und Daniel Harding. Ihr Konzertrepertoire umfasst etwa Mendelssohns Lobgesang-Symphonie, Mahlers Symphonien Nr. 2, 4 und 8 sowie Bergs Sieben frühe Lieder, die auch auf dem Programm ihres letzten Auftritts beim BR- Symphonieorchester im Februar 2016 standen. Sie ist gern gesehener Gast bei den BBC Proms und wirkte dort 2017 mit dem BBC Symphony Orchestra unter Kazushi Ono an der europäischen Erstaufführung von Mark-Anthony Turnages Hibiki mit. Im Sommer 2019 wird sie die Titelrolle in Dvořáks Rusalka am Glyndebourne Opera House gestalten. Kommende Höhepunkte sind Auftritte mit dem Pianisten Simon Lepper am Théâtre de la Monnaie in Brüssel, in der Londoner Wigmore und in der New Yorker Carnegie Hall.
Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill studierte am Royal Conservatoire of Scotland, das ihr 2018 die Ehrendoktorwürde verlieh. 2002 wurde sie mit dem Kathleen Ferrier Award ausgezeichnet. Ihre Engagements führen die Sängerin auf die großen Bühnen der Welt, an die New Yorker Met, das Royal Opera House Covent Garden in London, die Deutsche Oper Berlin und die Glyndebourne Festival Opera. Dabei verkörpert sie Rollen wie Waltraute (Götterdämmerung), Brangäne (Tristan und Isolde), Mère Marie (Dialogues des Carmélites) und Judith (Herzog Blaubarts Burg). Außerdem gastiert Karen Cargill regelmäßig bei den BBC Proms und beim Edinburgh International Festival. Als Konzertsängerin arbeitet sie mit namhaften Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, der Dresdner Staatskapelle, dem London Symphony und dem London Philharmonic Orchestra, dem Concertgebouworkest Amsterdam sowie den großen amerikanischen Orchestern in Boston, Cleveland, Philadelphia und Chicago. Zu den Höhepunkten der nächsten Zeit zählen Aufführungen von Mahlers Zweiter Symphonie mit dem Hong Kong Philharmonic Orchestra und dem City of Birmingham Symphony Orchestra, Mahlers Lied von der Erde mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Robin Ticciati sowie Auftritte als Erda (Das Rheingold und Siegfried) und Mère Marie an der New Yorker Met. In Recitals ist Karen Cargill oft mit dem Pianisten Simon Lepper u. a. in der Londoner Wigmore Hall, im Concertgebouw Amsterdam und in der New Yorker Carnegie Hall zu hören. Gemeinsam haben sie Lieder von Alma und Gustav Mahler eingespielt. Des Weiteren liegen von Karen Cargill Aufnahmen von Berlioz’ Les nuits d’été und La mort de Cléopâtre mit dem Scottish Chamber Orchestra unter Robin Ticciati vor.
Der in Istanbul geborene und in Wien aufgewachsene Tenor Ilker Arcayürek ist sowohl als Opern-, wie auch als Konzert- und Liedsänger international erfolgreich. Schon früh sammelte er Erfahrungen als Solist im Mozart Knabenchor Wien, nahm Gesangsunterricht bei Sead Buljubasic und besuchte Meisterkurse bei bedeutenden Künstlern wie Thomas Quasthoff und Alfred Brendel. Von 2010 bis 2013 gehörte er dem Opernstudio des Opernhauses Zürich an; in dieser Zeit konnte er auch sein Repertoire als Konzertsänger beim Zürcher Kammerorchester erweitern. In der Spielzeit 2013/2014 wirkte Ilker Arcayürek als Ensemblemitglied am Stadttheater Klagenfurt, bevor er von 2015 bis 2018 in zahlreichen Partien am Staatstheater in Nürnberg zu hören war, u. a. in den Titelrollen von Idomeneo und Il ritorno d’Ulisse in patria. Gastauftritte führten den Tenor zu den Münchner Opernfestspielen, ans Teatro Real nach Madrid oder zu den Salzburger Festspielen. 2016 gewann er den von der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie ausgerichteten International Art Song Competition und war von 2015 bis 2017 »BBC Radio 3 New Generation Artist«, bevor er sein erstes, von der Kritik hochgelobtes Soloalbum Der Einsame (2017) mit Liedern von Schubert veröffentlichte. Als Liedinterpret gab Ilker Arcayürek im letzten Jahr sein Debüt in der Wigmore Hall in London sowie bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Ebenfalls 2018 trat er als Konzertsänger in der Royal Albert Hall in London mit dem London Philharmonic Orchestra und im Konservatoriets Koncertsal in Kopenhagen mit dem Danish Chamber Orchestra auf. Kommende Konzerte führen den Tenor u. a. an das Opernhaus Graz, das Palais des Beaux-Arts Bruxelles und das Herbst Theatre nach San Francisco.
Seine Laufbahn als Opernsänger begann der Bass Stanislav Trofimov 2008 am Opernhaus in Tscheljabinsk, Russland. Bald darauf übernahm er die großen Partien seines Fachs an der Oper Jekaterinburg, am Bolschoi-Theater in Moskau und anderen russischen Bühnen. 2015 begann seine Zusammenarbeit mit dem Mariinski-Theater in St. Petersburg, an dem er seit 2016 als Solist engagiert ist. Eine Tournee mit dem Ensemble des Bolschoi-Theaters unter Valery Gergiev, die Stanislav Trofimov in der Rolle des Erzbischofs in Tschaikowskys Die Jungfrau von Orléans durch Frankreich, Italien, Deutschland und China führte, machte ihn auch außerhalb Russlands bekannt. 2017 feierte er sein Debüt bei den Salzburger Festspielen als Pope in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk in einer Aufführung der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Mariss Jansons. Im folgenden Sommer setzte Stanislav Trofimov die Zusammenarbeit mit Mariss Jansons bei den Salzburger Festspielen, nun als Surin in Tschaikowskys Pique Dame, fort. Außerdem verkörperte er dort 2018 die Partie des Nourabad in Bizets Les pêcheurs de perles. Weitere wichtige Rollen seines Repertoires sind Philipp II. (Don Carlo), Bartolo (Le nozze di Figaro), Jean de Procida (Les vêpres siciliennes), Fiesco (Simon Boccanegra), Vasily Sobakin in Rimskij- Korsakows Die Zarenbraut, Iwan Sussanin in Michail Glinkas Ein Leben für den Zaren sowie die Titelrolle in Mussorgskys Boris Godunow, die er u. a. 2018 in San Francisco unter Michael Tilson Thomas gestaltete. Außerdem debütierte er im vergangenen Herbst als Sparafucile (Rigoletto) am Pariser Théâtre des Champs-Élysées und in der Philharmonie Luxembourg. In Kürze wird er als Dossifei in einer Neuproduktion von Mussorgskys Chowanschtschina an der Mailänder Scala zu erleben sein.
Schon bald nach seiner Gründung 1949 durch Eugen Jochum entwickelte sich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu einem international renommierten Klangkörper, dessen Ruf die auf Jochum folgenden Chefdirigenten Rafael Kubelík, Colin Davis und Lorin Maazel stetig weiter ausbauten. Neben den Interpretationen des klassisch-romantischen Repertoires gehörte im Rahmen der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegründeten musica viva von Beginn an auch die Pflege der zeitgenössischen Musik zu den zentralen Aufgaben des Orchesters. Seit 2003 setzt Mariss Jansons als Chefdirigent neue Maßstäbe. Von den Anfängen an haben viele namhafte Gastdirigenten wie Erich und Carlos Kleiber, Otto Klemperer, Leonard Bernstein, Günter Wand, Georg Solti, Carlo Maria Giulini, Kurt Sanderling und Wolfgang Sawallisch das Symphonieorchester geprägt. Heute sind Bernard Haitink, Riccardo Muti, Esa-Pekka Salonen, Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel Harding, Yannick Nézet-Séguin, Simon Rattle und Andris Nelsons wichtige Partner. Tourneen führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nord- und Südamerika. Als »Orchestra in Residence« tritt das BRSO seit 2004 jährlich beim Lucerne Festival zu Ostern auf. Zahlreiche Auszeichnungen dokumentieren den festen Platz des Symphonieorchesters unter den internationalen Spitzenorchestern. Soeben wurden die Gastkonzerte unter der Leitung von Zubin Mehta in Japan im November 2018 von führenden japanischen Musikkritikern auf Platz 1 der »10 Top-Konzerte 2018« gewählt.