Giovanni Antonini dirigiert Bach

Konzerte mit BRSO und BR-Chor
Donnerstag
21
Juni 2018
20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
4. Abo B

Konzerteinführung: 18.45 Uhr
mit Giovanni Antonini, Moderation: Ilona Hanning

Konzert in München
Freitag
22
Juni 2018
20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
4. Abo B

Konzerteinführung: 18.45 Uhr
mit Giovanni Antonini, Moderation: Ilona Hanning

Konzert in München

Programm

Johann Sebastian Bach
Orchestersuite Nr. 1
C-Dur, BWV 1066
Johann Sebastian Bach
Ach Herr, mich armen Sünder
Kantate, BWV 135
Carl Philipp Emanuel Bach
Hamburger Symphonie
G-Dur, Wq 182/1
Johann Sebastian Bach
Ich hatte viel Bekümmernis
Kantate, BWV 21

Mitwirkende

Christina Landshamer Sopran
Lawrence Zazzo Countertenor
Fabio Trümpy Tenor
Krešimir Stražanac Bassbariton
Chor des Bayerischen Rundfunks
Nicolas Fink Choreinstudierung
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Giovanni Antonini Leitung

Meister des originalen Klangs
Der Dirigent des Abends: Giovanni Antonini

Bereits mehrfach hat Giovanni Antonini bei BR-Chor und BRSO Bach-Kantaten und weitere Werke der Barock-Epoche präsentiert. Dabei hat er sich als behutsamer Vermittler zwischen historischer Aufführungspraxis und traditionellem Orchesterklang erwiesen.

Giovanni Antonini ist ausgewiesener Spezialist für die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts und Gründungsmitglied des Originalklangensembles Il Giardino Armonico, das er seit 1989 leitet. Dabei pflegt er nicht nur als Dirigent den »Garten«, sondern erblüht als Solist mit Block- oder Traversflöte oft selbst darin.

In seiner Heimatstadt Mailand reifte er zum Orchesterleiter heran und begann an der Civica Scuola di Musica seine Ausbildung. Während seines Studiums am Centre de Musique Ancienne in Genf veredelte er seine Fähigkeiten weiter, bis er schließlich die Früchte seiner Arbeit ernten konnte. Giovanni Antonini arbeitete mit Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Concertgebouworkest Amsterdam und dem Los Angeles Philharmonic zusammen und kehrte vergangene Saison als Gastdirigent zurück zum Konzerthausorchester Berlin, zum Tonhalle-Orchester Zürich oder zum Gewandhausorchester Leipzig.

Künstlerische Wurzeln schlug Giovanni Antonini als Erster Gastdirigent beim Kammerorchester Basel, das er seit 15 Jahren begleitet, sowie beim Mozarteumorchester Salzburg. Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks leitete Giovanni Antonini zuletzt 2015 mit Werken von Vivaldi und Bach.

Auf Tourneen bereiste er die bedeutenden Konzertsäle der USA, Südamerikas, Australiens, Japans und Chinas, und seit 2013 ist er Künstlerischer Leiter des Wratislavia Cantans Festivals in Polen.

Als Operndirigent machte sich Giovanni Antonini einen Namen, als er mit Mozarts »Le nozze di Figaro« an der Mailänder Scala gastierte. Es folgten Händels »Alcina« und »Giulio Cesare«. Seine gefeierte Interpretation von Bellinis Norma, die er zunächst bei den Salzburger Festspielen zur Aufführung brachte, wurde 2015 und 2016 in Monte Carlo wieder aufgenommen. Am Opernhaus Zürich begeisterte er mit »Idomeneo«, den er »ungemein differenziert […], mit Prägnanz und spannungsgeladener Dramatik« leitete, wie »oper aktuell« schrieb. Er teilte die Bühne mit Solisten wie Isabelle Faust, Viktoria Mullova, Sol Gabetta und Cecilia Bartoli.

Mit Il Giardino Armonico produzierte er u. a. eine Einspielung der Oper »Ottone in Villa« von Vivaldi und weitere CDs mit dessen Instrumentalwerken. Das gemeinsam mit Cecilia Bartoli entstandene Vivaldi-Album wurde mit einem Grammy gewürdigt. Mit dem Kammerorchester Basel arbeitet Giovanni Antonini an einer Gesamteinspielung der Symphonien Beethovens und spielte mit Emmanuel Pahud eine CD mit Flötenkonzerten ein, die als Konzerteinspielung des Jahres ausgezeichnet wurde.

Seit 2014 stemmt Giovanni Antonini das Monumentalprojekt »Haydn 2032«: die Gesamteinspielung aller 107 Haydn-Symphonien bis zum 300. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2032 und deren Aufführung in diversen Ländern Europas. Die ersten Aufnahmen sind bereits mehrfach ausgezeichnet worden.

Werkeinführungen

Mit Gravität und Grazie
Zu Johann Sebastian Bachs Orchestersuite Nr. 1 C-Dur, BWV 1066. Von Matthias Corvin

Johann Sebastian Bach
* 21. März 1685 in Eisenach
+ 28. Juli 1750 in Leipzig

Orchestersuite Nr. 1 C-Dur, BWV 1066
Entstehungszeit: um 1723/1724

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Da Johann Sebastian Bach einer alten Musikerfamilie entstammte, kam für ihn kein anderer Brotverdienst in Frage. Geboren im thüringischen Eisenach am Fuße der weltberühmten Wartburg, wurde er bereits mit zehn Jahren Vollwaise, woraufhin sofort sein ältester Bruder – ebenfalls Organist – die weitere Ausbildung übernahm. Der außergewöhnlich talentierte Bach erhielt ein Stipendium für die angesehene Michaelisschule in der niedersächsischen Hansestadt Lüneburg. Nach seiner Zeit als brillanter Organist, Hofmusiker und Konzertmeister in Thüringen (Arnstadt, Weimar und Mühlhausen) wechselte er 1717 an den prächtigen Hof nach Köthen (Sachsen-Anhalt). 1723 bis zu seinem Tod 1750 wirkte er bekanntlich als Thomaskantor im sächsischen Leipzig, schon damals eine florierende Universitäts- und Messestadt. Zu Bachs Zeiten verfügte sie mit über 700 Laternen übrigens über eine der ersten Straßenbeleuchtungen in Deutschland.

Gilt die Kirchenmusik (Kantaten, Passionen) als Schwerpunkt des späten »Leipziger Bach«, schrieb er viele seiner Orchestermusiken und Konzerte bereits als Kapellmeister am Hof des jungen Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen. Dort stand ihm ein neugegründetes Orchester zur Verfügung mit hervorragenden Solisten. Da die hohen Tutti-Streicher höchstens zweifach besetzt wurden, spielten selbst bei groß besetzten Werken wie dem Ersten Brandenburgischen Konzert maximal 16 bis 17 Musiker, meist jedoch weniger. Solche kleinen Ensembles leitete Bach als mitspielender Musiker nicht vom Cembalo aus, sondern von der Violine oder sogar der von ihm geliebten Bratsche. So konnte er »das Orchester in einer größeren Ordnung« halten, berichtete sein Sohn Carl Philipp Emanuel. Ab 1729 rückte Bach auch in Leipzig die Instrumentalmusik wieder verstärkt in den Fokus, denn er übernahm die Leitung des bürgerlichen »Collegium musicums«, eines aus Studenten und Musikliebhabern bestehenden Orchesters. Da es noch keine Konzertsäle gab, spielte man einmal wöchentlich im »Zimmermannischen Caffee-Hauß« in der Leipziger Katharinenstraße und im Sommer in »Zimmermanns Garten« vor den Toren der Stadt.

Zu Bachs beliebtesten Werken gehören die vier Orchestersuiten BWV 1066 bis 1069. Die ersten beiden sind etwas schlanker instrumentiert, die letzten beiden festlicher mit Pauken und Trompeten. Obgleich die Werke einen einheitlichen Wurf vortäuschen, ist die genaue Entstehung der einzelnen Werke ungewiss. Vermutlich stammen zwei von ihnen, die Vierte Suite in D-Dur und die heute gespielte Erste in C-Dur, bereits aus der Köthener Zeit. Dokumentiert sind die Suiten jedoch ausschließlich in späteren Abschriften aus Leipzig. Solche Suiten waren damals wahre »Renner«. Schon zu Lebzeiten des französischen Komponisten Jean-Baptiste Lully (1632–1687) war es üblich, Tänze aus Balletten und Nummern aus Opern zu Orchestersuiten zusammen-zustellen. In Deutschland publizierte der im badischen Rastatt als Hofkapellmeister wirkende Johann Caspar Fischer 1695 als Opus 1 acht ungemein prachtvolle Orchestersuiten. Sicher kannte Bach auch die Orchestersuiten seines Hamburger Freundes Georg Philipp Telemann oder des in Ostdeutschland und Böhmen wirkenden Komponisten Johann Friedrich Fasch. Gemeinsam war diesen Werken, dass am Anfang eine Französische Ouvertüre stand. Diese Opernvorspiele fanden rasch Eingang in die barocke Instrumentalmusik. In den Suiten bilden Ouvertüren stets die gewichtigen Hauptsätze. Daher wurden Bachs Orchestersuiten von ihm selbst auch kurz »Ouvertüren« betitelt. Wann seine Werke zum ersten Mal erklangen, ist nicht überliefert. Es wird aber angenommen, dass auch sie im erwähnten »Zimmermannischen Caffee-Hauß« musiziert wurden. An diesem beliebten Treffpunkt des Bürgertums wurden Kaffee- und Kulturgenuss miteinander verbunden.

Eine Aufführung der Ersten Orchestersuite in C-Dur zwischen klirrenden Kaffeelöffeln und Geplauder lässt sich heute nur schwer vorstellen. Eröffnet wird das Werk von einer festlichen französischen Ouverture. Die gravitätisch-strömenden und typisch punktiert rhythmisierten Rahmenteile schichten vier unterschiedliche Melodielinien übereinander, die sich wechselseitig in Spannung halten. Der beschleunigte Mittelteil beginnt als vierstimmiges Fugato über ein prägnantes Motiv samt »hopsenden« Tonrepetitionen. Doch der strenge Satzstil wird schnell zugunsten konzertanter Elemente aufgelöst. So bilden die beiden Oboen und das Fagott ein aus dem Tutti hervorgehobenes Solo-Trio. Auch in dieser Musik werden französischer (Suite) und italienischer Stil (Konzert) im Sinne des »vermischten Geschmacks« miteinander kombiniert.

Die sich anschließenden Tänze sind nach einer Mode der Zeit meist paarig angelegt, der erste Tanz wird also nach dem zweiten noch einmal wiederholt. So gibt es je zwei auch motivisch miteinander verknüpfte GavottenMenuetteBourrées und Passepieds. Der zweite Tanz wird durch Registerwechsel (in der Streicher-Holzbläser-Balance) oder zusätzlichen Tonartenwechsel (Dur/Moll in der Bourrée) vom ersten abgesetzt. In der Gavotte II erlaubt sich Bach noch einen weiteren »Spaß« – wie ihn der frühe Bach-Biograph Philipp Spitta nannte: Zum Hauptthema in den Oboen spielen Violinen und Bratschen einen fanfarenartigen Kontrapunkt.

Nur zwei Einzeltänze erklingen in dieser Suite, gleich nach der Ouverture eine französische Courante im gemessenen Dreiertakt. Später ertönt eine italienische Forlane, die ursprünglich aus dem Friaul und dem benachbarten Venedig stammt. Die beschwingte Melodie im 6/4-tel Takt führt Bach über einer fortlaufenden Achtelbegleitung der tiefen Streicher; der Bass setzt immer verzögert ein und betont die Taktmitte. So entsteht ein volkstümlich schunkelnder Charakter. Bei den vielen Binnenwiederholungen dieser Suite setzen Interpreten oft auf Varianten in Dynamik oder Besetzungsstärke. Das gibt dieser Musik eine zusätzliche Lebendigkeit ganz im Sinne des graziösen Balletts, aus der sie stammt.


Das Schweigen der Bässe
Kantaten von Johann Sebastian Bach. Von Wolfgang Stähr

Entstehungszeiten BWV 21: 1713–1723, BWV 135: 1724. 
Uraufführungen BWV 21: 17. Juni 1714 in der Weimarer Schlosskirche
unter Leitung des Konzertmeisters Bach, 
BWV 135: 25. Juni 1724 in der Leipziger Thomaskirche
in Abwesenheit des Thomaskantors Bach

»In letzter Zeit habe ich abends Bachkantaten gehört«, vermerkte der Schriftsteller Julien Green 1965 in seinem Tagebuch. »Mir war, als sei alles, was mir Musik zu geben vermag, darin enthalten. Die formale Schönheit hat hier ihren allerhöchsten Grad erreicht, und der ganze Glaube spricht daraus. Das ist das Universum, in dem es mir behagt. Man kann noch so viele Fehler begangen haben, immer ist da jene Freude Gottes spürbar, die hindurchweht wie der Wind durch die Bäume. Ich bin die Espe, deren Blätter allesamt erzittern, sobald dieser Hauch sie streift.«

»Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen; aber deine Tröstungen erquicken meine Seele.« An einem Sonntag im Oktober 1713 predigte der Weimarer Generalsuperintendent Johann Georg Layritz – ein Vorgänger Herders in diesem Amt – über die christliche Hoffnung, die Zuversicht im Glauben. Er sprach zu einer Trauergemeinde, die sich in der Stadtkirche St. Peter und Paul versammelt hatte, um Abschied zu nehmen von Aemilia Maria Harreß, der Witwe eines Weimarer Kommissionsrates. Der Geistliche berief sich in seiner Predigt ganz auf den biblischen Trost der Psalmen, auf die Verheißungen der Väter: »Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichtes Hilfe und mein Gott ist«, heißt es in Psalm 42, den Layritz ebenso zitierte wie den Dankespsalm 116 (»Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Gutes.«) und den wegweisenden 94. Psalm: »Ich hatte viel Bekümmernis.« Die Auslegungen und Betrachtungen des Hofpredigers Layritz aber wurden im Gottesdienst noch bekräftigt durch eine protestantische Trauermusik, die der Hoforganist Johann Sebastian Bach komponiert hatte, indem er dieselben Psalmverse mit traditionsbewusster Kunst vertonte und zu gewaltigen Chorsätzen, Choralbearbeitungen und Fugen auftürmte. Überdies erdachte er zwei ausdrucksstarke und bildmächtige Arien, um der andächtigen Gemeinde die »Bäche von gesalznen Zähren«, die Tränenfluten, Sturm und Wellen und alle Nöte der gepeinigten Seele eindringlich vor Augen und Ohren zu führen. Das öffentliche Weinen und unverhohlene Schluchzen galt im Barock als untrügliches Zeichen aufrichtiger Andacht.

Wenige Monate später wurde Bach zum Konzertmeister der herzoglichen Kapelle befördert, ein beruflicher Aufstieg, der mit der Verpflichtung einherging, jeden Monat eine Kantate für den Gottesdienst in der Weimarer Schlosskirche zu schreiben. Die allerdings kennt man heute nur noch von einem zeitgenössischen Gemälde. 1774 ging sie, wie fast das gesamte Schloss, in einer Brandkatastrophe unter. Diese Kirche erhielt den programmatischen Namen »Weg zur Himmelsburg«. Der rechteckige Raum war dreistöckig von Arkaden umgeben. An der schmalen Stirnseite umstanden vier palmenartige Säulen den Altar und trugen wie auf einem Tempeldach die Kanzel. Dahinter ragte ein Obelisk auf, der ein Bild des lehrenden Jesus zeigte und schwebende, in den Himmel aufsteigende Kinderfiguren. In der Decke der Kirche war eine Öffnung gelassen, die den Blick weiter in die Höhe lenkte, zur Kuppel, dem mit Engeln und Wolken ausgemalten Himmelszelt. Der Raum in der Kuppel aber, die sogenannte »Capelle«, die durch eine Balustrade zur Deckenöffnung hin abgesichert war, diente der Orgel, der Hofkapelle, den Chorknaben und dem Konzertmeister Bach als ein buchstäblich überirdischer Saal, in dem die Hauptmusik des Gottesdienstes – auch Bachs Kantaten – musiziert wurde.

Für die Weimarer Schlosskirche und den 3. Sonntag nach Trinitatis, den 17. Juni 1714, erweiterte Bach die Trauerkantate aus dem vergangenen Herbst um die Arie Nr. 10 »Erfreue dich, Seele, erfreue dich, Herze«, um einen neuen Schlusschor nach Worten der Offenbarung des Johannes – und vor allem um den Dialog zwischen der Seele und Jesus (Nr. 8), ein »flammend dramatisches Stück«, wie Albert Schweitzer begeistert urteilte. Als Textdichter dieses Duetts wie der Rezitative und Arien darf wohl der Konsistorialsekretär Salomon Franck vermutet werden, der Hofpoet des Weimarer Herzogtums. Die einleitende Sinfonia könnte durchaus als langsamer Satz einem Konzert für Oboe und Violine entnommen sein. Doch das Konzert war im Barock sowieso nicht auf eine bestimmte Form oder Formation fixiert: Es stand vielmehr für ein elementares Prinzip des Musizierens, für den Dialog, den Wettstreit, das Wechselspiel der Instrumente, Rede und Widerrede, Zwiesprache und Disput. Die Vorstellung vom Konzert als einem Schauplatz imperialer Virtuosität – einer gegen alle – entstammt hingegen (wie der Chauvinismus) dem 19. Jahrhundert, als die subjektive Einbildung über die altmeisterliche »Compositionswissenschaft« triumphierte und der Monolog den gelehrten Diskurs verdrängte.

Johann Sebastian Bach sollte die monumentale Kantate Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21 noch häufiger aufführen: bei einem Gastkonzert in der Hamburger Katharinenkirche und bald nach seinem Amtsantritt als Thomaskantor, am 13. Juni 1723 in Leipzig. Dabei änderte er jedoch mehr-fach die Besetzung der Arien und des Dialogs und verstärkte das Instrumentarium um ein Posaunenquartett. Der autographe Vermerk »per ogni tempo« auf dem Umschlag der Original-stimmen besagt, dass diese Kantate auch zu anderen (aber natürlich nicht zu allen) Zeiten des Kirchenjahres musiziert werden könne als nur am 3. Sonntag nach Trinitatis. Wann und wo auch immer – zu keiner Zeit haben Bachs musikalische Tröstungen ihre Wirkung auf Herz und Sinn der Hörer verfehlt, und in der Bewunderung für diese Kantate treffen sich so wesensverschiedene Geister wie Johannes Brahms, Julien Green und Wolf Biermann, der geradeheraus bekennt: »Dies Stück ist meins.«

Nach einigen (vielleicht seinen glücklichsten Jahren) als Hofkapellmeister in Köthen wechselt Bach 1723 in das Amt des Leipziger Thomaskantors, das er von allen seinen städtischen, höfischen und kirchlichen Positionen am längsten, wenngleich nicht am liebsten innehatte. Aber eine prinzipien-feste Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Musik galt für ihn ohnehin nicht, weder in seinem Schaffen noch in seinem Denken. Insofern blieb der Kantor stets auch Kapellmeister. Dennoch wurde Bach aus der Perspektive der Nachwelt in allererster Linie mit seinem kirchlichen Wirkungskreis identifiziert, ja seine schwärmerischen Verehrer erhoben ihn postum sogar zum Erzkantor, Spielmann Gottes und fünften Evangelisten – allesamt Ehrentitel, die weniger von lutherischer Frömmigkeit als von der Kunstreligion des 19. Jahrhunderts zeugen. Über den Ursprung der Bach’schen Musik, ihre »Herkunft«, ließe sich trefflich streiten, über ihren Bestimmungszweck jedoch nicht. Ob als Konzertmeister in Weimar oder als Thomaskantor in Leipzig: Johann Sebastian Bach komponierte seine (geistlichen) Kantaten selbstverständlich für den Gottesdienst, nicht für den Konzertsaal, er schrieb liturgische Musik, eingebunden in die überlieferte Form der Verkündigung und das historisch geprägte Glaubensbekenntnis.

Denn die Kantate erklang im Leipziger Hauptgottesdienst an der Stelle (und anstelle) des Credo, eingerahmt von der lateinischen Intonation des »Credo in unum Deum« vor Beginn und von Martin Luthers deutschem Glaubenslied »Wir glauben all an einen Gott« zum Beschluss. Bachs Kantaten verstärkten aber überdies die Lesung und die Predigt, indem sie ebenfalls das Sonntags-evangelium verkündeten, auslegten und zu Nutz und Frommen der Gemeinde auf das Leben der Christen anwandten. Doch scheint es daneben in Leipzig noch eine andere liturgische Tradition gegeben zu haben, die es zuließ, in der Predigt auch über die Worte eines dem Tag zugemessenen Chorals nachzudenken. Johann Benedict Carpzov, ein älterer Pastor der Thomaskirche, berichtete, er habe im Jahr 1689 »jedesmal ein gut, schön, alt, evangelisches und lutherisches Lied […] erkläret, auch die Verfügung getan, das erklärte Lied in öffentlicher Gemeinde gleich nach geendigter Predigt anzustimmen«. Und auf sein Bitten fand sich der damals amtierende Thomaskantor Johann Schelle, Bachs Vorvorgänger, bereit, »jedwedes Lied in eine anmutige music zu bringen, und solche vor der Predigt, ehe der Christliche glaube gesungen wird«, aufzuführen.

Bachs wiederum für den 3. Sonntag nach Trinitatis bestimmte Kantate BWV 135, die zum ersten Mal am 25. Juni 1724 musiziert wurde, könnte auf eine ähnliche Absprache zurückgehen. Justus Gotthard Rabener, Subdiakon der Thomaskirche, hätte dann im Hauptgottesdienst am Sonntag-morgen über dasselbe Lied gepredigt, das zuvor in Bachs Kantate gesungen wurde: »Ach Herr, mich armen Sünder«. Dessen Melodie war mit den weitaus berühmteren Worten »O Haupt voll Blut und Wunden« oder »Herzlich tut mich verlangen« einst in aller Munde – oder jedenfalls in allen protestantischen Mündern. Der weniger prominente Text des im thüringischen Friedrichroda wirkenden Pfarrers Cyriakus Schneegaß (er war mit einer Großnichte Martin Luthers verheiratet) erschien 1597 im Druck: in den Geistlichen Liedern und Psalmen. Für Einfeltige frome Hertzen zugerichtet. Schneegaß schrieb seinen Choral in enger Anlehnung an den alttestamentlichen Psalm 6: »Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn«, den ersten der sieben christlichen Bußpsalmen. Der (uns) unbekannte Librettist der Bach’schen Kantate Nr. 135 schuf seinerseits eine freie Paraphrase über das reformatorische Kirchenlied, sozusagen eine Nachdichtung zweiten Grades: Er zitierte zwar die erste und die letzte Strophe im Wortlaut, am Anfang und zum Schluss, fügte aber auch in die nachformulierten Rezitative und Arien stets einen einzelnen Vers des Originals ein, wie eine Losung oder ein Kennwort.

In der Choralfantasie, die Bachs Kantate eröffnet, singt der Bass den Cantus firmus: »Ach Herr, wollst mir vergeben / Mein Sünd und gnädig sein, / Dass ich mag ewig leben, / Entfliehn der Höllenpein.« Doch schweigen die Bässe, der Vokalbass wie der Basso continuo, in den Vor- und Zwischenspielen, die rein instrumental von den hohen Streichern und den zwei Oboen musiziert werden, buchstäblich bodenlos, als hingen die Stimmen in der Luft oder schwebten wie der Geist über den Wassern in einer noch längst nicht geerdeten Welt. Gleichwohl »sprechen« sie schon die Worte des Chorals aus, diese Stimmen, die Motive der Liedzeilen, die danach vom Chor, aber in verschiedenen Phasen, Notenwerten und Geschwindigkeiten gesungen werden. Starke, schwarze, lebensfeindliche Affekte und morbide Bilder von Krankheit, Seelenqual und Tod beherrschen die solistischen Partien, bis zu dem metaphysischen Tiefstpunkt, dem schockierenden Moment der Totenstille in der Arie des Tenors (Nr. 3), wenn die Musik, »Trösterin Musica«, heillos verstummen muss. Das kämpferische Bass-Solo (Nr. 5: »Weicht, all ihr Übeltäter«) könnte mit seinen synkopisch verrückten, sprunghaft zerrissenen, richtungslos umherirrenden Melodien wie das Gleichnis einer verzweifelt um sich schlagenden, von den Furien verfolgten Existenz erscheinen, als sei die angerufene »Freudensonne« noch lange nicht aufgegangen über der Finsternis dieser Erde. Und selbst in die letzten Takte des Schlusschorals schrieb Bach einen kurzen, irritierenden Abweg der Verirrung hinein: Gerät die Gemeinde am Ende noch ins Straucheln, so kurz vor Toresschluss, vor den Toren zur »ewgen Seligkeit«? Gewiss, der ganze Glaube spricht daraus, aber ohne das Salz des Zweifels bekäme er den schalen Beigeschmack einer ungeprüften, vom Leben unberührten Frömmigkeit. Das ist das Universum – vollendet schön und manchmal doch ziemlich unbehaglich für Mensch und Christ.


Mit Originalität und Geschmack
Zu Carl Philipp Emanuel Bachs Symphonie G-Dur, Wq 182 Nr. 1. Von Matthias Corvin

Carl Philipp Emanuel Bach
8. März 1714 in Weimar – 14. Dezember 1788 in Hamburg

Symphonie G-Dur, Wq 182 Nr. 1
Erstdruck: 1773
Widmung: Baron Gottfried van Swieten

Sich bei der Komposition einmal »ganz gehen« zu lassen, das lässt sich ein Musiker vom Auftraggeber nicht zweimal sagen. Baron Gottfried van Swieten, Gesandter des österreichischen Kaisers in Berlin, trug genau diese Bitte an den zweiten Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel heran. Auf seinen Wunsch hin entstanden in den frühen 1770er Jahren die sechs Hamburger Symphonien Wq 182. Der populäre Titel weist auf den Entstehungsort der Werke. In der florierenden Hansestadt wirkte Bach ab 1768 in der Nachfolge seines Taufpaten Georg Philipp Telemann als Musikdirektor der fünf Hauptkirchen sowie als Kantor am Johanneum. Er absolvierte dort ein riesiges Arbeitspensum, denn jedes Jahr betreute er um die 200 Aufführungen. Außerdem leitete er »öffentliche Konzerte«, in denen vor allem seine Symphonien, Oratorien und Konzerte gespielt wurden.

Wie sein Vater wurde auch der in Weimar geborene Bach-Sohn früh auf eine Musikerkarriere vorbereitet. Mit 26 Jahren trat er bereits beim Kronprinzen Friedrich von Preußen in den Dienst. Nach dessen Ernennung zum König Friedrich II. wurde er 1741 Kammercembalist der Hofkapelle. In Berlin erblühte damals das Musikleben, der Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff baute ein neues Opernhaus, in dem Sänger aus ganz Italien auftraten. Die Kapelle Friedrichs des Großen spielte auf einem beachtlichen Niveau, und Carl Philipp Emanuel erfüllte als Erster Cembalist vielfältige Pflichten. Er musste gemäß der »Generalbasspraxis« seinen Instrumentalpart bei Konzertaufführungen improvisatorisch auszieren, begleitete den Flöte spielenden König und kleinere Ensembles und beherrschte auf Konzertniveau verschiedene Tasteninstrumente, vom Cembalo bis zum Hammerklavier. Der Rang seiner Kompositionen war bald weit über Berlin hinaus bekannt. Auch seine zweibändige Klavierschule Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753/1762) wurde überall gelesen. Trotz verlockender Angebote von anderen Dienstherren blieb er Preußen fast 30 Jahre lang treu. Doch dann rief die reiche Kaufmannsstadt an der Elbe nach ihm, aus dem »Berliner« wurde der »Hamburger« Bach, vom Hofdienst wechselte er ins aufstrebende Bürgertum.

Seine Kompositionen zeichnen sich durch eine expressive Musiksprache aus, einen »diskontinuierlichen Stil«, der sich vom Barock ebenso absetzt wie von der italienisch beeinflussten Frühklassik und in dem stets Unvorhersehbares geschehen kann, etwa in Form eines plötzlichen Richtungswechsels in der Melodie oder einer abrupten harmonischen Rückung. »Eigensinniger Geschmack, oft Bizarrerie, gesuchte Schwierigkeit, eigensinniger Notensatz«, charakterisierte 1784 der Komponist und Musikschriftsteller Christian Friedrich Daniel Schubart die Musik dieses Einzelgängers und so bezeichneten »Originalgenies«. Gerade deshalb bewunderten ihn die »Wiener Klassiker«. So meinte Mozart: »Er ist der Vater; wir sind die Bub’n. Wer von uns was Rechts kann, hat von ihm gelernt.« Und auch für Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven war Carl Philipp Emanuel Bach ein wichtiges Vorbild.

Seine Hamburger Symphonien sollten die Musiker herausfordern, »ohne auf die Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen, die daraus für die Ausübung notwendig entstehen mussten«. So erinnerte sich der als junger Konzertmeister nach Hamburg verpflichtete Johann Friedrich Reichardt noch 1814 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung. Auch wenn die Werke bei der ersten Aufführung im Hause des Wirtschaftsprofessors und Leiters einer privaten Handelshochschule Johann Georg Büsch noch nicht ganz sauber gelangen, »so hörte man doch mit Entzücken den originellen, kühnen Gang der Ideen, und die große Mannigfaltigkeit und Neuheit in den Formen und Ausweichungen. Schwerlich ist je eine musikalische Composition von höherm, keckern, humoristischerm Charakter einer genialen Seele entströmt«, meinte Reichardt. Dieses Lob war umso beachtlicher, da die sechs einst dem Auftraggeber van Swieten nach Berlin geschickten Hamburger Symphonien zum Zeitpunkt der Publikation dieser Erinnerungen als verschollen galten. Zwei von ihnen – darunter die heute gespielte erste in G-Dur – wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts als Abschriften in der Bibliothek der Leipziger Thomasschule wiederentdeckt und publiziert. Ab den 1930er Jahren wurden fünf der Autographe in Archiven in Brüssel, Paris und Berlin ans Tageslicht befördert. Die Handschrift der ersten der sechs Symphonien blieb jedoch unauffindbar. Die erste moderne Ausgabe aller Werke erschien erst 1976 im Peters-Verlag.

Carl Philipp Emanuel Bach stand in Hamburg ein etwa 40-köpfiges »Collegium musicum« zur Verfügung, das berichten mehrere Zeitzeugen und Quellen. In diesem Orchester spielten neben ausgebildeten »Tonkünstlern« auch »einige wenige Liebhaber«, erklärt der Hamburgische unpartheyische Correspondent 1776. Im Falle einer reinen Streicherbesetzung wie in den Hamburger Symphonien Wq 182 war die Zahl der Musiker etwas reduziert. Dennoch war das Orchester deutlich größer als die Ensembles des Vaters Johann Sebastian Bach.

Zwar übernahm Carl Philipp Emanuel äußerlich die Dreisätzigkeit italienischer Vorbilder, von der zeitgenössischen Forderung an die Einheitlichkeit eines Symphoniesatzes wich er jedoch ab. Bereits der Kopfsatz der G-Dur-Symphonie Wq 182 Nr. 1 (Allegro di molto) wird mehrmals im Fluss unterbrochen und dann in unerwarteten Tonarten weitergeführt. Das markante Eingangsthema setzt also immer wieder neu an. Erhebliche Spannung verschafft auch das Spiel mit unterschiedlichen Registern, Bewegungsrichtungen, Sprüngen sowie die Ausdünnung oder Verdichtung des Orchestersatzes. Nahtlos aus dem offenen Schluss wächst der schreitende zweite Satz (Poco adagio) heraus. Hier unterbrechen »Seufzer« und einzelne starke Akzente den regelmäßigen Tritt. Auch die klassisch anmutende Violinmelodie im tänzerischen Finale wird von ruppigen Bass-Passagen »gestört«. Solche »kühnen« Züge in Carl Philipp Emanuel Bachs Musik sei aber »kein wüstes Schwärmen der Unwissenheit und Raserey, sondern die Ergiessung eines kultivierten Genies«. Das betonte der englische Chronist Charles Burney im Tagebuch einer musikalischen Reise, dessen deutsche Ausgabe in Hamburg 1772/1773 erschien. Burney sah in den ausgeklügelten und fantasievollen Abweichungen von der Norm vor allem »Geschmack und Gelehrsamkeit«.


Mitwirkende

Christina Landshamer   Die gebürtige Münchnerin Christina Landshamer zählt zu den begehrten Stimmen auf den großen Opern- und Konzertbühnen. Ihre Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Daniel Harding, Kent Nagano, Riccardo Chailly, Christian Thielemann oder Roger Norrington führte sie zu international bedeutenden Orchestern wie dem Concertgebouworkest Amsterdam, dem Orchestre de Paris, dem Tonhalle-Orchester Zürich, den Münchner Philharmonikern und dem Freiburger Barockorchester. Bei den Salzburger Festspielen begeisterte sie, gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle, als Frasquita in Carmen, und bei der Dresdner Silvestergala sang sie an der Seite von Anna Netrebko. 2015 debütierte sie an der Bayerischen Staatsoper als Pamina. Auch in den USA hat sich Christina Landshamer als feste Größe etabliert. An der Lyric Opera in Chicago gab sie die Sophie im Rosenkavalier, mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra nahm die Sopranistin unter der Leitung von Manfred Honeck Mahlers Auferstehungssymphonie auf, und mit dem New York Philharmonic Orchestra unter Alan Gilbert war sie mit Mahlers Vierter Symphonie sowohl in New York als auch auf Europatournee zu erleben. Auch bei Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist Christina Landshamer seit vielen Jahren ein gern gesehener Gast. Sie wirkte an den Bach-Einspielungen des Chores unter Peter Dijkstra beim Label BR-KLASSIK mit und trat erst kürzlich unter der Leitung von Daniele Gatti mit Mahlers Vierter Symphonie beim Symphonieorchester auf. Christina Landshamer ist auch eine gefeierte Liedsängerin. Sie erhält Einladungen u. a. von der Schubertiade Schwarzenberg und der Londoner Wigmore Hall. Gemeinsam mit Gerold Huber entstand eine CD mit Liedern von Schumann und Ullmann.

Lawrence Zazzo   Bereits als kleiner Junge sang der inzwischen weltweit gefeierte US-amerikanische Countertenor in Chören und zog als Zauberer »The Great Zazzini« nicht nur sein junges Publikum in den Bann. Er begann in Yale Englische Literatur zu studieren und wechselte später für ein Gesangsstudium nach England ans King’s College in Cambridge. Während seiner weiterführenden Studienzeit am Royal College of Music in London verzauberte er sein Publikum als Oberon mit seinem Operndebüt in Brittens Ein Sommernachtstraum. Inzwischen trat der Sänger an sämtlichen bedeutenden internationalen Opernhäusern auf und ist auf zahlreichen Veröffentlichungen zu sehen respektive zu hören, etwa in der Titelrolle in Händels Giulio Cesare an der Opéra national de Paris. Seine Leidenschaft für Barockmusik setzt sich auch in seinem akademischen Schaffen fort, wo er über Händels Oratorien promovierte – eine Expertise, die sich auch gesanglich niederschlägt, so wurde seine Darbietung des Giulio Cesare von Gramophone als »die bestgesungene und -dargestellte Countertenor-Partie« gewürdigt. Auch die Musik des 20. Jahrhunderts und die zeitgenössische Musik findet in Lawrence Zazzo einen passionierten Interpreten. Im vergangenen Jahr sang er den Countertenor in der Uraufführung von Rolf Riehms Werk Die Tode des Orpheus, das ihm auch gewidmet ist. Ebenso überzeugen konnte er als Mascha in Drei Schwestern von Peter Eötvös oder als Flüchtling in Jonathan Doves Oper Flight, mit der er beim Glyndebourne Festival gastierte. Seiner umfangreichen Diskographie fügte er zuletzt A Royal Trio hinzu, sein erstes Recital-Album. Zuvor hatte er etwa Mozarts erste Oper Apollo et Hyacinthus aufgenommen.

Fabio Trümpy   Der Schweizer Tenor Fabio Trümpy studierte bei Margreet Honig in Amsterdam und erhielt u. a. für seine Mozart-Interpretation den Prix des Amis du Festival d’Aix-en-Provence. Am Opernhaus Zürich sang er den Telemaco in Il ritorno d’Ulisse in patria, Oronte in Alcina und den Steuermann in Der fliegende Holländer. Weitere Auftritte führten ihn als Tamino zum Spoleto Festival in die USA, als Camille in Die lustige Witwe an die Opéra National de Lorraine in Nancy, als Aljeja in Aus einem Totenhaus (Regie: Calixto Bieto) an das Theater Basel sowie als Pane in La Calisto und Fritz in La Grande-Duchesse de Gérolstein an das Grand Théâtre de Genève. Kürzlich verkörperte er erneut Oronte, dieses Mal am Moskauer Bolschoi-Theater unter der Regie von Katie Mitchell und dem Dirigat von Andrea Marcon. Und erst in der vergangenen Woche gab er die Titelpartie in Antonio Draghis El Prometeo an der Opéra de Dijon unter Leonardo García Alarcón. In Sasha Waltz’ Produktion von Monteverdis Orfeo war er mit dem Freiburger Barockorchester unter Pablo Heras-Casado beim Bergen International Festival, an der Opéra de Lille sowie an der Berliner Staatsoper zu erleben. Mit Marc Minkowski und Les Musiciens du Louvre trat er als Don Ottavio und mit dem Mozart-Requiem auf. Sein Konzertrepertoire reicht von den Passionen Bachs bis zu Werken von Strawinsky und Henze, dabei arbeitet er mit Dirigenten wie Charles Dutoit, David Zinman, Jérémie Rhorer und Hervé Niquet sowie mit Ensembles wie dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem WDR Sinfonieorchester, dem Orchester des 18. Jahrhunderts, dem Zürcher und dem Niederländischen Kammerorchester und dem Concertgebouworkest Amsterdam zusammen. Beim BR-Symphonieorchester gibt Fabio Trümpy mit den Konzerten dieser Woche sein Debüt.

Krešimir Stražanac   Der kroatische Bassbariton studierte Gesang und Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart sowie privat bei Jane Thorner Mengedoht und Hanns-Friedrich Kunz. Nach dem Studium wurde er Ensemblemitglied des Opernhauses Zürich, wo er u. a. als Don Fernando in Fidelio und Harlekin in Ariadne auf Naxos zu sehen war. Er gab letztes Jahr sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper in Giordanos Andrea Chénier und wird auch 2019 in derselben Produktion dort wieder zu erleben sein. Im selben Jahr wird er bei den Pfingstfestspielen in Baden-Baden an der Interpretation der h-Moll-Messe des Bach-Spezialisten Philippe Herreweghe mitwirken. Auch dem Kunstlied ist der Bassbariton eng verbunden. So gab er zahlreiche Liederabende in Europa und Asien und ist Gewinner diverser Gesangswettbewerbe, etwa des Cantilena Wettbewerbs Bayreuth, des La Voce-Liedwettbewerbs des Bayerischen Rundfunks sowie des Hugo-Wolf-Wettbewerbs in Slowenien. Krešimir Stražanac konzertierte mit Orchestern wie dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Concertgebouworkest Amsterdam, dem Tokyo Symphony Orchestra und dem Gewandhausorchester Leipzig. Ob Konzert oder Oper, er arbeitet mit internationalen Dirigentengrößen wie Bernard Haitink, Franz Welser-Möst, Herbert Blomstedt und Manfred Honeck zusammen. Darüber hinaus ist er auf zahlreichen Bild- und Tonträgern vertreten, etwa in seiner gefeierten Darbietung des Don Fernando in Fidelio, als Moralès in Bizets Carmen oder Konrad Nachtigall in Die Meistersinger von Nürnberg. Beim Label BR-KLASSIK erschien in Zusammenarbeit mit dem BR-Chor und Concerto Köln die Johannes-Passion von J. S. Bach, womit er im März 2017 auch beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Herbert Blomstedt zu Gast war.

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks   Schon bald nach seiner Gründung 1949 durch Eugen Jochum entwickelte sich das Symphonie-orchester zu einem international renommierten Klangkörper, dessen Ruf die auf Jochum folgenden Chefdirigenten Rafael Kubelík, Colin Davis und Lorin Maazel stetig weiter ausbauten. Neben den Interpretationen des klassisch-romantischen Repertoires gehörte im Rahmen der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegründeten musica viva von Beginn an auch die Pflege der zeitgenössischen Musik zu den zentralen Aufgaben des Orchesters. Seit 2003 setzt Mariss Jansons als Chefdirigent neue Maßstäbe. Von den Anfängen an haben viele namhafte Gastdirigenten wie Erich und Carlos Kleiber, Otto Klemperer, Leonard Bernstein, Günter Wand, Georg Solti, Carlo Maria Giulini, Kurt Sanderling und Wolfgang Sawallisch das Symphonieorchester geprägt. Heute sind Bernard Haitink, Riccardo Muti, Esa-Pekka Salonen, Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel Harding, Yannick Nézet-Séguin, Simon Rattle und Andris Nelsons wichtige Partner. Tourneen führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nord- und Südamerika. Als »Orchestra in Residence« tritt das Orchester seit 2004 jährlich beim Lucerne Festival zu Ostern auf, 2006 wurde es für seine Einspielung der 13. Symphonie (Babij Jar) von Schostakowitsch mit einem Grammy geehrt. Bei einem Orchesterranking der Zeitschrift Gramophone, für das international renommierte Musikkritiker nach »the world’s greatest orchestras« befragt wurden, kam das Symphonieorchester auf Platz sechs.


Gesangstexte

Johann Sebastian Bach
Ach Herr, mich armen Sünder

Kantate BWV 135

Chor
Ach Herr, mich armen Sünder
Straf nicht in deinem Zorn,
Dein ernsten Grimm doch linder,
Sonst ist’s mit mir verlorn.
Ach Herr, wollst mir vergeben
Mein Sünd und gnädig sein,
Dass ich mag ewig leben,
Entfliehn der Höllenpein.

Rezitativ (Tenor)
Ach heile mich, du Arzt der Seelen,
Ich bin sehr krank und schwach;
Man möchte die Gebeine zählen,
So jämmerlich hat mich mein Ungemach,
Mein Kreuz und Leiden zugericht;
Das Angesicht ist ganz von Tränen aufgeschwollen,
Die, schnellen Fluten gleich, von Wangen abwärts rollen.
Der Seelen ist von Schrecken angst und bange;
Ach, du Herr, wie so lange?

Arie (Tenor)
Tröste mir, Jesu, mein Gemüte,
Sonst versink ich in den Tod,
Hilf mir, hilf mir durch deine Güte
Aus der großen Seelennot.
Denn im Tod ist alles stille,
Da gedenkt man deiner nicht.
Liebster Jesu, ist’s dein Wille,
So erfreu mein Angesicht!

Rezitativ (Alt)
Ich bin von Seufzen müde,
Mein Geist hat weder Kraft noch Macht,
Weil ich die ganze Nacht,
Oft ohne Seelenruh und Friede,
In großem Schweiß und Tränen liege.
Ich gräme mich fast tot und bin vor Trauern alt,
Denn meine Angst ist mannigfalt.

Arie (Bass)
Weicht, all ihr Übeltäter,
Mein Jesus tröstet mich!
Er lässt nach Tränen und nach Weinen
Die Freudensonne wieder scheinen.
Das Trübsalswetter ändert sich,
Die Feinde müssen plötzlich fallen
Und ihre Pfeile rückwärts prallen.

Choral

Ehr sei ins Himmels Throne
Mit hohem Ruhm und Preis
Dem Vater und dem Sohne
Und auch zu gleicher Weis
Dem Heilgen Geist mit Ehren
In alle Ewigkeit,
Der woll uns alln bescheren
Die ewge Seligkeit.

Textdichter: Kirchenlied von Cyriakus Schneegaß (1546–1597) nach dem 6. Psalm. Ein unbekannter Bearbeiter behielt die erste und sechste Strophe von Schneegaß bei und arbeitete die dazwischenliegenden Strophen in Rezitativ- und Arientexte um.


Johann Sebastian Bach
Ich hatte viel Bekümmernis

Kantate BWV 21

Sinfonia

Chor
Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen; aber deine Tröstungen erquicken meine Seele.

Arie (Sopran)
Seufzer, Tränen, Kummer, Not,
Ängstlichs Sehnen, Furcht und Tod
Nagen mein beklemmtes Herz,
Ich empfinde Jammer, Schmerz.

Rezitativ (Tenor)
Wie hast du dich, mein Gott,
In meiner Not,
In meiner Furcht und Zagen
Denn ganz von mir gewandt?
Ach! kennst du nicht dein Kind?
Ach! hörst du nicht das Klagen
Von denen, die dir sind
Mit Bund und Treu verwandt?
Du warest meine Lust
Und bist mir grausam worden:
Ich suche dich an allen Orten;
Ich ruf und schrei dir nach,
Allein: mein Weh und Ach
Scheint itzt, als sei es dir ganz unbewusst.

Arie (Tenor)
Bäche von gesalznen Zähren,
Fluten rauschen stets einher.
Sturm und Wellen mich versehren,
Und dies trübsalsvolle Meer
Will mir Geist und Leben schwächen,
Mast und Anker wollen brechen,
Hier versink ich in den Grund,
Dort seh ich der Hölle Schlund.

Chor

Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist.

Rezitativ

Sopran (Seele) Ach Jesu, meine Ruh,

Mein Licht, wo bleibest du?
Bass (Jesus) O Seele, sieh! Ich bin bei dir.
Sopran Bei mir?
Hier ist ja lauter Nacht.
Bass Ich bin dein treuer Freund,
Der auch im Dunkeln wacht,
Wo lauter Schalken sind.
Sopran Brich doch mit deinem Glanz und Licht des Trostes ein!
Bass Die Stunde kömmet schon,
Da deines Kampfes Kron
Dir wird ein süßes Labsal sein.

Duett
Sopran (Seele) Komm, mein Jesu, und erquicke,
Bass (Jesus) Ja, ich komme und erquicke
Sopran Und erfreu mit deinem Blicke,
Bass Dich mit meinem Gnadenblicke.
Sopran Diese Seele,
Bass Deine Seele,
Sopran Die soll sterben,
Bass Die soll leben,
Sopran Und nicht leben
Bass Und nicht sterben
Sopran Und in ihrer Unglückshöhle
Bass  Hier aus dieser Wunden Höhle
Sopran Ganz verderben.
Bass Sollst du erben
Sopran Ich muss stets in Kummer schweben,
Bass Heil durch diesen Saft der Reben.
Sopran Ja, ach ja, ich bin verloren,
Bass Nein, ach nein, du bist erkoren.
Sopran Nein, ach nein, du hassest mich;
Bass Ja, ach ja, ich liebe dich!
Sopran Ach Jesu, durchsüße mir Seele und Herze,
Bass Entweichet, ihr Sorgen, verschwinde, du Schmerze!
Sopran Komm, mein Jesu, und erquicke
Bass Ja, ich komme und erquicke
Sopran Mit deinem Gnadenblicke!
Bass Dich mit meinem Gnadenblicke.

Chor mit Soli

Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Guts.

Tenor (Chor) Was helfen uns die schweren Sorgen,
Was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen
Beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid
Nur größer durch die Traurigkeit.

Sopran (Chor) Denk nicht in deiner Drangsalshitze,
Dass du von Gott verlassen seist,
Und dass Gott der im Schoße sitze,
Der sich mit stetem Glücke speist.
Die folgend Zeit verändert viel
Und setzet jeglichem sein Ziel.

Arie (Tenor)
Erfreue dich, Seele, erfreue dich, Herze,
Entweiche nun, Kummer, verschwinde, du Schmerze!
Verwandle dich, Weinen, in lauteren Wein!
Es wird nun mein Ächzen ein Jauchzen mir sein.
Es brennet und flammet die reineste Kerze
Der Liebe, des Trostes in Seele und Brust,
Weil Jesus mich tröstet mit himmlischer Lust.

Chor
Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Lob und Ehre und Preis und Gewalt sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen, Alleluja!

Textdichter: vermutlich Salomon Franck (1659–1725) sowie Strophen 2 und 5 aus dem Kirchenlied »Wer nur den lieben Gott lässt walten« im Chor Nr. 9 und Verse aus der Offenbarung des Johannes (5,12) im Chor Nr. 11

Weitere Konzerte

So. 13. Okt, 19.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Sonntagskonzert Münchner Rundfunkorchester © BR\Lisa Hinder
Puccini – Operndebüt und Weltkarriere
Sonntagskonzert mit dem Münchner Rundfunkorchester: »Le villi« konzertant und eine musikalische Biografie mit Udo Wachtveitl
So. 17. Nov, 10.30 Uhr
Bamberg, Konzerthalle, Joseph-Keilberth-Saal
cOHRwürmer in Bamberg (Foto: Alexander Heinzel)
cOHRwürmer
Ein Konzert zum Mitsingen in Bamberg mit Chören aus Händels »Messias«
Sa. 23. Nov, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Lagrime di San Pietro
Giovanni Antonini dirigiert Lasso, Monteverdi, Carissimi
Sa. 1. Feb, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Hrvatska Misa – Kroatische Messe
Ivan Repušić dirigiert Frano Paraćs »Dona nobis pacem« und Boris Papandopulos »Kroatische Messe« d-Moll, op. 86
Sa. 22. Mrz, 20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz
Chor-Abo plus 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Sir Simon Rattle – musica viva
Sir Simon Rattle präsentiert mit BR-Chor und BRSO Werke von Pierre Boulez, Luciano Berio und Helmut Lachenmann
Sa. 5. Apr, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Kreuzwege
Peter Dijkstra dirigiert »Via crucis« von Franz Liszt und »The Little Match Girl Passion« von David Lang
Sa. 24. Mai, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Chor-Abo 24/25 (Grafik: Klaus Fleckenstein)
Joik – Götter, Geister und Schamanen
Peter Dijkstra dirigiert Chormusik von Holst, Holten, Martin, Sandström und Mäntyjärvi
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