Italianità – Rossini und Verdi
Konzerteinführung: 19.00 Uhr
mit Howard Arman
Moderation: Michaela Fridrich
Programm
Mitwirkende
Zum Auftakt des Rossini-Jahres 2018 präsentieren Howard Arman und der BR-Chor ein Programm der großen Gesangskunst, der feinen Klangsinnlichkeit und natürlich voller Italianità.
Rossini und Verdi – beide zählen zu den Fixsternen der italienischen Oper, und beide komponierten nur wenig für Chor. Das Wenige aber profitiert von der am Musiktheater geschärften Meisterschaft einer präzisen und tief empfundenen Textausdeutung. So auch Gioacchino Rossinis Stabat mater, geschaffen nach seinem spektakulären Abschied aus der Opernwelt, ebenso wie Giuseppe Verdis vier ganz verschiedenartige geistliche Gesänge aus letzten Lebensjahren. Sie bedeuteten für Verdi eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, begann er doch seine Laufbahn mit Kirchenmusik und Orgelspiel.
Das Chorkonzert »Italianità« wird zeitversetzt von Radiostationen »rund um den Globus« gesendet:
Kroatien, Korea, Schweden, Spanien und Australien.
Werkeinführungen
Süße Klage
Zu Rossinis Stabat mater. Von Doris Sennefelder
Gioachino Rossini
* 29. Februar 1792 in Pesaro
+ 13. November 1868 in Passy bei Paris
Stabat mater für Soli, Chor und Orchester.Entstehungszeit des Stabat mater: 1831/1832 (Nr. 1, 5–9) sowie ca. 1838 bis 1841 (Nr. 2–4, 10). Uraufführung: Karfreitag, 5. April 1833, im Kloster San Felipe el Real in Madrid (ursprüngliche Fassung mit den von Giovanni Tadolini komponierten Teilen); 7. Januar 1842 im Théâtre Italien in Paris (in der vollständig von Rossini komponierten Fassung)
»Sie teilen mir mit, dass man Ihnen ein Wertobjekt verkauft hat«, schrieb Gioachino Rossini im September 1841 erzürnt an den französischen Verleger Antoine Aulagnier, der über einen Zwischenhändler das Autograph zur ursprünglichen Fassung von Rossinis Stabat mater erworben hatte und nun um Erlaubnis zum Druck bat. Rossini aber verweigerte ihm die Zustimmung; schließlich handle es sich um ein Exemplar, »das ich dem Ehrwürdigen Vater Varela nur gewidmet habe, wobei ich mir die Veröffentlichung zu einem mir genehmen Zeitpunkt vorbehielt. Ohne weiter auf den Betrug einzugehen, den jemand zum Schaden meiner Rechtsansprüche verüben wollte, erkläre ich Ihnen, Monsieur, dass, falls mein Stabat mater ohne meine Erlaubnis in Frankreich oder im Ausland veröffentlicht wird, es mein fester Vorsatz ist, den Verleger bis zum Tode zu verfolgen. Außerdem muss ich Ihnen, Monsieur, sagen, dass das Exemplar, das ich dem Ehrwürdigen Vater sandte, nur sechs Stücke enthält, die von mir selbst komponiert wurden, da ich einen Freund beauftragen musste, zu vervollständigen, was ich aus Krankheitsgründen nicht selbst beenden konnte.«
Dass Rossini derart barsch auf Aulagniers Anfrage reagierte, mag zum einen daran gelegen haben, dass sich die seit längerer Zeit schon beklagenswerte körperliche Verfassung des 49-Jährigen zusehends verschlechtert hatte, was sich auch in Depressionen und Angstzuständen niederschlug. Zum anderen hatte Rossini inzwischen auch diejenigen Teile seines Stabat mater komponiert, die er dem erwähnten Auftraggeber, dem spanischen Staatsrat und Priester Manuel Fernández Varela, zur Uraufführung der ersten Fassung 1833 in Madrid stillschweigend schuldig geblieben war. Damals hatte Rossinis Schüler Giovanni Tadolini die fehlenden Sätze vertont. Ein knappes Jahrzehnt später war es offenbar Rossinis Absicht, die Beiträge Tadolinis ebenso stillschweigend durch Eigenes zu ersetzen.
Das Stabat mater gehört zu dem Wenigen, was Rossini seit seinem Verstummen als Opernkomponist, also seit der Uraufführung des Guillaume Tell 1829 in Paris, schöpferisch zuwege gebracht hatte. Gesundheitliche Probleme wie auch der Kampf um eine von König Charles X. gewährte Rente, deren Zahlung durch die Juli-Revolution von 1830 zunächst fraglich geworden war, sowie der stilistische Wandel auf der Opernbühne vom italienischen Melodramma hin zur Grand Opéra hatte Rossinis zunehmend pessimistische Weltsicht verstärkt − in tragischer Verkehrung des Bildes vom heiteren Buffakomponisten.
Doch zurück zur Entstehungsgeschichte des Stabat mater: Während Aulagnier nach einem langwierigen Gerichtsprozess schließlich die von Tadolini komponierten Teile veröffentlichen durfte, überließ Rossini die Rechte an der neuen, komplett aus eigener Feder stammenden Fassung dem Pariser Verleger Eugène Troupenas, der bereits seine Opern Guillaume Tell, Le siège de Corinthe und Moïse et Pharaon veröffentlicht hatte. Bei einer privaten Vorführung von Auszügen des Stabat mater gerieten die Gebrüder Escudier − bekannt als Gründer der Zeitschrift La France musicale − derart in Verzückung, dass sie beschlossen, das Théâtre Italien auf eigene Kosten zu mieten und Solisten, Chor und Orchester zu verpflichten: »Vor allem war es nötig, uns der Mitwirkung der besten Künstler zu versichern. Giulia Grisi und Monsieur Mario verstanden nicht sofort die Größe des Werks und empfingen das Projekt recht kühl. Nur Tamburini verstand uns; er sah sich das Pro peccatis zweimal durch, warf einen Blick auf das ganze Werk und rief aus: ,Es ist herrlich, bewundernswert. Ich werde mit den Damen Grisi und Albertazzi und auch mit Mario sprechen. Inzwischen können Sie bestimmt mit mir rechnen.‹«
Die Uraufführung dieser komplett Rossiniʼschen Version am 7. Januar 1842 wurde zum triumphalen Erfolg, und der Erlös von weiteren vierzehn Konzerten, den die Gebrüder Escudier großzügig der Direktion des Théâtre Italien überließen, füllte als dringend notwendige Finanzspritze die leeren Kassen des Instituts. Auch in Bologna wollte der Jubel kein Ende nehmen, wie Gaetano Donizetti, der auf Rossinis ausdrücklichen Wunsch hin dirigiert hatte, berichtete: »Wir haben die dritte und letzte Aufführung erreicht. Die Begeisterung kann man unmöglich beschreiben. Nach der letzten Probe, der Rossini bei hellem Tageslicht beiwohnte, wurde er mit lauten Zurufen von mehr als 500 Leuten nach Hause begleitet. Das gleiche ereignete sich unter seinen Fenstern nach der Premiere, obgleich er gar nicht in seinem Zimmer war, und gestern wiederholte es sich nochmals.«
Der unglaubliche Erfolg des Werks wie auch seine theaterreife Entstehungsgeschichte mögen den immer wieder formulierten Vorwurf befördert haben, Rossinis Stabat mater sei zu opernhaft und stilistisch zu leichtgewichtig, um als ernstzunehmende geistliche Musik anerkannt zu werden. Akzeptiert man jedoch, dass die affektgesättigte Kantilene nicht nur in der Oper, sondern eben auch in der Kirchenmusik Ausdruck intensivster Gefühle und des eigentlich »Unsagbaren« sein kann, verlieren die Vorbehalte gegenüber Rossinis Stabat mater weitgehend an Grundlage − zumal der Komponist musiktheatralische Effekte und die typisierte Klangrede geistlicher Musik wirkungsvoll zu verbinden wusste: Mit einer vom Pianissimo zum Forte und vom tiefen G noch oben sich aufschwingenden Geste der Fagotte und Violoncelli hebt die Introduktion an. Der musikalische Vorhang öffnet sich zu einer der eindringlichsten »Szenen«, die der Kanon religiöser Standardtexte zu bieten hat: »Christi Mutter stand mit Schmerzen / bei dem Kreuz und weintʼ von Herzen, / als ihr lieber Sohn da hing.« Nach einigen Pizzicatotakten folgt in den Violinen − als Zeichen bohrenden Schmerzes − ein in sich kreisendes Motiv, das ein wenig an den Klagechor der Ägypter aus Rossinis biblisch inspirierter Oper Mosè in Egitto erinnert. Ein markanter Blechbläsereinwurf, dazu chromatisch absteigende Lamento-Figuren beschließen die Orchestereinleitung.
Konsequent wird dieser instrumental vorbereitete Klagegestus in den Gesangsstimmen weitergeführt. Kurz vor Ende des Satzes erklingt dann nochmals das Eröffnungsmotiv der Fagotte und Violoncelli, jetzt allerdings kombiniert mit Einwürfen von Chor und Solisten; in dieser Form wird es gegen Ende des Finales ein weiteres Mal auftreten. Den Zykluscharakter der zehn Sätze betonte Rossini freilich nicht nur durch solch ausdrückliche Zitate. Auch gestalterische Einzelelemente wie der immer wieder auftretende punktierte Rhythmus, Seufzermotivik und sogenannte Hornquinten, die auf den Naturtönen dieser Instrumente beruhen, bewirken eine formale Rundung, wie auch der Musikwissenschaftler Klaus Döge präzisierte: »So ist Rossinis Stabat mater ein Werk, das zwar in zwei zeitlich auseinanderliegenden Phasen entstand, in dem dieses zeitliche Auseinander aber in jedem Augenblick seines Erklingens kompositorisch aufgehoben ist.«
Wenn überhaupt, so drängt sich am ehesten bei der Tenorarie (Nr. 2: »Cujus animam gementem«) der Verdacht des Kulinarisch-Opernhaften auf – dank der leicht fassbaren, schmelzenden Kantilene des Solisten und seines hohen »des« in der Kadenz kurz vor Satzende. Hier und besonders in der nächsten Nummer liegt es an Dirigent und Orchester, durch straff geführte Begleitung jeglicher Korrumpierung des religiösen Inhalts vorzubeugen: Im Duett der beiden Soprane (Nr. 3: »Quis est homo«) wird durch die trauermarschartige, meist im Pianissimo gehaltene und unerbittlich fortschreitende Grundierung durch die Streicher der Charakter des Satzes wesentlich geprägt.
In der Bass-Arie (Nr. 4: »Pro peccatis«), deren Schönheit schon den Pariser Uraufführungssolisten Antonio Tamburini eingenommen hatte, scheinen sich Spannkraft und Elan des typisch Verdiʼschen 3/4-Takts anzukündigen. Und eine weitere Assoziation zu Verdi drängt sich auf: So wie in dessen Quattro pezzi sacri die A-cappella-Abschnitte einen reizvollen Kontrast zum orchesterbegleiteten Umfeld bieten, erzielte Rossini in seinem Stabat mater unnachahmliche Effekte durch die plötzliche Zurücknahme der klanglichen Mittel. Beispielsweise erinnern der einstimmige Beginn nach Art des gregorianischen Chorals und die nachfolgenden homophon oder fugiert gesetzten Chorpassagen des »Eja mater« (Nr. 5) an die kirchenmusikalische Tradition vergangener Jahrhunderte, und die madrigalartigen Textausdeutungen im Quartett (Nr. 9) verweisen ebenfalls auf die frühe Vokalkunst. Der vorwiegend absteigenden Melodik zu »Quando corpus morietur« steht hier das freudig nach oben strebende »Paradisi gloria« gegenüber; Pausen zwischen den einzelnen Silben verdeutlichen einmal sogar ganz plastisch das Aushauchen des Lebens.
Eine ausgedehnte »Amen«-Fuge (Nr. 10) beschließt das Werk, und auch damit stellte der Komponist seinen souveränen Umgang mit dem Genre der Sakralmusik und sein Wissen um ihre stilistischen Anforderungen unter Beweis. Zudem scheint an dieser Stelle − wie durch einen doppelten Filter − Joseph Haydns Händel-Rezeption durch, wie sie sich in den Chören seiner Schöpfung offenbarte. Rossini kannte dieses Oratorium wohl seit einer Aufführung in Bologna im Jahr 1808. Seine Vorliebe für deutsche Partituren hatte ihm, dessen Stabat mater heute als Inbegriff der italienischen Kirchenmusik gilt, einst den tadelnden Beinamen »il tedeschino« eingebracht.
Religiöses Altersvermächtnis
Zu Verdis Quattro pezzi sacri. Von Susanne Schmerda
Giuseppe Verdi
* 9. oder 10. Oktober 1813 in Le Roncole bei Busseto
+ 27. Januar 1901 in Mailand
Quattro pezzi sacri
Entstehungszeit: 1888/89/95 (Ave Maria), 1896/97 (Stabat mater),
1886 (Laudi alla vergine Maria), 1895/96 (Te Deum)
Uraufführung: als kompletter Zyklus am 13. November 1898 in Wien
unter der Leitung von Richard von Perger
Die Quattro pezzi sacri sind Giuseppe Verdis letzte geistliche Werke, entstanden am Ende seines langen, allein sechzig Jahre der Komposition gewidmeten Lebens. Als musikalisches Vermächtnis und Abschiedsgeschenk an die Welt dokumentieren sie Verdis verinnerlichten wie leidenschaftlichen Ausdruck einer alles andere als dogmatischen, vielmehr eigenwilligen persönlichen Frömmigkeit. Komponiert wurden die »Vier geistlichen Gesänge« als Einzelstücke zu verschiedenen Zeiten und waren ursprünglich weder zur Veröffentlichung noch zur gemeinsamen Aufführung konzipiert. Die beiden Stücke für Chor a cappella, Laudi alla vergine Maria und Ave Maria, entstanden bereits 1886 und 1888/89, die zwei umfangreicheren für Chor und Orchester, Te Deum (1895/96) und Stabat mater (1896/97), nach dem sarkastischen letzten Geniestreich des »gran vegliardo«, dem 1893 uraufgeführten Falstaff, Verdis letztem Bühnenwerk.
Den Überredungskünsten seines langjährigen Librettisten Arrigo Boito ist es zu verdanken, dass Verdi die Erlaubnis zur Publikation und gemeinsame Aufführung seiner Quattro pezzi sacri erteilte: Sie feierten Doppelpremiere in Paris (Dirigent: Paul Taffanel) und in Turin (Arturo Toscanini) im April 1898 – mit Ausnahme des Ave Maria, das der Komponist als bloße technische »Handgelenksübung« und »Scharade« abtat und zunächst zurückzog. Alle vier Stücke vereint erlebten ihre Premiere dann in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde unter Richard von Perger in Wien am 13. November 1898, danach gelangten sie in Mailand, Wien, London, Berlin, Dresden und Hamburg zur Aufführung. Warmer Beifall ist diesen Alterswerken beschieden, nicht der triumphale Erfolg der rund 20 Jahre zuvor entstandenen Messa da Requiem, doch werden sie »als Sakralmusik von einer von Verdi bis dahin noch nie erreichten idealen Erhabenheit betrachtet« (Jacques Bourgeois). Was alle vier Pezzi sacri eint, ist Verdis Wiederentdeckung der altitalienischen polyphonen Vokalkunst, gepaart mit einem experimentierfreudigen musikalischen Fortschrittsdrang.
Das Ave Maria verdankt seine Entstehung einer »Scala enigmatica«, die 1888 in der vom Verlagshaus Ricordi in Mailand herausgegebenen Musikzeitschrift Gazzetta musicale mit dem Aufruf abgedruckt war, sich an ihrer Harmonisierung zu versuchen. Verdi reizte dieses kompositorische Problem, denn die »rätselhafte«, gänzlich ungebräuchliche Tonfolge bestand aus je drei Halbton- und Ganztonschritten sowie einer übermäßigen Sekunde: c–des–e–fis–gis–ais–h–c. In seinem Ave Maria verwendete er diese Skala als Cantus firmus, der in auf- und absteigender Form zuerst im Bass, dann in Alt, Tenor und Sopran erscheint. Dabei gab er dieser tonal nicht fassbaren Skala eine farbige Harmonisierung samt ungewöhnlicher Fortschreitungen, die dem zarten A-cappella-Satz einen schwebenden Charakter verleihen.
Bei einer Privataufführung des Ave Maria 1895 am Konservatorium von Parma kamen Verdi jedoch Zweifel, ob dieses Werk für den Konzertsaal geeignet sei. Auch die von ihm 1897 überarbeitete Fassung des Ave Maria änderte nichts an seiner Einschätzung, dass es sich hier eher um ein Spiel als um ein Werk im eigentlichen Sinn handele – eine Einschätzung, die zu eben jener Weigerung führte, das Ave Maria für die Sammlung der Pezzi sacri freizugeben.
Im zweiten, zuletzt entstandenen Stück von 1896/97, das die letzte Komposition Verdis ist, dem Stabat mater für vierstimmigen Chor und Orchester, wird ein eindringliches und ergreifendes Schmerzensbild der am Fuße des Kreuzes weinenden Mater dolorosa gezeichnet. Verdis Passionsdrama wandelt sich dabei von der melodramatischen Darstellung der Kreuzigung hin zu einer sublimierten Vision des Paradieses. In formaler Konzentration, ohne Wiederholung von Textworten, sind Stationen des Leidensweges bildhaft geschildert: durch ein prägnantes Orchestermotiv die Geißelung Christi (»Pro peccatis suae gentis«), durch chromatisch absteigende Linien sein Sterben (»Vidit suum dulcem natum«). Auf die Verschiebung der Sprachebene – ab der zentralen Strophe »Eja mater« wird Maria von den Menschen direkt angesprochen und um Beistand gebeten – reagiert die Musik mit einem diatonisch angelegten A-cappella-Teil des Chores, die anfängliche Schmerzens-Chromatik mit Seufzermotivik weicht zunehmend ariosen Abschnitten, vorgetragen von einzelnen Stimmgruppen des Chores wie etwa dem Alt (»Tui nati vulnerati«). Kurz vor der »Aufhellung in der triumphalen Paradiesesvision des Schlusses« (Wolfgang Marggraf) in überwältigendem G-Dur stimmt der Chor ein sanftes Gebet an (»Fac, ut animae donetur«), ätherisches Harfenspiel symbolisiert auf das Wort »paradisi« das Öffnen der Himmelstore. Doch der Blick ins Paradies wird getrübt und Verdis religiöse Distanz spürbar: Dem lichten Aufschwung aller Stimmen folgt ein zögerliches »Amen«, das fast kleinlaut statt siegesgewiss klingt – Verdis Schlusswort als Komponist.
Ähnlich klar und schwerelos wie schon das Ave Maria ist auch das älteste Stück der Quattro pezzi sacri gehalten, die 1886 (ursprünglich für vier weibliche Solostimmen) komponierten Laudi alla vergine Maria, die mit ihrer Beschränkung auf die Frauenstimmen das Bassfundament aussparen. In diesem weiteren, harmonisch nuancierten Lobpreis der Mutter Gottes, diesmal auf einen italienischen Text, den 33. Gesang des Paradiso aus Dantes Divina Commedia, zeigt sich abermals die Bewunderung Verdis für die altitalienische Vokalpolyphonie, insbesondere für das Vorbild Palestrinas: Homophone Flächen wechseln mit kontrapunktisch gearbeiteten Abschnitten.
»Zu den alten Quellen der katholischen Musik zurückkehren«, zu den Gesängen der Gregorianik, wollte Verdi auch mit dem im Winter 1895/96 vollendeten Te Deum für Doppelchor und Orchester. Zwei originale liturgische Melodien bilden die Kompositionsgrundlage, die erste wird psalmodierend, nach Art einer gregorianischen Anfangswendung von den Bässen a cappella vorgetragen (»Te Deum laudamus«) gefolgt von einem antiphonalen Wechselgesang der Chorhälften. Zu majestätischer Klangfülle ergänzt das Orchester sodann den Doppelchor im unvermittelt mit strahlendem Es-Dur hereinbrechenden »Sanctus, Dominus«. Eine Oboenphrase, abgeleitet aus dem ersten Thema, führt zum klanglich zurückgenommenen »Te gloriosus Apostolorum chorus«, während die Trompeten unmittelbar vor dem »Tu Rex gloriae« das erhabene zweite Thema – »dal canto liturgico grandioso« – intonieren. Auch weitere Partien, wie das von allen Stimmen unisono im Pianissimo vorgetragene »Dignare Domine«, folgen in ihrem Duktus gregorianischen Vorbildern, doch prägen neben diesen archaischen Abschnitten immer wieder moderne, harmonisch ungemein differenzierte und kühne Partien den Satz. Im Finale »In te, Domine, speravi« mischt sich in den doppelchörigen Ambrosianischen Lobgesang auf Gottes Barmherzigkeit ein Solo-Sopran, dann verstummt die Musik – nicht triumphal volltönend, sondern im dreifachen Pianissimo auf dem bloßen Grundton »e« in den Celli und Kontrabässen. Ein offener, zwiespältiger Schluss ohne beschließende Kadenz, eine mit Fragezeichen versehene Anrufung Gottes, als würde hier der Hoffnung auf Errettung misstraut. Suchte der nicht streng religiöse Verdi mit dieser Komposition die »Verlorenheit des menschlichen Flehens zu einer Gottheit« (Claudio Casini) auf sehr persönliche, verinnerlichte Weise auszudrücken? Der betagte Komponist hatte sich ursprünglich gegen eine öffentliche Aufführung des Te Deum verwahrt und gewünscht, man möge ihm die Partitur in sein Grab legen: »Mit diesem Lobgesang werde ich vor Gott treten und ihn um Gnade anflehen.«
Mitwirkende
Vielseitigkeit gehört zu den wichtigsten musikalischen Anliegen des in London geborenen Dirigenten, Chorleiters und Komponisten Howard Arman, der seit Herbst 2016 Künstlerischer Leiter des BR-Chores ist. So profiliert er sich in allen Epochen, Genres und Darbietungsformen der klassischen Musik: vom historisch informierten Barockkonzert über Chorsymphonik und Oper bis hin zu Jazzprogrammen und breitenwirksamen, selbst moderierten Mitsingkonzerten.
Howard Arman ließ sich am Trinity College of Music in London ausbilden, bevor er zunächst mit renommierten englischen Ensembles kooperierte und schon bald seinen Wirkungskreis auf Europa ausweitete. In Deutschland arbeitete er mit den Chören des NDR, des SWR und des RIAS Berlin zusammen. Längerfristige künstlerische Bindungen ging er von 1983 bis 2000 beim Salzburger Bachchor sowie von 1998 bis 2013 als Künstlerischer Leiter des MDR Rundfunkchores Leipzig ein. Bereits 1995 trat Howard Arman erstmals bei den Salzburger Festspielen in Erscheinung. Neben seinem internationalen Wirken als Chor- und Orchesterdirigent leitete er vielbeachtete Produktionen an Opernhäusern in Deutschland, Österreich, Italien und in der Schweiz.
Für die Neuformierung des Händel-Festspielorchesters anlässlich der Inszenierung von Orlando wurde Howard Arman 1996 mit dem Händel-Preis geehrt. Von 2011 bis Juli 2016 war er Musikdirektor des Luzerner Theaters, wo er u. a. Händels Hercules, Mozarts Le nozze di Figaro, Rossinis La Cenerentola, Bizets Carmen und Richard Strauss’ Ariadne ebenso wie das Tanztheater Metamorphosen (mit eigenen Kompositionen) und die Uraufführung von Johannes Maria Stauds Die Antilope leitete.
Seine umfangreiche Diskographie enthält etwa die mit dem ECHO Klassik prämierten Einspielungen von Rachmaninows Chorwerk Das große Abend- und Morgenlob sowie Grauns Der Tod Jesu. Beim Chor des Bayerischen Rundfunks war Howard Arman seit 2002 immer wieder zu Gast und präsentierte etwa Händels Funeral Anthem for Queen Caroline, Purcells Ode on St Cecilia’s Day 1692 sowie das Mitsingkonzert cOHRwürmer, »Christmas Classics« und die viel beachteten Aufführungen von Händels selten gespieltem Occasional Oratorio (auf CD erhältlich).
Die italienische Sopranistin Rosa Feola erregte internationale Aufmerksamkeit, als sie bei Plácido Domingos Operalia-Wettbewerb 2010 nicht nur den Zweiten Preis erhielt, sondern zusätzlich mit dem Publikumspreis sowie dem Zarzuela-Preis geehrt wurde. Obwohl sie in ihrem Repertoire den Fokus auf Opernliteratur legt, – zuletzt sang sie u.a. Susanna in Le nozze di Figaro an der Wiener Staatsoper sowie Gilda in Rigoletto an der Lyric Opera of Chicago – etabliert sie sich als lyrischer Sopran auch zunehmend auf dem Konzertpodium, wie etwa in Orffs Carmina burana unter Riccardo Muti oder in Mahlers Vierter Symphonie. Als Rossini-Interpretin war sie bereits vielfach zu hören, u.a. in der Petite messe solennelle und in mehreren Opern wie Il turco in Italia oder Il viaggio a Reims. Zu einem der Höhepunkte ihrer sängerischen Laufbahn zählt 2016 das Debüt bei den BBC Proms. 2015 erschien ihre erste Solo-CD Musica e Poesia mit Musik u.a. von Respighi und Liszt. Demnächst wird sie an der Bayerischen Staatsoper in Puccinis Gianni Schicchi zu hören sein.
»Gerhild Romberger entrückte mit entspannt und doch weit strömender Stimme aus der lärmigen in eine magische Welt«, hieß es in der Neuen Luzerner Zeitung nach einer Aufführung von Mahlers Dritter unter Riccardo Chailly. Eben jene berückende Andersartigkeit der Stimme machte Gerhild Romberger schnell zu einer der renommiertesten Altistinnen im Konzertfach. Die Professorin an der Hochschule für Musik in Detmold begann ihre musikalische Laufbahn ebendort mit einem Schulmusikstudium, schloss jedoch auch eine Gesangsausbildung bei Heiner Eckels ab. Weiterführende Kurse für Liedgestaltung bei Mitsuko Shirai und Hartmut Höll ergänzten ihr Studium. Gerhild Romberger stand u.a. für zahlreiche Mahler-Symphonien, Verdis Messa da Requiem und Mendelssohns Elias auf dem Konzertpodium und arbeitete mit so bedeutenden Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem BR-Symphonieorchester oder dem Leipziger Gewandhausorchester zusammen. In dieser Spielzeit wird sie u.a. mit Mahlers Dritter an der Mailänder Scala, in Wien mit Beethovens Neunter sowie in der Berliner Philharmonie in Schumanns Paradies und die Peri unter Sir Simon Rattle zu erleben sein.
Die Laufbahn des russischen Tenors Dmitry Korchak begann nach Abschluss seines Studiums (Gesang und Dirigieren) in Moskau, als er 2004 Preisträger der Francisco Viñas International Singing Competition sowie von Plácido Domingos Operalia-Wettbewerb wurde. Bald darauf erhielt er Engagements an der Berliner Staatsoper, der Dresdner Semperoper und an der Mailänder Scala, wo er in der Lustigen Witwe und Il viaggio a Reims mitwirkte. 2008 verkörperte er den Nemorino in L’elisir d’amore an der Wiener Staatsoper, wohin er für Don Giovanni und Evgenij Onegin – an der Seite von Anna Netrebko – zurückkehrte. 2015 debütierte Dmitry Korchak an der Metropolitan Opera New York. Seine hochgelobte Interpretation des Nemorino führte den Sänger u.a. an die Bayerische Staatsoper, die Opéra national de Paris sowie das Royal Opera House Covent Garden in London. Dmitry Korchak gastiert regelmäßig beim Kissinger Sommer und bei den Salzburger Pfingstfestspielen unter Riccardo Muti. Auch als Dirigent machte er sich einen Namen, so hat er Rossinis Stabat mater nicht nur als Sänger, sondern 2016 in Moskau vom Dirigentenpult aus interpretiert.
Nach seinem Studium an der Sibelius Academy Helsinki behauptete sich der finnische Bass Mika Kares schnell durch herausragende stimmliche Flexibilität. Auf sein Debüt als Figaro in Mozarts Le nozze di Figaro folgten Darbietungen von Barockgesang über klassischen Belcanto bis hin zu dramatischen und modernen Rollen. Das breit gefächerte Repertoire des Sängers umfasst Bachs Matthäus-Passion ebenso wie Mahlers Achte Symphonie, Schostakowitschs Symphonien Nr. 13 und 14, Tschaikowskys Evgenij Onegin, Mussorgskys Boris Godunow sowie zahlreiche Opern von Händel (Agrippina, Rinaldo), Puccini (La Bohème, Tosca), Verdi (Aida, Rigoletto) und Wagner (Rheingold, Parsifal). Auch Rossinis Stabat mater hat der Sänger bereits mehrfach interpretiert. Für Haydns Schöpfung arbeitete Mika Kares mit den Wiener Philharmonikern zusammen und sang unter Zubin Mehta und Riccardo Chailly. Seine jüngsten Erfolge feierte er bei den Salzburger Festspielen in Don Giovanni sowie zuletzt bei seinem Debüt am Londoner Royal Opera House als Sarastro in der Zauberflöte. In München war Mika Kares an der Bayerischen Staatsoper sowie bei den Opernfestspielen zu erleben.
1952 gegründet, hat sich das Münchner Rundfunkorchester zu einem Klangkörper mit enorm breitem künstlerischen Spektrum entwickelt. Konzertante Opernaufführungen im Rahmen der Sonntagskonzerte und die Reihe Paradisi gloria mit geistlicher Musik des 20./21. Jahrhunderts gehören ebenso zu seinen Aufgaben wie Kinder- und Jugendkonzerte mit pädagogischem Begleitprogramm, unterhaltsame Themenabende unter dem Motto »Mittwochs um halb acht« oder die Aufführung von Filmmusik. Erst jüngst ist Ivan Repušić zum neuen Chefdirigenten beim Münchner Rundfunkorchester berufen worden. Bei Opernprojekten pflegt das Münchner Rundfunkorchester Kooperationen mit der Theaterakademie August Everding sowie der renommierten Stiftung Palazzetto Bru Zane. Zum Engagement im Bereich der Nachwuchsförderung gehören die Mitwirkung beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD und beim Internationalen Gesangswettbewerb »Vokal genial« in memoriam Marcello Viotti. Einen großen Raum nimmt schließlich die Kinder- und Jugendarbeit ein, die auf einem Drei-Säulen-Modell mit Lehrerfortbildungen, Schulbesuchen durch die Musiker und anschließenden Konzerten beruht. Regelmäßig tritt das Münchner Rundfunkorchester bei Gastspielen und bekannten Festivals wie den Salzburger Festspielen, dem Kissinger Sommer und dem Richard-Strauss-Festival auf. Dabei hat es mit herausragenden Künstlern wie Edita Gruberová, Diana Damrau und Jonas Kaufmann sowie Anna Netrebko, Elīna Garanča, Juan Diego Flórez, Rolando Villazón und Plácido Domingo zusammengearbeitet. Dank seiner zahlreichen CD-Einspielungen ist das Münchner Rundfunkorchester kontinuierlich auf dem Tonträgermarkt präsent. Erst jüngst ist beim Label BR-KLASSIK in einer Koproduktion mit dem BR-Chor eine CD mit groß besetzten Psalmvertonungen von Felix Mendelssohn Bartholdy erschienen.